Literatur

Selten gibt es Bücher, die uns Leser von Anfang an so fesseln, so berühren, wie der neue, zweite Roman des im Iran geborenen, in Berlin lebenden Autors Behzad Karim Khani. Schon der Titel „Als wir Schwäne waren“ berührt unser Herz, unsere Seele.

 

Erzählt wird die Emigrantengeschichte eines Jungen, der mit seiner Familie aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist, aus der Ich-Perspektive. Es ist ein hinreißender, beschämender, wahrhaftiger Roman. Grundlage sind wie in seinem Erstlingswerk auch hier die Eckdaten des Lebens von Behzad Karim Khani.

 

Beschämend, herzzerreißend und großartig

Es ist ein Buch über Väter und Söhne, über Familie, über das Leben im Exil. Ein Buch über drei Länder: eines, das verlassen wurde, eines, in dem man ankommt und ein drittes, das die Möglichkeit von Heimat bietet. Im Vorwort, das nicht so benannt wird, wendet sich der Ich-Erzähler an seinen Sohn. Für ihn schreibt er dieses Buch, das einen Brief für den Sohn enthalten wird, erfahren wir. Aber warum ein ganzes Buch, warum genügt ihm nicht ein Brief? Weil du Verbündete brauchen wirst. Und vielleicht hilft dir dieses Buch, sie zu finden, schreibt der Ich-Erzähler, der im Buch Reza heißt und sich eine Gewalt herbeisehnt, die eine Kuhle hinterlässt mit den Umrissen Deutschlands. Reza lebt in einer Siedlung, wo die Küchen keine Abzüge haben, und in deren Fluren es nach Armut, Majoran und Etagenbetten riecht. Es sind die 1990er und er ist mit seiner Familie aus dem Iran ins Ruhrgebiet geflohen. „Worte waren schon früh meine Freunde“, sagt Behzad Karim Khani im Interview mit dem Hanser Verlag Berlin, bei dem seine beiden Bücher verlegt wurden.

 

behzad karim khani als wir schwaene waren COVERBehzads Vater ist ebenfalls Schriftsteller; ein Schriftsteller, dessen Worte im Iran gehört wurden. Einer, der in Khanis neuem Roman „Als wir Schwäne“ waren, ein Mann ist, in dessen Sprache es allein fünfzehn Begriffe für Stolz gibt. Einer, der Deutschland als Kränkung erlebt, der mehr und mehr verstummt, fast sprachlos wird. Seine Gedichtbände rotten im Keller, wo sie das Einzige sind, das sicher ist vor Diebstahl. Die Mutter war in ihrer Heimat als Soziologin tätig. Sie will auch in Deutschland möglichst das Gute sehen, glaubt ans Ankommen, ans Weiterkommen. Doch was ist das alles gegen die unbändige Wut des Sohnes, der uns als Ich-Erzähler begegnet und begleitet. Für ihn gibt es in diesem Bochumer Viertel keine Ruhe, keinen Frieden, kein Ankommen. Auch kein noch so kleines Glück. Dafür aber viel Gewalt, Angst und diese ungehemmte Wut.

 

Sie äußert sich überall. Fair ist in dieser Gegend gar nichts und Gerechtigkeit ein Fremdwort. Dafür gibt es hier jede Menge Lügen und Verletzungen. Sie erzeugen Wunden, die niemals ganz heilen werden. In drei Teilen erzählt der Roman die Geschichte dieses jungen Flüchtlings, der nie ganz angekommen ist in der neuen Heimat Deutschland. Der nie ganz ankommen konnte. Der einmal im Iran Schwäne gesehen hat. Das war an einem Wintertag am Kaspischen Meer. Das war bei einem Bootsausflug mit dem Vater in den Sümpfen. Das war, als der Bootsführer sagte, sie sollten still sein, weil das Waser jedes Geräusch trage und die Schwäne sehr scheu seien und gut hören könnten. Dann hatte der Junge durchs Fernglas gesehen, wie die Schwäne wie beigefarbene Papierkügelchen in dem schwarzgrauen Wasser eines anderen Kontinents liegen, das keinen Horizont besaß.

 

In Deutschland angekommen gibt es für den Jungen eine Idee, die in meinen Füßen steckt. Da, wo jede Trennung Freiheit bedeutet und jede Begegnung Last. Wo Gehen immer die erste Option ist und Bleiben Argumente braucht. / Ich glaube, das Trennung ein Gesetz ist. Mit dieser Aussage ist der erste Teil des Buches überschrieben. Der Junge ist jetzt zehn Jahre alt. Ein knappes Jahr lebt die Familie nun schon in der neuen Heimat, in dieser Bochumer Plattenbausiedlung, in der sich niemand ohne Not ansiedeln würde. Der Vater liest inzwischen Goethe, Nietzsche und Schiller auf Deutsch und kämpft sich durch die verschachtelten Sätze Thomas Manns; die Mutter liest Adorno, Habermas, Luhmann, Sonntag. Der Junge schließt bald einen Pakt mit Nachbarskindern. Irgendwo unter dem Beton saß ein Lumpen-Mephisto und zog Nieten, auf denen unsere Namen stehen. Noch tänzeln die Kids scheinbar schwerelos umher, üben Wehr und Gegenwehr, Diebstahl und Kampf. Sehen Not und Hass. Ich habe Hass gesehen ohne Not. Ohne Ekel. Hass, der eine Entscheidung war. Eine Überlegung. Eine Idee. Menschen, für die ein „Warum nicht?“ Grund genug ist. Mit einem „Vielleicht geeignet“ kommt der Junge aufs Gymnasium. Kumpel Mike landet ein Jahr später auf der Sonderschule, Franky zwei Jahre danach. Die Kindheit ist vorbei. Wir verabschieden uns und bleiben da. Unser Viertel ist ein Aquarium. Wir verstehen nur die Scheiben nicht.

 

Wir sind ein Alptraum. Ich weiß nur nicht wessen, dieser Satz ist dem zweiten Teil des Buches vorangestellt. Die deutschen Kinder sind dem iranischen Jungen befremdlich. Sie empören sich rasch, protestieren bei jeder Kleinigkeit, fühlen sich in einem fort ungerecht behandelt, reden wie die Lehrer oder ihre Eltern. Doch der Ich-Erzähler macht in kurzer Zeit die wenigen Mitschüler ausfindig, die anders sind: Kinder, die sich verspäten, Spickzettel benutzen, Schürfwunden haben. Mit ihnen wird er Beziehungen eingehen, die mit Freundschaft so viel zu tun haben wie ein Waffenstillstand mit Frieden. Hin und wieder dealen wir zusammen. Und damit beginnt der nächste Abschnitt im Leben unseres Antihelden mit Drogen, Sex und Gewalt.

 

Während die Mutter studiert, verdient der Vater Geld als Taxifahrer und Kioskverkäufer. Wenn wenig los ist am Kiosk, führt der Vater Tabellen und Strichlisten über die Häufigkeit von Themen in Zeitungen wie USA, ehemalige Sowjetunion, Jugoslawien, Iran, Irak, Nahost, Asyl-/Ausländerpolitik, Rechtsradikalismus/Drittes Reich. Vom Kioskbesitzer wird er Master genannt. Immerhin, wo doch sein Bachelor in Deutschland nicht anerkannt wird… Allmählich geht es der Familie besser; sie besitzen ein Auto, fahren in den Sommerferien das erste Mal in Urlaub, nach Ungarn. Die Route hat der Vater so angelegt, dass sie über Auschwitz führt. Er will den Geist verstehen, der die Deutschen nach Stalingrad hat marschieren lassen. Ein Gedanke, der zum Topos in den Erzählungen des Vaters und in seiner Nemesis geworden ist.

 

Er erzählt dann von Müttern, die ihre Zwölfjährigen mit Gewehren ohne Munition an die Front geschickt haben. Mit Besenstielen und Bajonetten für einen Führer, der sich schon umgebracht hatte. Mit Sätzen wie diesen fährt die Familie in Urlaub, das Wahrig-Wörterbuch auf der Rückbank. Die deutsche Sprache ist für sie überall (be-)ständiges Thema. Die Mutter ist beispielsweise der Meinung, die Silbe „Ent“ sei von „Ende“ abzuleiten, dem Vater ist das zu simpel. Darüber wird auf der Fahrt diskutiert. Der Junge resümiert: Entfremdung bedeutet für uns das Ende des Fremdseins.

 

Doch das ist eine Illusion. Jeden Tag will ein anderer in diesem Viertel, dass irgendetwas endet, beginnt, bleibt, verschwindet, wiederkommt, stirbt, lebt, liebt, gehorcht, funktioniert, fällt oder aufsteht. Jeden Tag will ein anderer, dass ein für alle Mal Schluss ist mit irgendetwas. Dass eine Sache gilt, hält, stabil ist und belastbar. […]Jeden Tag macht sich ein anderer lächerlich und dann kommt immer Gewalt. Immer. Ich kenne das. An anderer Stelle heißt es: Wir sind Eingeborene, die am Vulkan leben. Diese Aussage entspricht der Bemerkung, die dem dritten Teil des Buches vorangestellt ist: Wir sind Stacheln im Fleisch. Eindringlinge. Wo immer wir sind, bildet der Körper Eiter um uns. Wir stecken im Körper und berühren ihn doch nicht.

 

Sätze wie diese kennzeichnen das gesamte Buch, das bisherige Leben des Jungen, dessen Viertel seine Bewohner zerreibt und die in einem ständigen Abnutzungskrieg leben, der so viele Fronten hat wie die Siedlung Einwohner. Niemand hier ist gerade. Niemand steht. Niemand hat die Brust draußen. Aber ein Ekelgefühl haben wir schon. Wir alle. Wir alle strampeln uns ab in dieser Kloake, halten aber den Kopf über Wasser. Es ist sicher nicht leicht und auch nicht schön, davon zu erzählen. Das Schöne für uns LeserInnen aber ist die Gewissheit, mit „Als wir Schwäne waren“ ein wahrhaftiges, großartiges, authentisches Buch gelesen zu haben. Wussten Sie, dass Schwäne vielleicht Zugvögel sind, vielleicht aber auch nicht? […] Wenn ich gefragt werden sollte, ob ich für immer gehe, werde ich aber sagen: Nein, ich wandere nicht aus. Ich verlagere nur meinen Lebensschwerpunkt. Das ist alles. Zum Trost: es gibt durchaus auch humorvolle Seiten und komische Elemente in diesem Roman!


Behzad Karim: „Als wir Schwäne waren“

Hanser Berlin 2025

192 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag

ISBN: 978-3-446-28142-4

Weitere Informationen (Verlag)

Leseprobe

Verlags-Interview

 

Über den Autor:

Behzad Karim Khani wurde in Teheran geboren und wuchs in einer Künstlerfamilie auf. Er war noch keine zehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Deutschland kam und die Familie sich im Ruhrgebiet niederließ. Seit 2003 lebt er in Berlin Kreuzberg, wo er als freier Journalist und Autor arbeitet. Für seinen Debütroman Hund, Wolf, Schakal, der 2022 bei Hanser Berlin erschien, erhielt er den Preis des Harbour Front Literaturfestivals und den Debütpreis des Buddenbrookhauses 2023. Schon in diesem Erstlingswerk überzeugten die feine Beobachtungsgabe des Autors und seine poetische Sprache.

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