Musik
Heaven Can Wait Chor

Stayin‘ Alive – mit diesem Song machten die Bee Gees 1977 Furore. Heute lebt von den drei Pop-Brüdern, Barry, Robin und Maurice Gibb, nur noch Barry. Doch der hätte mit seinen 69 Jahren kaum eine Chance, seinen Hit im Heaven Can Wait Chor zu singen.
70 Jahre ist Mindestalter in diesem Chor. Das hindert die 36 Mitglieder jedoch nicht daran, Songs im Programm zu haben, die eher die Enkel hören. Der Bee Gees-Hit von 1977 ist hier das älteste Stück.
 
„Es war die absolute Hölle! Ich wollte diese Pop-Songs nicht.“ Birgit Stiebeling (77), nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Musikwissenschaftlerin mit dem Fachgebiet „Italienische Oper“ hatte sich etwas „völlig anderes vorgestellt“, als sie sich vor gut drei Jahren auf die Anzeige im Hamburger Abendblatt gemeldet hatte: „Ich dachte an Broadway-Musicals, an all die alten Schlager, die ich noch von früher kannte“.

Pustekuchen! Chor-Chef Jan Christof Scheibe, Komponist, Arrangeur, Musikproduzent und auf so ziemlich allen Hamburger Bühnen zu Hause, hatte sich gemeinsam mit dem St. Pauli Theater etwas ganz anderes ausgedacht: Einen Generations-Dialog ganz besonderer Art: Oldies singen die Hits von heute. Wobei der Begriff „heute“ durchaus großzügig gefasst ist. „Sexy“ von Marius Müller-Westernhagen ist schließlich auch schon von 1989 und „Da da da“, einer der größten Erfolge der Neuen Deutschen Welle, von 1982.  Selbst „Die Perfekte Welle“ (2004) der Gruppe Juli und Peter Fox‘ Megahit „Haus am See“ (2008) sind schon in die Jahre gekommen.

Aber natürlich nicht aus Sicht des Heaven Can Wait Chores. Wer, wie Birgit Stiebeling, sämtliche Partituren mit der Hand abgeschrieben hat, weil es noch keine Copy Shops gab, für den sind diese Songs ultramodern.  Stellt sich nur die Frage, warum die temperamentvolle Seniorin in diesem Chor geblieben ist. Birgit Stiebeling schmunzelt. „Ich bin ein sturer Bock“, sagt sie. „Ich dachte mir, jetzt hast Du das angefangen, jetzt ziehst du das auch durch!“. Und nach einer kurzen Pause: „Und außerdem macht es hier einfach unheimlich viel Spaß“. Das ist es! Und das merkt man auch bei dieser Chorprobe im Kampnagel Verwaltungsgebäude Anfang Dezember. Von Coldplay, Juli und Deichkind haben sicher die wenigsten vorher gehört, geschweige denn davon geträumt, deren Lieder zu interpretieren. Aber nun tun sie es und sie machen es hervorragend. Auch Evamarie Scheibe (80), die Mutter des Chorleiters, gibt unumwunden zu, dass sie anfangs mit diesen Songs „sehr gefremdelt“ hat. „Ich kannte viele Bands gar nicht. Das ist ja eher die Musik meiner Enkelin“ Auf der anderen Seite aber würde sich für sie nun ein Kreis schließen. „Nach dem Krieg habe ich im Mädchenchor ohne Noten gesungen, einfach, weil es keine Noten gab. Und heute singen wir wieder ohne Noten“.

Wie ausgezeichnet das klappt zeigt sich beim Weihnachts-Medley, der nun für die Kampnagel-Gastspiele geprobt wird. Ganz besinnlich geht es los – doch nur drei Takte lang. Dann wird losgerockt. Der Chor ist unglaublich gut bei Stimme. Und die Soli gehen unter die Haut, insbesondere das von Joanne Bell (76) der einzigen Profisängerin des Chores und bekannt als eine der „Three Ladies Of Blues“. Sie ist eine Klasse für sich, aber man merkt deutlich, dass alle  Amateure langjährige Chor-Erfahrungen mitbringen. Das gilt auch für Hans-Jürgen Grapenbrade (74), früher mal Vorstand einer kleinen Betriebskrankenkasse vor den Toren Hamburgs. In schwarzer Lederhose und offenem Hemd sieht er aus wie ein eingefleischter Rock‘ n‘ Roller. Grabenbade lacht. „Eigentlich singe ich eher Gospels, aber das hier ist spritziger. Ich fühle mich einfach jung, wenn ich singe“. Und genau das hört man – 36 Mal. Der Heaven Can Wait Chor bringt zwar zusammengerechnet mehr als 2000 Lebensjahre auf die Bühne, ist aber, um es mit Deichkind zu sagen: „Leider Geil“.


Heaven Can Wait Chor,  21.,22., 25., 26., 27., 28. Dezember auf Kampnagel, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg.
Jeweils 19 Uhr, am 25. 12. Um 15 Uhr. Tickets unte 040-47110666 und allen bekannten VVK-Stellen.  
 
Foto: Copyright Stefan Malzkorn

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