Musik

Konzert für Koroliov – ein musikalischer Dank

Keiner spielt Bach so wie er. Und doch führte Evgeny Koroliov über 30 Jahre ein Doppelleben: Neben seltenen Konzertauftritten war der gebürtige Russe mit Herz und Seele hoch geachteter Klavierprofessor an der Hamburger Musikhochschule. Aus Anlass seiner Emeritierung luden jetzt Schüler und Freunde des Weltklasse-Pianisten zu einem ganz besonderen Danke-schön-Konzert ins Rolf-Liebermann-Studio. Um es gleich zu sagen: Es blieb nicht bei Bach.


Fast wirkten sie ein bisschen unauffällig zwischen den anderen Programmpunkten, die Freunde und dankbare Schülerinnen und Schüler im komplett ausverkauften Rolf-Liebermann-Studio an zwei Steinways spielten: Evgeny Koroliov, im einzigen Solo-Block des Abends, sieben der kleinen „Sinfonia“ genannten Klavierstücke von Johann Sebastian Bach, Klavierschülern auch als dreistimmige Inventionen bekannt.

Natürlich spielte er Bach bei seinem verspäteten Abschiedskonzert als Professor der Hochschule für Musik und Theater, an der er Generationen von Klavierschülern geprägt hat. Bach, der Komponist, mit dem man ein Leben lang ringt. Bach, von dem Koroliov einmal sagte: „Man kann nicht erklären, was Bachs Musik ausstrahlt... Sie ist eine Art Analogon zur Weltschöpfung: Das ist jetzt gut, das ist richtig. Es geht nicht darum: Ist es melancholisch oder lustig, es hat eine ganz andere Dimension, ein Gefühl von innerer Harmonie, von Trost und – einzigartig, vielleicht klingt das zu hart – von Akzeptanz des Todes. Sie strahlt ein sehr tiefes Vertrauen aus.“ Dass der Komponist György Ligeti die Aufnahme der „Kunst der Fuge“ seines Kollegen Koroliov als einzige überlebenswichtige Ton-Konserve auf die berühmte einsame Insel mitnehmen wollte, ist eine viel strapazierte Anekdote.
Aus der „Kunst der Fuge“ hätte Koroliov auch spielen können, doch wählte er die vergleichweise simplen Sinfoniae. Vielleicht, weil Bach ihnen ein paar Worte vorangestellt hatte, die auch Maxime für Koroliov Unterricht sein könnten?
Bach schrieb: „Auffrichtige Anleitung, womit denen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehrbegierigen, eine deutliche Art gezeiget wird, nicht alleine mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern bei weiteren Progressen auch mit drei obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren, anbei auch zugleich gute Inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und daneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen.“
Koroliov demonstrierte vollendet, was es heißt, aus großer Innerlichkeit heraus „reine“ zu spielen, klar, transparent, auch bei „drei obligaten Partien“ jede Stimme hörbar zu halten und „am allermeisten eine cantable Art im Spielen zu pflegen. Ein dezenter, feiner Richtungspfeil für alle, die nun nach ihm an der Hochschule lehren werden.

Große Reden mag Koroliov nicht. So blieb es beim kurzen und umso herzlicheren Dank des Musik-Hochschul-Präsidenten Elmar Lampson. Und dann erwiesen 14 Pianisten, längst selbst auf den Konzertbühnen und in den Hochschulen aktiv, ihrem Lehrer und Freund ganz musikalisch Anerkennung und Dankbarkeit. Meist zu zweit am Klavier oder vierhändig, in der einleitenden „Zauberflöte“-Ouvertüre sogar 8-händig (Yoonhee Yang, Varvara Nepomnyaschaya, Chihiro Kubo und Koroliov-Sohn Andrej) und mit geradezu symphonischer Klangfülle. Debussy folgte (Olena Kushpler und Hubert Rutkowski sowie Stepan Simonian und Ivan Rudin), Schostakovitsch (Anna Vinnitskaya, Ivan Rudin). Nach der Pause dann der Geehrte selbst, gleich noch einmal Bach (Antonio Di Dedda und Muzaffar Muidinov) und Brahms Maria Kovalevskaya, Galina Gusachenko, Natalia Ehwald, Yoonhee Yang).

Begeisterung für die Musik, nicht Selbstbestätigung in der Musik
So unterschiedlich der Zugriff auf die 88 schwarz-weißen Tasten, so klar war doch zu spüren, dass ein Lehrer wie Koroliov einen bestimmten Typus zum Unterricht anzieht und auswählt. Er hat es einmal so formuliert: „Ich möchte meinen Schülern die Begeisterung für die Musik mitgeben, nicht für die Selbstbestätigung in der Musik, sondern für die Musik an sich. Ich möchte ihnen auch den Kontext der Musik in den anderen Künsten zeigen, und ich möchte erreichen, dass sie mit einigen Zeitgeist-Erscheinungen der heutigen Welt nicht so konform sind.“ Bei allen war das zu spüren: großer Respekt und Achtung, die sie der Musik entgegenbringen.
Wie das dann auch bei sehr viel effektvolleren Werken als den kleinen Sinfoniae funktioniert, demonstrierte Koroliov im Duo mit seiner Ehefrau Ljupka Hadzigeorgieva mit Dvorák und vor allem mit dem zweiten Teil von Strawinskys „Sacre du printemps“. So luzid strukturiert, wie die beiden das einstige – und immer noch aufwühlende – Skandalstück spielten, konnte man viele rhythmische und harmonische Feinheiten entdecken, die kein Symphonie-Orchester der Welt hörbar machen kann. Das würde der bescheidene Klavierprofessor natürlich sofort abwehren, vielleicht so: „Ich führe Bescheidenheit zurück auf Bescheid wissen. Wenn man Bescheid weiß: Ich bin so und so, aber es gibt auch anderes und Größeres – diese Bescheidenheit, die ist mir wichtig.“
Dieser Abend kam ohne Zugaben aus, warum auch – was hätte ein Mehr an Musik noch dazutun können? Dafür gab es gewaltigen, von Herzen kommenden Beifall. Wer das Konzert versäumt hat, kann es bei NDR Kultur hören, wenn es in Januar 2017 ausgestrahlt wird (Termin wird noch bekannt gegeben).

Alle Koroliov-Fans in Hamburg sollten sich schon jetzt den 13. Dezember 2016 im Kalender dick anstreichen: Da spielt er um 19.30 Uhr im Großen Saal der Laeiszhalle Schubert. Und natürlich Bach.



Abbildungsnachweis:
Evgeni Koroliov Foto: Gert Mothes

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