Musik
Haydn, Dowland, Gubaidulina: Musikalisches Passions-Triptychon

Das Ensemble Resonanz würdigt als einzige Hamburger Institution den 80. Geburtstag der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina.
Ihre „Sieben Worte“ für Violoncello, Bajan und Streicher wurden am vergangenen Sonntag in der Kulturkirche Altona umrahmt von Joseph Haydns Sinfonie Nr. 44 e-moll, genannt „Trauer-Sinfonie“ und Auszügen aus John Dowlands „Lachrimae or Seven Tears“.

Das Ensemble präsentiert drei vollendete Interpretationen von Werken der Spätrenaissance, der Klassik und der Moderne. Eine gewagte Spannung aus vier Jahrhunderten – zusammengehalten durch das Thema Trauer und durch das gestalterische Vermögen des Ensembles, authentisch, spontan und voll Freude zu Musizieren und das auf selten hohem handwerklichen Niveau.
Die geniale Programmauswahl ist Tom Glöckner zu verdanken, einem der Dramaturgen und Violinisten des Ensembles. Der geschmeidige und von Konzert zu Konzert noch mehr eigene Klang des Kammerorchesters offenbart die glückliche Zusammenarbeit mit dem Artist in Residence, dem Cellisten Jean-Guihen Queyras.

Doch warum soviel Euphorie?

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Selten hört man einen so farbenfrohen und fein durchgestalteten Haydn (*1732; gest. 1809). Ohne Dirigenten gespielt, wirkt diese Sinfonie wie ein lebendiges Gewebe aus musikalischem Diskurs. Die Musiker hören einander zu und orientieren sich an jeweils unterschiedlichen Stimmen. Die Freiheit der einzelnen Musiker zur Ganzheit des Orchestersatzes; ein gemeinsamer Puls aus kammermusikalischer Transparenz. Ein Beispiel: im Menuetto strahlen plötzlich alle Spieler bei einer Zwischendominante – einfach mitreißend. Das Adagio überzeugt klanglich wohl proportioniert mit betörenden Kantilenen. Das Presto: fein ziselierte Virtuosität voll Haydnschen Humors.
Das Bild der Trauer ist im letzten Satz nachvollziehbar, obwohl der Name „Trauer-Sinfonie“ nicht von Hadyn selbst stammt, sondern wohl auf dessen Wunsch zurückgeht die Aufführung des Adagios bei seiner musikalischer Beerdigungsfeier aufzuführen.

Die vier Sätze aus „Lachrimae or Seven Tears“ von John Dowland (*1563; begr. 1626) nehmen den Hörer mit auf eine Zeitreise ins England von Elisabeth I. und verdeutlichen musikalisch die Auferstehung einer heute toten Epoche mit Klängen über alte, geseufzte, traurige und wahre Tränen.

Vergänglichkeit, Leid und Auferstehung sind auch das Thema des Hauptwerks im Programm: Der „Sieben Worte“ von Sofia Gubaidulina (*1931). Dank der einführenden Worte der Bajan-Spielerin Elsbeth Moser im „Lauschangriff“ über das Werk war das Ohr vorbereitet, eine weitere Klangreise zu unternehmen. Gubaidulina macht die Kreuzsymbolik hörbar. Cluster, Glissandi, Tremoli, extreme Lagenwechsel, Polyrhythmik, Skalen, Tonreihen, Verwendung von Vierteltönen – all dies formt die Komponistin zu ihrer persönlichen, menschlich wirkenden Tonsprache.
Gubaidulina gebraucht zwei Soloinstrumente, um das Verenden und die Transformation Christi zu beschreiben. Das Cello drückt das physisch-menschliche Leid des Körpers aus, das Bajan aber spiegelt diesen Vorgang von der göttlichen Seite. Beide Instrumente zerren, schreien, zucken, bäumen sich auf, zittern, verzagen und hauchen den letzten Atem aus. Das Ensemble vervollständigt das musikalische Passionsbild mit teilweise betörenden, teilweise die Grenzen des Leids auslotenden Klängen: die Transformation eines Überganges in ein himmlisches Jenseits.

Zurückgeholt wird das Publikum mit dem vierten Satz von Dowland: „Lachrimae verae - Wahre Tränen“ von der Seitenschiff-Empore gespielt. Zurückgeholt in eine Gegenwart, die 400 Jahre alt ist aber heute noch greift und berührt.

Dieses musikalische Triptychon ist eine gelungene Würdigung der russischen Komponistin, ein Erlebnis der Sinne und Gefühle sowie eine musikalisch vitale Kombination.


Foto Header: Sofia Gubaidulina
Fotos Galerie:
1. Ensemble Resonanz (Foto: Michael Haydn)
2. Jean-Guilen Queyras, Violoncello (Foto: Marco Borggreve)
3. Elsbeth Moser, Bajan
4. Sofia Gubaidulina (Copyright: Sikorski Musikverlage)


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