Theater - Tanz

Ein Gejohle und Gepfeife wie bei einem Rockkonzert: Das Bundesjungendballett riss das Publikum in der ausverkauften Hamburger Staatsoper förmlich von den Sitzen.

Standing Ovation für die achtköpfige Compagnie, die bei den 48. Hamburger Ballett-Tagen die große Bühne erobern durfte.

 

„Der Bürger als Edelmann“ zur gleichnamigen Musik von Richard Strauss hat diese Begeisterung allerdings nicht ausgelöst. John Neumeier schuf dieses Stück eigens für das Bundesjugendballett, uraufgeführt beim „Gipfeltreffen“ 2022 mit dem Bundesjungendorchester und dem Orchestre Francais de Jeunes. In Hamburg spielte nun das Mozartfest Ensemble unter David Dieterle auf der Bühne. Doch die Erwartungen wurden in mehrerer Hinsicht enttäuscht.

 

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Die achtköpfige Compagnie aus dem Bundesjugendballett. Foto: Kiran West

 

Zunächst einmal ist „Der Bürger als Edelmann“ kein Handlungsballett, wie der Titel suggerieren mag. Molières Spott-Komödie von 1670 über den neureichen Bürger Jourdain und dessen Bestreben in den Adelsstand erhoben zu werden, wird – mit viel Interpretationsvermögen - höchstens ansatzweise deutlich. Der fabelhafte Joao Vitor Santana ist durch seine Solopartien zwar als Außenseiter erkennbar, aber Handlungsballett ist das nicht. John Neumeier hat hier ein sinfonisches Stück, vorwiegend in Paarformation, kreiert, das ausgesprochen brav und mitunter sogar altbacken wirkt.

 

Keine Frage, die achtköpfige Compagnie ist bestechend gut. Almudena Izquierdo, Ayumi Kato, Lormaigne Bockmühl, Milla Loock, Kieren Bofinger, Giuseppe Conte, Moisés Romeo, und Joao Vitor Santana tanzen hingebungsvoll und auf erstaunlich hohem technischem Niveau. (Kleine Unsauberkeiten übersieht man gern). Und die Pas des Deux sind auch reich an schönen Hebefiguren – nur neue, gar überraschende Bewegungskonstellationen sucht man hier vergeblich. Stattdessen ein nettes, gefälliges, klassisches Tanzvokabular, angereichert mit lieblicher Tändelei, neckischem Gezappel (bei den Frauen) und Balzgehabe (bei den Männern), das mitunter an eine Schar von Vögelchen erinnert, die gerade flügge geworden sind.

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Foto: Kiran West

 

Jung ist das Bild wahrlich nicht, das John Neumeiert hier von seinem „Jugendballett“ vermittelt. Aus der Choreographie des mittlerweile 83jährigen Ballettchefs spricht vielmehr eine totale Verklärung der Jugend, gepaart mit einer hohen Emphase und Emotionalität seinem Lebenstraum gegenüber - dem Bundesjungendballett.

Diese Emotionalität wurde nach der Pause auch im Saal spürbar, als der bald scheidende Ballett-Intendant auf die Bühne trat und sich direkt an das Publikum wandte: „Es war mein Traum, Talente zu trainieren, die sehr spezifisch und unverwechselbar sind… Diese Essenz meiner Arbeit in 50 Jahren braucht auch in Zukunft Unterstützung…“. Der Satz findet kein Ende. Die Stimme bricht, von Gefühlen überwältigt verlässt Neumeier fast fluchtartig die Bühne.

 

Das „Licht, das sich durch den Tanz des Bundesjugendballetts zeigt“, wie es John Neumeier zuvor noch formulierte, erhellte dann den zweiten Teil des Abends: Zu Hits von Bob Dylan, Joni Mitchell, Leonard Cohen und anderen bekannten Singer-Songwritern präsentierte das BJB eine unerhört mitreißende, mitunter auch nachdenkliche Tanz-Collage, vom künstlerischen Direktor Kevin Haigen wunderbar stimmig konzipiert und von einem zehnköpfigen Musiker*innen-Ensemble – allen voran die charismatische Sängerin Adi Wolf – in Interaktion mit den Tänzer*innen live interpretiert.

 

BJB 02 F Kiran West

Foto: Kiran West

 

In 12 kraftvollen kleinen Stücken der jungen Choreograf*innen – unter ihnen Ricardo Urbina Reyes („Coming Together“/ „This is not a Song. It’s An Outburst“ ), Marc Jubete („Hide And Seek“) und Sasha Riva/Sara Ezzell („Just Like A Woman/Natural Woman“), ist (endlich!) die Intensität der Jugend spürbar, die sich hier nicht nur den Frust vom Leibe tanzt, sondern ihn auch in den berührenden und anklagenden Texten von Charlotte Larzelere und der BJB-Mitglieder zum Ausdruck bringt.

 

Lormaigne Bockmühl spricht einige dieser Texte mit einer Eindringlichkeit und Wahrhaftigkeit, die unter die Haut geht. „Zu Leben ohne Furcht ist eine der Schönheiten des Lebens“, lautet beispielsweise so ein Satz. Und mehrfach taucht die Frage auf, wie es möglich sein kann, dass Menschen immer noch wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung diskriminiert werden. Und ob wohl die Erde oder die Menschheit zuerst zerstört werden wird.

 

Doch der Abend endet nicht in Resignation. Ganz im Gegenteil! Mit Tracy Chapmans mitreißendem Song „Talkin’Bout A Revolution“ endet das „BJB Songbook – What We Call Growing Up“ ebenso positiv wie hoffnungsvoll. Und dieses „Songbook“ hat für das Hamburger Ballett tatsächlich ganz neue Dimensionen erschlossen. Eine derartige Symbiose von zeitgenössischem Tanz, Konzert und Texten, präsentiert in unmittelbarer Interaktion zwischen den Tänzern und Musikern, war in der Staatsoper bislang noch nicht zu erleben. Arm in Arm groovten sie alle zum Schluss über die Bühne und lebten die „Humanity“ (Choreografie Ricardo Urbina Ryes) vor, die sie in ihren Texten einforderten.

 

Was Wunder, dass es das Publikum von den Sitzen riss. Da solle noch mal jemand behaupten, Ballett sei nicht politisch. In der Hamburgischen Staatsoper jedenfalls hat man die Botschaft des Bundesjugendballetts verstanden.


Bundesjugendballett

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