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Viennale reloaded
1986 übernahm Helmuth Dimko dann die Regie der Viennale in Alleinverantwortung. Dimko war, so wie die Direktoren zuvor, ein kinematographischer 'Jack-of-all-Trades': Kritiker beim 'Kurier' und bei der 'Kronen Zeitung' und, gemeinsam mit Peter Hajek, Erfinder und Gestalter des Magazins 'Apropos Film', das lange Zeit als die spannendste und innovativste Kinosendung im deutschsprachigen Raum galt. Im Gegensatz zu Kennedy, Wladika und Zbonek war Dimko nicht mehr verstrickt in die Ursprungslegenden und Gründungstraumata des Festivals. Und auch der heroische Kampf um die Anerkennung des Films als künstlerische Ausdrucksform musste nicht mehr geführt werden: Diese Botschaft war mittlerweile auch in Österreich angekommen. So konnte Dimko, unbelastet von den Dogmen der ideologisch vorbelasteten Filmwarte, groß aufspielen. Und er nutzte seine Chance: Zwar gab es in seinen Jahren auch die großen Klassiker, wie Retrospektiven zu René Clair und Federico Fellini belegen, doch daneben allerlei Verspieltes und Provokantes, wie die Schau 'Die schlechtesten Filme aller Zeiten', in der Regisseure wie Ed Wood endlich auch zu Viennale-Ehren kamen. François Truffaut, der im gleichen Jahr mit zwei Filmen eingeladen war, ließ übrigens sein Büro vorsichtig anfragen, ob seine Arbeiten für ein Screening in dieser Programmschiene vorgesehen seien.

Das Jahr 1989 repräsentierte dann Glanz und Elend der Direktion Dimko gleichermaßen: Das Volkstheater wurde zum neuen Hauptspielort, das Programm war dicht und divers wie nie: 'Neues Spanisches Kino' in der Urania, 'Der französische Gangsterfilm' im Studio Molière, Jacques Demy und Jean Vigo im Stadtkino, Wim Wenders im Movie und vieles mehr. Mit der Adaptierung des Volkstheaters hatte sich das Festival allerdings einigermaßen übernommen. Das Budget wurde gesprengt und die Viennale im Folgejahr ausgesetzt. Dies ändert aber nichts daran, dass Helmuth Dimko in seiner Zeit als Direktor dem Festival neue Impulse gab und eine Reihe von Elementen und Programmideen einbrachte, die zum Teil bis heute weiterwirken.
Die Stadt Wien hatte ihre Viennale mittlerweile lieb gewonnen und war in einer Zeit, in der Filmfestivals weltweit als kultureller Standortfaktor galten, auch bereit, wie man hierzulande sagt, "ein Geld in die Hand zu nehmen".

Kino als magischer Ort
Auf Initiative von Kulturstadträtin Ursula Pasterk kam es zum ersten und bislang einzigen Versuch, mit Werner Herzog einen bedeutenden Regisseur als Direktor zu gewinnen. Ihm zur Seite stand Reinhard Pyrker, der zuvor schon die Filmtage in Wels zu einem Showroom und Diskussionsforum des österreichischen Films gemacht hatte. Vielleicht mag bei dieser Doppeldirektion der Gedanke mitgespielt haben, Internationalität und die heimische Szene sinnvoll zu verschränken. Die Paarung einer 'internationalen Galionsfigur' mit einem künstlerischen Leiter rief allerdings nicht nur Begeisterung hervor. Die IG Autoren sah darin eine fragwürdige Konstruktion, die "zuallererst der politischen Verlautbarungs- und Ereignistechnik entspricht, aber keinerlei inhaltliche Definition hat. Über eine europaweit unvergleichbare Filmdesolatheit wird der Glamour eines Momentereignisses gestülpt, um die reale Paralyse des Filmschaffens zu beschönigen." Werner Herzog ließ sich von solcher Kritik nicht beirren. Mit dem Akrobatenstück des Seiltänzers Philippe Petit, der die Distanz zwischen Apollo Kino, dem neuen Festivalzentrum und dem Flakturm im Esterházypark hoch über den Dächern von Wien überquerte, gelang ein fulminanter Auftakt.

Mit seinem Viennale-Programm versuchte Herzog unter dem Leitmotiv 'Kino als magischer Ort' die Aufgabe, spannende, aktuelle Filme zu präsentieren, mit seinen persönlichen Leidenschaften in Einklang zu bringen.

Eine Aufstockung der Mittel von "einem Hungerbudget von vier Millionen Schilling zu einem Schmalbudget von zehn Millionen", wie es die APA formulierte, gab dem Leitungsduo gute Karten in die Hand, um die Viennale noch stärker im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Werner Herzog ließ es jedenfalls nicht an persönlichem Engagement mangeln: Er organisierte und moderierte Diskussionen und veranstaltete 'Filmstunden', in denen er über Vorstellungen vom Kino referierte. Trotzdem war das glamouröse Intermezzo nach zwei Jahren wieder vorbei: Herzog sah sich aufgrund künstlerischer Verpflichtungen und zahlreicher Filmprojekte nicht mehr in der Lage, die Rolle des Viennale-Direktors, so wie er sie verstand, auszufüllen. Reinhard Pyrker, der bereit war, das Festival weiterzuführen, überwarf sich jedoch in inhaltlichen Fragen mit der Stadt Wien und scheiterte mit seinen Vorstellungen. Er ist die eigentlich tragische Figur der Viennale-Geschichte: Lange bevor Kommissionen und Verbände sich zu professionellen Lobbyisten des österreichischen Films machten, hatte er sich als einsamer Vorkämpfer für das heimische Kino eingesetzt, nicht ohne dabei mit allerlei Intrigen und Widerständen konfrontiert worden zu sein. Pyrker war engagiert bis an die Grenze des Möglichen, manchmal undiplomatisch, aber ganz und gar seiner Sache verpflichtet. Im Tandem mit dem ein wenig unberechenbaren, aber zugleich charismatischen Werner Herzog konnte Reinhard Pyrker kein Profil gewinnen. Und als nach dessen Abgang die Stunde gekommen schien, endlich seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, waren die Weichen von einigen schon anders gestellt.

Die neue Welle
Somit wurde die Viennale einmal mehr neu erfunden. Auf die alte Doppeldirektion folgte eine neue Doppeldirektion: Bestellt wurden der ORF-Redakteur Wolfgang Ainberger sowie Alexander Horwath, Filmkritiker des 'Standard'. Alter Hase plus junger Wilder – das müsste doch eine gute Mischung ergeben, war wohl das Kalkül des Kulturamtes. Ainberger hatte sich als Miterfinder und verantwortlicher Redakteur der Kultursendung 'Kunststücke' profiliert und wurde auch mit der Leitung der neu ins Leben gerufenen Wiener Filmförderung betraut. Horwath galt als Verfechter einer popkulturell geprägten Filmkritik, die nicht nur zum wiederholten Male den alten Kanon abschreiten, sondern das Kino grundsätzlicher auf seine gesellschaftlichen und kulturellen Wirkungen hin untersuchen wollte. Die interne Aufgabenteilung sah vor, dass Ainberger das Hauptfestival gestaltete, während Horwath ein Feuerwerk an Specials, Tributes und Sonderveranstaltungen zündete, viele davon auch außerhalb des regulären Viennale-Zeitraums. Das ergab in den ersten Jahren eine spannende Mischung, die interne Konkurrenzsituation erzeugte jedoch schnell eine erhebliche Reibungshitze. Wolfgang Ainberger erwies sich als kompetenter Programmgestalter und machte sich die Devise 'Think Big' zu eigen: 1993 ließ er für die Viennale eine ganze Gebäudeseite des Festivalhotels Hilton mit einer Riesenplane bespannen, die ein von Gottfried Helnwein gemaltes Konterfei Arnold Schwarzeneggers zierte. Ein beachtlicher PR-Erfolg, allerdings mit herben Konsequenzen für das Budget des Festivals.

Alexander Horwath wiederum setzte etwa mit einem Tribute für den Giallo- und Slasher-King Dario Argento einen Akzent, der die Öffnung des Festivals für neue und spannende Trends in den darauffolgenden Jahren ankündigte. Die anfänglich durchaus konstruktive Zusammenarbeit von Ainberger und Horwath wurde bald durch inhaltliche und persönliche Dissonanzen gestört, bis es zum Bruch kam. Ainberger kündigte die Direktorenschaft vor Ablauf seines Vertrages auf, unter anderem auch, um sich auf seine Tätigkeit beim Wiener Filmfonds zu konzentrieren. Alexander Horwath leitete das Festival bis 1996 im Alleingang. Er war aufgrund seines jugendlichen Alters der erste Viennale-Direktor, der den Muff der Nachkriegszeit, den selbstverordneten Provinzialismus der fünfziger Jahre und die rabiaten politischen Auseinandersetzungen des darauffolgenden Jahrzehnts nicht mehr erlebt hatte. So konnte Horwath frisch und undogmatisch an die Sache herangehen. Unter seiner Leitung gab es Programme wie 'Breathless! Pop Musik Filme 1956–95', 'Cool – Pop. Politik. Hollywood 1960–68' oder die Mitternachtsschiene 'Twilight Zone', bei der Horror, Suspense und Crime präsentiert wurden und Filme wie TETSUO von Shin’ya Tsukamoto für hitzige Debatten sorgten. In der Rückschau stellt sich seine Direktion als längst fälliger Bruch mit bestimmten Werthaltungen dar. Mit der daraus folgenden Konsequenz, dass ein bestimmtes Genre- und Gebrauchkino genauso würdig erachtet wurde, beim Festival vorgestellt und diskutiert zu werden, wie die vielfach prädikatisierte und kanonisierte 'Filmkunst'. Auf die wollte Horwath allerdings auch nicht verzichten.

Alte Meister wie Michelangelo Antonioni und John Cassavetes hatten in der poppig-aufgefrischten Viennale weiterhin ihren Platz. Ein besonderes Verdienst war die Schau 'Aufbruch ins Ungewisse', in der erstmals die Arbeit und das Schicksal emigrierter österreichischer Filmschaffender umfassend gewürdigt wurden. Die Apotheose der Direktion Horwath war wohl der Besuch von Martin Scorsese, dessen OEuvre das ästhetische Programm der neuen Viennale wohl am reinsten repräsentierte.

Play it dirty, play it class
1995 kündigte Horwath nach fünf Jahren seinen Rücktritt an. Dies stellte die Wiener Kulturpolitik vor die Aufgabe, wieder einen Direktor aus dem Hut ziehen zu müssen, der schließlich mit Hans Hurch gefunden wurde. Der ehemalige «Falter»-Kritiker, gelegentliche Kurator von Retrospektiven und künstlerische Leiter der Initiative 'hundertjahrekino' war seit Jahren eine fixe Größe im Wiener Kulturbetrieb. Bei den Filmtagen in Wels hatte er sich durch polemische Auftritte den Ruf erworben, ein genauer und manchmal gnadenloser Kritiker des österreichischen Films zu sein. Gleichzeitig galt er als Apologet eines radikalen und minoritären Kinos, was einen Kritiker anlässlich Hurchs Bestellung zum Direktor der Viennale zur Aussage veranlasste: "Und was uns jetzt noch passieren kann: Jean-Marie Straub im Gartenbaukino."

So schlimm wurde es dann aber doch nicht: Hurch spielt zwar tatsächlich regelmäßig Filme von Straub/Huillet im zentralen Festivalkino, baute jedoch im Wesentlichen auf die bewährte Grundstruktur des Festivals auf. Zugleich setzte mit ihm nach der eher popkulturellen Öffnung der Viennale eine deutliche Politisierung ein. Um etwa zehn Jahre älter als sein Vorgänger, verlagerte Hurch langsam, aber nachhaltig die Akzente. Experimentelles und dokumentarisches Kino sowie der Kurzfilm fanden vermehrt Eingang in die Programmierung, wobei in manchen Jahren der Dokumentarfilm nahezu ebenso stark vertreten war wie ein klassisches erzählerisches Kino. Die zahlreichen Viennale-Specials während des Jahres gab Hurch sukzessive auf und konzentrierte die Viennale wieder ganz auf das Festival selbst. Mit einer gewissen Entdeckungslust widmete er innovativen, aber wenig bekannten Filmemachern erstmalig Personalen und erinnerte an wichtige politische Figuren des Kinos. Getreu seinem Motto "Pflege das, was man dir vorhält", suchte Hurch auch immer wieder den Konflikt mit dem heimischen Kino, was hin und wieder zu unproduktiven Querelen führte. Auch in Richtung Genre- und Gebrauchskino erlaubt sich der Direktor ein vorsichtig distanziertes Verhältnis. Auf Stars mussten die Besucher der Viennale trotzdem nicht verzichten: Lauren Bacall, James Coburn, Tilda Swinton und Jane Fonda waren ebenso zu Gast wie die Rocklegende Lou Reed oder zuletzt der Entertainer und politische Aktivist Harry Belafonte.

So hat sich in den letzten Jahren etwas entwickelt, was man vorsichtig 'Modell Viennale' nennen könnte: ein sorgfältiges Navigieren zwischen den wesentlichen Momenten des aktuellen Kinos, die Auseinandersetzung mit einer lebendigen Kinogeschichte und ein gewisser Instinkt für das Populäre. Neben der Programmierung eines unabhängigen Festivals ist es die erklärte Absicht von Hans Hurch, die Viennale ein wenig aus der eigenen Milieu-Selbstgefälligkeit herauszulösen und das Programm in einem größeren gesellschaftlich-kulturellen Kontext zu diskutieren. Dazu tragen auch seine Eröffnungsreden zwischen Geißelung und Weihrauchkessel bei, die gerne am Beispiel von Tagesaktualitäten grundsätzliche Kritik an den politischen Verhältnissen üben. Nicht ohne dabei das Ritual der Eröffnung manchmal zu einer Art Therapiesitzung unter Beteiligung des Publikums umzufunktionieren.

Die Persönlichkeit des seit 1998 amtierenden Präsidenten, Eric Pleskow, verleiht der Viennale eine biographisch beglaubigte, moralische Autorität: Der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie musste auf der Flucht vor den Nazis in die USA emigrieren, wo er nach zahlreichen lebensgeschichtlichen Wendungen bei United Artists zum erfolgreichen Filmproduzenten wurde. Pleskow verkörpert ein österreichisches Schicksal unter den Unrechtsbedingungen des 20. Jahrhunderts und ist zugleich Repräsentant jener österreichischen Filmintelligenz, die mit Regisseuren wie Erich von Stroheim, Fritz Lang und Josef von Sternberg im Hollywood-Exil das moderne Kino wesentlich prägte.

Die Viennale ist, wenn man sie über den gesamten Zeitraum von 50 Jahren betrachtet, eine veritable Erfolgsstory. Wobei das Kunstwerk gelungen ist, sowohl Filmangebot als auch Zuschauerzahlen immer wieder zu steigern, ohne deshalb den expliziten Anspruch auf inhaltliche und ästhetische Qualität zu relativieren. Große Momente entstehen durch intellektuelle Leidenschaft und programmatischen Wagemut, nicht durch inszenierten Glamour aus der PR-Abteilung oder populistische Anbiederung. So ist die Viennale heute sowohl für viele Kritiker als auch für das zahlreiche Publikum zum Lieblingsfestival geworden. Stellvertretend sei hier Fritz Göttler zitiert, der in der 'Süddeutschen Zeitung' begeistert schrieb: "Die Viennale, gerühmt als das schönste Cineastenfestival der Welt, war immer auch politisch orientiert – kein politisches Festival machen, sondern ein Festival politisch machen."


Bildnachweis: Alle Fotos © Viennale
Header: Viennale 2012
Galerie:
01. Plakat der 50. Viennale
02. Urania-Kino in den 1960er-Jahren
03. Otto Wladika (Mitte) im Viennale-Büro in der Urania, 1968
04. Forum Kino, Wien
05. Gartenbaukino-Foyer 1977
06. Federico Fellini und Bürgermeister Helmut Zilk, 1988
07. Michelangelo Antonioni und Billy Wilder
08. Martin Scorsese
09. Jean-Marie Straub, Danièle Huillet und Hans Hurch
10. Festival-Direktor Hans Hurch und Michael Caine bei der Ankunft im Hotel. Foto: Robert Newald
11. Leinwand des Gartenbau-Kinos

KulturPort.De dankt der Viennale für die Zuverfügungstellung dieses Beitrags.

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