Angesichts der großartigen Lebensleistung von Robert Wilson wäre es ein wenig unfair zu sagen, dass Robert Wilson sich selber zitiert. Wenn es einer darf, dann er.
Robert Wilson ist sein Leben lang der Oper treu geblieben. Das sah man deutlich, wenn man einen Platz im ausverkauften Thalia Theater zur deutschen Erstaufführung von „Mary said what she said“ mit Isabelle Huppert als Maria Stuart ergattert hatte. Und es war sehr anrührend zu beobachten, wie der eigens angereiste 78jährige Wilson beim Empfang ihm zu Ehren mit seinen Emotionen kämpfte, als er sagte, Hamburg sei für ihn „like coming home“.
In der Tat hat seine internationale Karriere in Hamburg beträchtlich Fahrt aufgenommen. In Europa sei er bekannter geworden als in seiner Wahlheimat New York, sagt der Texaner.
Als Wilsons in Avignon uraufgeführte Oper „Einstein on The Beach“ mit der seriellen Musik von Philip Glass 1976 nach Hamburg ins Deutsche Schauspielhaus kam, feierte ihn Benjamin Henrichs in der „Zeit“ als eine der großen Prophetengestalten des Theaters im 20. Jahrhunderts – und sollte Recht behalten.
Wilsons Freundschaft mit Heiner Müller führte 1986 zu einer großartigen „Hamletmaschine“ in der Hamburger Kunsthalle. „Black Rider“ mit der Musik von Tom Waits bleibt als rockige Bearbeitung der Freischütz-Oper von Carl Maria von Weber ein Meilenstein unter etlichen phantastischen Wilson-Abenden im Thalia Theater, das damals für einige Jahre seine künstlerische Heimat wurde.
Wilson fädelte sich ein in jene Generation der Theatermacher, die das Theater der Nachkriegszeit aus seinen Verkrustungen gelöst hatten, aber nicht wie hierzulande in Folge der Studentenproteste aus politischen Motiven heraus, sondern indem er es ganz bescheiden mit der bildenden Kunst konfrontierte. Er betrachtete das Theater wie ein Maler und die Musik wie einen Pinsel. Er zerlegte das Bühnengeschehen in seine Bestandteile, er entzog den Schauspielern jede Form dramatischen Handelns, indem er ihre Bewegungen, sogar in ihren Gesichtern stark einschränkte, und brachte damit das Essentielle in den Ausdruck, den einzelnen Ton, Sprache als Form der Musik, das Gefühl in der Stimme, Licht und Schatten, einen Gegenstand in der Leere des Raumes, die Veränderung als Spiel mit der Zeit. Wilsons Methode , ein Drama auf seine Formen zu reduzieren und damit – als Groteske – überdeutlich zu machen, beeinflusste wiederum einen neue Generation von Regisseuren wie zum Beispiel Michael Thalheimer.
Mit Isabelle Huppert hat Wilson schon einmal gearbeitet, 1993 in der Soloperformance „Orlando“. Er sei ein „Meister des Formalismus“, sagt Huppert in Hamburg, befragt nach dem engen Rahmen, in dem sie zu spielen hat. Inhaltlich habe sie dagegen alle Freiheiten, „und das ist das Schöne!“ Der sehr poetische Text von Darryl Pinckney, der auch „Orlando“ schrieb, hat kaum etwas mit Schillers Drama gemein, eher mit James Joyce und Virginia Wolf. Er folgt den schwer zu entwirrenden Gedanken und Gefühlen der Königin über ihr Leben vor ihrer Hinrichtung. Vieles erinnert an frühere Wilson-Abende: Huppert schreitet irgendwann die Diagonale ab, immer wieder, wie schon vor damals die Tänzerin bei „Einstein“. Ihre Gesten und ihr historisches Kostüm wirken wie ein Zitat aus Wilsons diversen Opern, die er seit Jahren als Gemälde aus Licht und Raum, als lebende Bilder inszeniert. Weniger erbaulich ist allerdings die Musik von Ludovico Einaudi, die den Abend in einem Brei aus seriellen Versatzstücken und romantischem Floskeln zu versenken droht. Am Ende gibt es stehende Ovation für die enorme Leistung Isabelle Hupperts, und natürlich den Meister himself, der schon am nächsten Abend zur Premiere seiner Puccini-Bearbeitung, der Oper „Turandot“ in Toronto erwartet wird.
„Mary said what she said“
Robert Wilson, Darryl Pinckney, Ludovico Einaudi, Isabelle Huppert / Thalia International / Frankreich / Deutschland-Premiere
Dauer 1:20h, keine Pause
Thalia Theater, Alstertor, 20095 Hamburg
Weitere Informationen
Alle Portrait- und Szenenfotos: Lucie Jansch
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