Beruf Künstler - Spitzenverdiener oder Hungerleider
- Geschrieben von Christel Busch -
Der Kunstmarkt boomt. Einer kleinen Zahl von Spitzenverdienern steht eine riesige Schar darbender Künstler gegenüber.
Carl Spitzwegs Bild "Der arme Poet" vor Augen, fahre ich zu zwei freischaffenden bildenden Künstlerinnen. Ich möchte herausfinden, ob das Klischee vom Hungerleider noch stimmt.
Das Ortsschild liegt längst hinter mir. Ein holpriger Feldweg führt durch gelbe Rapsfelder. Hinter Bäumen versteckt tauchen ein idyllisches, mit Riet gedecktes Bauernhaus und eine große Scheune auf. Mit knirschenden Reifen halte ich auf dem mit Schotter bedeckten Vorplatz. Ein Schäferhund rennt laut bellend auf das Auto zu. "Keine Angst, er beißt nicht", lacht Lena, eine junge Frau im verschmierten Malerkittel, und bittet ins Haus. Es duftet nach Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Neugierig schaue ich mich um. Eine große Wohnküche mit Esstisch und acht Stühlen, ein Wohnzimmer mit Ikea Möbeln. Von der Decke bis zum Fußboden hängen Gemälde an den Wänden. Auf den zweiten Blick fallen die vergilbten Tapeten auf, der abgeblätterte Lack an Türen und Fenstern, die noch nichts von Isolierverglasungen gehört haben.
Lena stellt ihre Kollegin Maria vor, eine attraktive Endvierzigerin. Gemeinsam führen sie durchs Haus und öffnen die zum Atelier ausgebaute Scheune. Durch die raumhohen Fenster flutet das Sonnenlicht auf den mit Farbresten beklecksten Betonboden. Es riecht nach Farben und Terpentin. Von der hohen Decke baumeln kunstvoll gefaltete Papierinstallationen. An den Wänden und Staffeleien stehen abstrakte Gemälde sowie leuchtend gelbe, mit der Sonne um die Wette strahlende Rapsbilder. "Wir haben uns an der Kunstakademie in Düsseldorf kennen gelernt. Seitdem sind wir befreundet. Vor sechs Jahren haben wir das Anwesen in der Nähe von Scharbeutz gemietet, weit außerhalb der Ortschaft, umgeben von Feldern und Wiesen. Die Miete ist preiswert", erklärt Lena. "Das Leben als freie Künstlerinnen haben wir uns einfacher vorgestellt. Von der Kunst allein können wir nicht leben. Wir haben beide Nebenjobs", ergänzt Maria.
Dieses Problem kennt auch die Künstlersozialkasse. Von den etwa 160.000 Versicherten sind die Hälfte Bildende Künstler. Sie verfügten 2012 über ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 14.200 €. Die Mehrheit der Freischaffenden erwirtschaftet nur 5.000 € im Jahr. Viele andere haben ein Einkommen unter 3.900 € und werden deshalb nicht in die Künstlersozialkasse aufgenommen. Sie sind nicht versichert. "Das bedeutet, dass weder eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung noch in der Rentenversicherung besteht", so die Künstlersozialkasse. Der Weg in die Armut ist also vorprogrammiert. Als Vergleich: Das jährliche Existenzminimum, der Grundbedarf eines Menschen für das Überleben, liegt in Deutschland bei 8.124 € für Alleinstehende und 16.248 € für Ehepaare.
Von diesen Perspektiven lassen sich allerdings die Wenigsten abschrecken. Allein die Universität der Künste in Berlin gehört mit über 4.600 Studierenden aus allen Fachbereichen zu den meist frequentierten Kunstakademien. Der Traum von der großen Karriere als Künstler, insbesondere der des Malers ist ungebrochen. Newcomer wie Frank Nitsche oder Jonas Burgert haben es doch auch geschafft. Ganz zu schweigen von Neo Rauch, Jonathan Meese, Gerhard Richter und Georg Baselitz, den Spitzenverdienern der Kunstszene. Die Realität sieht leider anders aus: die meisten leben vom Erlös ihrer Werke an der Armutsgrenze.
Doch wie kann man potenziellen Kunstschaffenden helfen, sich ökonomisch erfolgreich auf dem Kunstmarkt zu positionieren? Die Universität der Künste und andere Hochschulen bieten Workshops für Studierende an, die auf das Leben nach dem Studium vorbereiten. "Die Künstler sollten lernen, sich als Unternehmer zu verstehen", empfiehlt die amerikanische Kunsthistorikerin Camille Paglia. Welche Strategien sind für die eigene Vermarktung also richtig? Galerien sind eine Chance. Das Art4 in Berlin zum Beispiel bietet jungen, begabten Künstlern eine Plattform. Galeristen verfügen über nationale und internationale Netzwerke. Wer keine Klinken putzen möchte, kann Mitglied in einer Künstlerorganisation werden. Der BBK, Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, ist mit über 10.000 Mitgliedern die stärkste Berufsvertretung freischaffender bildender Künstlerinnen und Künstler. Hängen Ruhm und Erfolg allein von einem effektiven Marketing ab?
"Ein Patentrezept für den Erfolgt gibt es nicht" meint Maria. "Wir sind beide Mitglieder in verschiedenen Berufsverbänden und Kunstvereinen, über diese Gremien lernen wir Galeristen kennen. Ich habe eine Ausbildung als Malerin, Grafikerin und Bildhauerin absolviert. In Scharbeutz betreibe ich eine Galerie mit einem kleinen Café. Ich veranstalte Wechselausstellungen mit regionalen Malern. Das kommt bei Touristen gut an. Leuchttürme, Wasser und Wellen sind doch hübsche Motive." Auf diese Weise habe sie sich ein zweites Standbein geschaffen. Die Einnahmen aus der Galerie ermöglichen ihr eine gesicherte Existenz.
"Mir gefällt das weite Land hier, das Licht macht mich glücklich, überhaupt ist Licht für mich eine elementare Kraftquelle“, sagt Lena. Ein Leben ohne Malerei? Undenkbar! Kunst sei ihr
Lebenselixier. Was heißt schon Karriere, es gehe nicht nur ums Geld, sondern auch um die Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit. Vom Erlös der Arbeiten könne sie gerade die Kosten für neues Material bezahlen. "Ich habe neben Kunst auch BWL studiert. Das kommt mir jetzt zugute, denn ich arbeite nebenbei für einen Buchhaltungsservice. Ich bewerbe mich regelmäßig um Stipendien, werde zu Ausstellungsprojekten eingeladen. Mit diesen Einnahmen kann ich meinen Lebensstandard finanzieren. Es ist nicht das große Geld, aber es reicht geradeso."
Fazit: Das Klischee vom "armen Poeten" hat immer noch Gültigkeit.
Als ich fahre, geht die Sonne hinter den gelben Rapsfeldern unter. Der Hund lässt sich nicht blicken. Er hat sich im Haus verkrochen.
(Die Künstlernamen wurden von der Redaktion geändert.)
Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus Carl Spitzweg: „Der arme Poet“, 1839, Öl auf Leinwand, 36,2x44,6 cm. Neue Pinakothek, München.
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