Das Saxophon wurde Anfang der 1840er-Jahre erfunden und machte Adolphe Sax unsterblich. Das Buch „Saxophone – Ein Instrument und sein Erfinder“, herausgegeben von Frank Lunte und Claudia Müller-Elschner, blättert die unglaubliche Geschichte des Instruments auf, das in der klassischen Musik nicht recht Fuß fassen konnte, zur Clownströte in Revuetheater verkam, bis es im Jazz zu seiner wahren Bestimmung fand.
Richard Wagner nannte den Instrumentenbauer „einen schrecklichen Mann“, Hector Berlioz lobte den unvergleichlichen, ja „majestätischen“ Ton des nach dem Erfinder benannten Instruments, die Nazis ekelten sich einerseits vor dem „meist weichlichen, qualligen, zuweilen ungesunden, schwülen Klang“, während ihre Luftwaffenmusikkorps es bis weit in die 40er-Jahre weiterspielten und sogar Instrumente mit eingraviertem Hakenkreuz herstellen ließen. Das Saxophon des Belgiers Antoine-Joseph, genannt Adolphe, Sax bereichert die Welt der Musik. Und es hat sie lange gespalten.
In 15 Kapiteln und Exkursen von 13 Autoren zeichnet das von Frank Lunte und Claudia Müller-Elschner herausgegebene und liebevoll gestaltete Buch „Saxophone – ein Instrument und sein Erfinder“ auf Deutsch und Französisch die Entstehung und den Siegeszug dieses Instruments nach, das trotz seines Blechkorpus zur den Holzblasinstrumenten gezählt wird.
Den Einstieg macht eine so fachkundige wie leidenschaftliche Tour d’horizon rund um das Saxophone, die Roger Willemsen verfasst hat und die auf die beigefügte CD des Herausgebers Frank Lunte ebenso verweist wie auf die Gipfel der Saxophon-Kunst, die im Jazz gestürmt wurden.
Und dann geht es zurück in die 30er- und 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts, Aufbruchsjahre in der Musik nach der Wiener Klassik. Der Musikgenuss rückte näher ans bürgerliche Volk heran, man spielte in größeren Sälen, das Virtuosentum blüht auf, und für die neuen Wege der Komponisten mit immer komplexerer Harmonik müssen neue Klänge her. Eine Herausforderung für den Instrumentenbau, der in eine Zeit fiel, in der sich Wissenschaft und Technik rasch entwickelten und in der eine große Experimentierfreude herrschte.
Geboren 1814 als Sohn eines Instrumentenbauers wuchs Adolphe Sax mit fünf Brüder und fünf Schwestern praktisch in der Werkstatt seines Vaters auf. 1835 entwarf er sein erstes eigenes Instrument, eine Klarinette mit 24 Klappen, 1838 bekam er sein erstes Patent für einen neuen Typus der Bassklarinette.
Die erste Performance fand hinter geschlossenem Vorhang statt
Musiker und Komponisten suchten damals vor allem nach einem tragfähigen Holzbläserbass. Der Klang des altertümlichen Serpents galt als hässlich, das Fagott war zu leise, die Ophikleide, eine Art Saxophon mit Trompetenmundstück zu unflexibel. Adolphe Sax experimentierte Anfang der 40er-Jahre, und seine entscheidende Erfindung – neben einer Korrektur der Bohrungen und einer neuen Klappenanordnung, war es, eine Art Ophikleide mit einem konischen Rohr und einem einfachen Rohrblattmundstück zu versehen. Er baute das Instrument wegen des geringeren Gewicht aus Blech, weil er wusste, dass der Klang vom Mundstück und von der Form der schwingenden Luftsäule abhing. Ganz selbstbewusst nannte er das Ergebnis einfach nach sich selbst: Saxophon.
1841 führte er sein neues Instrument erstmals auf einer Industriemesse in Brüssel vor – hinter einem Vorhang verborgen. Mögliche Nachahmer sollten es nicht zu einfach kopieren können, bevor er den Patentbrief in den Händen hielt, der ihm die Rechte in gleich acht unterschiedlich großen Ausführungen sicherte – eine ganze Instrumentenfamilie.
1842 zieht Sax mit seiner eigenen Firma nach Paris um. Ein quirliger Erfinder – er baut Saxtrompeten mit sechs Ventilen, Saxposaunen mit sieben Schalltrichtern (sehen aus, als kämen sie vom bekifften Designer eines Hippie-Covers), Saxhörner, Signaltrompeten fürs Militär und – die neue Zeit – Dampfpfeifen für die Eisenbahn.
Das eine ist, so ein Instrument zu erfinden. Das zweite, es bekannt zu machen. Monsieur Sax war ein Marketing-Genie. Er gewann den Komponisten und Musikjournalisten Berlioz dazu, das Instrument in den Himmel zu loben (der setzte es aber nur einmal ein – in seiner „Hymne pour instruments de Sax“). Er organisierte Vergleichskonzerte, aus denen seine Instrumente regelmäßig als Sieger hervorgingen. Und da sich die klassische Musik vergleichsweise schwer bewegen ließ, trat er 1845 auf dem Marsfeld in Paris gegen eine herkömmliche Militärkapelle mit einer eigenen an. Ein glänzender Sieg, das Verteidigungsministerium favorisierte ab da seine Instrumente. Sax’ Firma wuchs und baute in den besten Zeiten 1500 Instrumente jährlich.
Gute Kontakte durch einflussreiche Nebenjobs
1844 hatte er die Oper erobert – Georges Kastner, ein Freund von Sax, hatte eine Sax-Partie in „Le Dernier Roi de Juda“ komponiert. Meyerbeer ließ fünf Jahre später in einer Oper zwölf Saxhörner aufmarschieren und schrieb 1864 das Saxophon in seine letzte Oper „L’ Africaine“ hinein. Beziehungen muss man haben. Adolphe Sax war seit 1847 für die Zusatzmusik an der Pariser Oper verantwortlich. Saß also an der Quelle, und trug 1860 Wagner für dessen „Tannhäuser“, weil er zwölf Hornisten nicht beibringen konnte, Saxhornisten an. Was den Meister so verärgerte, dass er davon absah, die Hirtenmelodie in „Tristan und Isolde“ für ein Sopran-Saxophon zu komponieren.
Rossini war ihm deutlich gewogener, der richtete schon 1844 am Konservatorium in Bologna eine Saxophon-Klasse ein und sagte, er habe nie etwas Schöneres gehört. Trotzdem reüssierte das neuartige Instrument nur langsam. Konkurrenten überzogen Sax mit Patentprozessen, Revolutionen und Wirtschaftskrisen machten ihm das Leben schwer. Die sichersten Abnehmer waren meist die Blas- und Militärkapellen. 1857 übernahm Sax deshalb die Klasse für Militärmusik am Pariser Konservatorium, das ihm wiederum gute Kontakte zu Musikern und Komponisten verschaffte.
Sein Unternehmerglück bleibt dennoch wechselhaft, 1877 geht sein Betrieb in die Insolvenz, ein Sohn führt es weiter, bis es 1928 vom Instrumentenbauer Selmer übernommen wird. Der geniale Erfinder (46 Patente) und Marketingmann Adolphe Sax stirbt 1894 und wird in der Nähe von Jacques Offenbach und Berlioz auf dem Friedhof von Montmartre begraben.
Einen festen Platz im Sinfonieorchester konnte sich sein Saxophon nie erobern, es wurde hier und da eingesetzt von Komponisten, die seinen Klang schätzten. Aber es wanderte von der Blaskapellen- und Militärmusik in die bürgerliche Unterhaltungsmusik ein. Claude Debussy erhielt 1903 von einer reichen Chirurgen-Witwe aus Boston, die selbst Saxophon spielte, einen Kompositionsauftrag.
Im Jazz wurde das Saxophon zum Sinnbild der Moderne
Die Domäne des Instruments blieben Opernfantasien, Potpourris, Charakterstücke. In den USA, wo es schon 1853 ankam, blieb es weitgehend bei der Militärmusik und fand dann den Weg zum Zirkus, zu reisenden Showtrupps und Varietétheatern. Aus dem majestätischen Instrument war eine schließlich Clownströte geworden. Selbst der Jazz verhielt sich lange abwartend. Bis sich Sidney Bechet 1919 in London ein Sopran-Sax kaufte. Mitte der 20er-Jahre kam das Saxophon in den aufblühenden Jazz, Namen wie Benny Carter und Don Redman öffneten Türen, Coleman Hawkins, Lester Young, Charlie Parker, Stan Getz und viele andere loteten mit ihren Soundexperimenten die gewaltigen und sehr persönlich modulierbaren Dimensionen des Saxophonklangs aus.
Im Jazz wurde das Sax ein Sinnbild der Moderne und kam von dort verstärkt in die klassische Musik zurück. Geriet – Albrecht Dümling breitet das kenntnisreich aus – in den Kulturkampf der Nationalsozialisten gegen alles Andersartige. 1933 wurde es in der „Funkstunde“ verboten. 1935 erschien die Zeitschrift „Die Woche“ mit einem zackigen Luftwaffenmusiker in Nazi-Uniform mit Saxophon auf dem Titel. 1938 war ein Schwarzer mit Davidstern am Revers und Saxophon böse karikiertes Plakatmotiv der Ausstellung „Entartete Musik“. Das Saxophon und sein faszinierender sinnlicher Klang hat das alles überlebt und seinen Erfinder, der quirligen Herrn Sax, unsterblich gemacht.
Saxophon-Liebhaber Roger Willemsen schreibt: „Kein Instrument verschlingt seine Solisten so wie das Saxophon. Es treibt sie in den Rausch, in die dauernde Selbstüberschreitung, die Auszehrung.“ Das Buch blättert die verwinkelte Erfolgsgeschichte dieses Instruments mit vielen Facetten und großartigen Abbildungen aus seiner Geschichte noch einmal auf. Ein Muss für alle Saxophon-Fans!
Saxophone – Ein Instrument und sein Erfinder
Frank Lunte, Claudia Müller-Elschner (Hg.), Nicolai Verlag 2014,
162 Seiten mit vielen Abbildungen, plus CD.
34,95 Euro
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Saxophonsatz, Adolphe Sax, Paris, 1860er Jahre; aus der Sammlung des Münchner Stadtmuseums. Foto: Münchner Stadtmuseum
Galerie:
01. Buchcover, Nicolai-Verlag
02. Adolphe Sax. Quelle: Wikipedia
03. Elise Boyer Hall, Saxophonistin und Mäzenin. Quelle: eliseboyerhallsaxophonequartet.com
04. Plakat zur Ausstellung „Entartete Musik“ 1938
05. Charlie Parker gets his be-bopera debut with Daniel Schnyder's "Yardbird" in Philadelphia. Quelle: Wikimedia Commons. Foto: Ray Witten
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