Musik
Brooklyn Jazz Underground

In den USA ist das Label „Brooklyn Jazz Underground Records“ (BJUR) bei Jazzfreunden längst eine bekannte Größe und unter den Top 10 der beliebtesten Plattenfirmen für Jazz – in Zentraleuropa kann man sie nun ebenfalls kennenlernen: BJUR veröffentlicht erste Alben am 28. August, dann auch auf dem deutschsprachigen Markt.

2008 in einem der kreativsten Stadtteile New York Citys gegründet, ist BJUR die jüngere Schwester des Projekts „Brooklyn Jazz Underground Collective“ – gegründet 2005 – ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher Komponisten, Bandleader, Produzenten und Musiker.
Gründungsmitglieder sind Anne Mette Iversen, Alexis Cuadrado, Sunny Jain, Dan Pratt und Alan Ferber; hinzukommen später Rob Garcia, Adam Kolker, David Cook, und David Smith. Weitere stoßen hinzu wie Kurt Elling, Jeremy Siskind, gehen wieder, kommen zurück, je nach Projekt und Bedarf. Jazz, improvisierte und unkonventionelle Crossover-Musik sind die Basis der Musiker, die keinerlei Angst davor haben dürfen, einmal Dinge auszuprobieren, auch wenn etwas nicht gleich gut und erfolgreich klappt. Das ist Teil der Philosophie und sie sind bislang damit gut und produktiv gefahren. Ein anderer Teil geht davon aus, dass sie mit einem Stilvarianten Programm aufwarten, und alle Musiker sind irgendwann sowohl Produzenten sowie Eigentümer von BJU und bei Veröffentlichungen werden alle gleich behandelt, egal wie erfolgreich die oder der einzelne national und international auch sein mag. Künstlerische Visionen stehen nach eigenem Bekunden vor kommerziellen Interessen; da müssen alle nachhaltig am gleichen Strang ziehen und Teamgeist beweisen.

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Und als ob dies nicht schon genug sei, betrieben die Musiker auch noch eine Zeit lang ein eigenes wöchentliches Internet-Radioprogramm „Brooklyn Jazz Underground Radio“, jedoch fiel das unter die Rubrik „ausprobieren“ und wurde Ende 2011 eingestellt.

Die verschiedenen Formationen, Gruppen und Einzelmusiker live zu erleben ist sicherlich die beste aller Möglichkeiten, denn nur bei den Konzerten ist die Mischung aus Können, neuem Entdecken, den Entwicklungen, dialogischer Improvisation so einzigartig. Mit einem eigenen Festival, dem jährlich stattfindenden, eintägigen „Brooklyn Jazz Underground Festival“ können Besucher am 20. August 2015 im ShapeShifter Lab (18 Whitwell Pl, Brooklyn, NY 11215) die fünfte Ausgabe genießen.

Die erste Veröffentlichung des Labels war ein Sampler von Brooklyn Jazz Underground. Die Nummer 002, eine Doppel-CD „Best of the West" und „Many Places", ist ein mitreißendes Album des Anna Mette Iversen Quartetts in Kooperation mit den Streichern von „4Corners" und auf der zweiten Scheibe, dem Quartett allein. Schon hier zeigen die New Yorker Macher was in ihnen steckt und wie empfänglich sie für Grenzüberschreitungen sind, denn die Nähe zur Neuen Musik ist unüberhörbar. Erwähnenswert ist auch Album Nummer 048, „Not Dark Yet" von Nathan Parker Smith und seinem Large Ensemble. Auch diese Scheibe lotet Grenzen aus – mit Bigband-Sound, spielt mit Annäherungen zum Rock und Heavy Metal, nimmt dramatische Filmmusikzitate mit und schreckt auch nicht vor Geräusch zurück. Auf Album Nummer 053 „Housewarming" des Pianisten Jeremy Siskind sind übrigens bei zwei Stücken die geniale Stimmen von Kurt Elling und Peter Eldridge zu hören, bei allen anderen die unaufdringlich-jugendliche, Reinheit ausströmende, von Nancy Harms. Elling kann mit einer gewissen Schärfe und Rauheit seiner Stimme ganz eigene Atmosphären kreieren, die dem Jazz in idealer Weise zuspielen. Eldridge hingegen hat zwar auch einen rauen Ton im Repertoire, doch seine Grundklangwärme erinnert stark an R&B und Latin Music. Wundervoll sein Duett mit Nancy Harms in „New Old West Theme".
Mit all dem sind die BJU-Umfeld-Musiker nun so arriviert, dass Europa sich ab Ende August auf die neuen Alben freuen kann! Es hat über 50 Veröffentlichungen gedauert, bis sich BJUR nun nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz aufmacht, um Album Nummer 54 und 55 vorzustellen: Das David Smith Quintet mit „Impetus“ und David Cook mit „Scenic Design“. Besonderheit: Trompeter David Smith ist auch auf dem Album von David Cook zu hören.

Beide Alben sind musikalisch und technisch von höchster Qualität und die Kompositionen berühren, greifen und machen Lust auf mehr. Beiden Einspielungen gemein ist, dass sie als aufeinander bezogene, folgerichtige Tracks choreographiert sind. Kompositorische Bezüge, klangliche Abfolge, Grundtenor der Improvisationen und eine ausdifferenzierte, balancierte Melodik sind miteinander großartig abgestimmt und verwoben.

„Impetus“ des David Smith Quintets ist auf analogen Bandmaschinen, live in einem Einraumstudio aufgenommen und sofort gemastert worden. Der innere Antrieb, die begeisterte Motivation quillt aus jedem einzelnen Stück. Die ersten drei Kompositionen fließen ineinander über. Das hat einen unglaublich natürlichen und lyrischen Effekt – also ob das Quintett direkt neben dem Hörer spielen würde und die Musiker einzelne Episoden des Lebens erzählen. Der Sound der Trompete bei „Moments“ ist kristallklar führend, ja, fast unschuldig rein und wird bei „Bond“ zunächst vom Saxophon und der Gitarre in der Führung abgelöst. Nun ist nichts mehr kristallklar, die Töne ziehen sich, bilden eine diffuse Aura, die schließlich auch von der Trompete aufgenommen wird. Brillant der Facettenreichtum und die Ausdruckskraft der fünf Musiker.
„The Toaster“ ist anfangs ein Bassorientiertes Stück, etwas vibrierend dumpf, bevor schnelle, kecke Passagen für extreme Beschleunigung sorgen – ein musikalisch heftig atmender Dauerlauf.
Hervorragend ist Stück Nummer fünf. Starr Street – eine Hommage an eine mittlerweile kreative Straße voller Wandmalereien in Brooklyns Norden: Bushwick. Das heute überwiegend von Latinoamerikanern bewohnte Viertel war einmal im Besitz des berühmten Peter Stuyvesant und trug den Namen „Boswijk“, was soviel wie Waldviertel bedeutet. Von Wald kann heute allerdings keine Rede mehr sein. Eine ganze Reihe von bekannten Größen stammen aus Bushwick: die Schauspieler Eddie und Charlie Murphy sowie Mae West beispielsweise als auch die Rapper Bushwick Bill (Dr. Wolfgang Von Bushwickin the Barbarian Mother-Funky Stay High Dollar Billstir) und O.C. (Omar Credle).
„Intersection“ heißt der Ausklang des Albums; ganz ruhig und unaufgeregt im Dialogwechsel von Saxophon und Trompete sowie Gitarre und Trompete. So fließt das Stück über zehn Minuten fast träumerisch vorbei und endet mit einem einzigen langsam fortklingenden Akkord der E-Gitarre.

David Smith sagt über die sechs Tracks von „Impetus“: „Ich fühle, dass das Album mich mit meiner musikalischen Vergangenheit verbindet. Gefühlsmäßig und klanglich ist es auch irgendwie ein Rock-Album geworden. Das war keine bewusste Entscheidung – sondern das, was dabei herauskommt, wenn ich ehrliche Musik mache...“

„Scenic Design“ von Bandleader, Pianist und Komponist David Cook ist der reine Ohrenschmaus! Cook ist ein vielseitiger Musiker, spielt in kleinen Ensembles und Bigbands, arbeitete beispielsweise mit Taylor Swift, Lizz Wright, Marianne Faithful und Shayna Steele. Letztgenannte ist die kalifornische Schauspielerin, Sängerin, Singersongwriter und Ehefrau Cooks, die als Gast das wundervolle Stück „I Know You Know“ singt. Piano, gedämpftes Schlagzeug und Soul-Stimme sind die unschlagbare Kombination dieser Balladenhaften Komposition.
Der Kanadier Ben Wendel spielt nicht nur Saxophon, er ist auch Musiker der Jazz-Fusion-Punk-Formation „Kneebody“ komponiert und produzierte für Kent Nagano eine Konzertreihe fürs „Festspiel plus“ in München. Sein Saxophonsound ist einnehmend vielseitig. In „Long Ago & Far Away“ ist dieser beiläufig spielerisch, manchmal fragmentarisch bis abgerissen in der Formulierung und dann plötzlich am Ende und besonders im Titelstück des Albums, “Scenic Design“ exakt, präzise und frisch. „Das Titelstück ist das Lieblingsstück der Musiker, weil es Freiheiten lässt und den Musikern viel Raum gibt“, sagt Cook. Es hat alles was ein gutes Jazz-Stück benötigt, eine Strecke Individualität, Tempowechsel, Gleichklang und ist Herausforderung.
Schon nach den ersten Tönen des Albums bei „Flower + Hope“ ist der Hörer überzeugt – hier erhält er etwas Besonderes – und die Reise durch die neun Tracks bis zum Ende mitzumachen.
Ein hervorragendes Arrangement ist „Safe & Sound“, eine vergleichsweise kurze Komposition von Taylor Swift. Piano, Saxophon und Trompete bilden den gemeinsamen Kommunikationsstrang mit gleichbleibender und authentischer Tonalität.
„Midwestern“ gleitet wie eine Autofahrt mit Tempomat durch den musikalischen und gedanklichen Raum. Gedanken und Zeit werden nämlich in diesem Stück zu einer Einheit. Bilder einer Landschaft entstehen vor dem inneren Auge. Kontemplation ohne Entleerung. Hier und in „Still“, dem letzten Stück, bekommt dann auch Cook mit seinem Piano adäquaten Raum für ein Solo.

Impetus
David Smith (Tr), Dan Pratt (Sax), Nat Radley (Git), Gary Wang (Bass), Anthony Pinciotti (Dr)
CD, 51’30
Label: BJUR (54)
LC: 45506
Vertrieb: finetunes
VÖ: 28.8.2015

Scenic Design
David Cook (P), David Smith (Tr), Ben Wendel (Sax), Matt Clohesy (Bass), Kendrick Scott (Dr), Shayna Steele (Voc [„I Know You Know“])
CD, 45’83
Label: JUR (55)
LC: 45506
Vertrieb: finetunes
VÖ: 28.8.2015

Weitere Informationen:
Brooklyn Jazz Underground
Brooklyn Jazz Underground Records
Brooklyn Jazz Underground Festival 2015
Hörproben:
Impetus
Scenic Design


Abbildungsnachweis:
Header: v.l.n.r.: „Brooklyn Jazz Underground“ sind Anne Mette Iversen (Bass), David Smith (Trompete), Adam Kolker (Klarinette, Saxophon, Flöte), Rob Garcia (Schlagzeug), Owen Howard (Schlagzeug), Tammy Scheffer (Gesang) und David Cook (Piano, Keyboard).
Galerie:
01. David Smith
02. Album-Cover „Impetus“
03. David Cook
04. Album-Cover „Scenic Design“
05. Shayna Steele im Studio. Foto: Anissa Martell
06. Ben Wendel. Foto: Josh Goleman
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