Seite 1 von 2
Es war eine bleierne Zeit: An einer geopolitischen Nahtstelle des Kalten Krieges versuchte sich ein nur oberflächlich entnazifiziertes Österreich als «Geisteskontinent» (Friedrich Heer) und Kulturgroßmacht neu zu erfinden.
Die «langen 1950er-Jahre» erstreckten sich bis weit ins nächste Jahrzehnt, in der Kulturpolitik dominierte, getragen vom Missionierungswillen des ÖVP-Unterrichtsministers Felix Hurdes, ein konservativer, rechtskatholischer Kulturalismus, der nahezu nahtlos an die Zeit vor 1938 anschloss.
Im Sinne einer offiziellen Staatskulturdoktrin war vor allem wichtig, was Burg und Oper an Sinn- und Bedeutungsproduktion lieferten, und auch ein gewisses Schwelgen im Habsburgermythos verband sich gut mit einem Kulturbegriff, der im erhabenen Überzeitlichen die Rettung vor der unmittelbaren Vergangenheit suchte.
Das Kino dagegen galt als Kunstphänomen minderer Art, als Freizeitvergnügen für den «g’schupften Ferdl» und seinesgleichen, amerikanische Kaugummikultur, die unschön an den Fußsohlen der Bildungsbürger klebte. Die heimische Filmproduktion bestand größtenteils aus Theaterkomödien, bäuerlichen Schwänken, Fremdenverkehrsfilmen, Wiener musikalischen Komödien und Revuefilmen von Franz Antel. Ein undurchdringlicher Silberwald, der sich bis zum Horizont erstreckte. Zur Förderung der modernen Filmkunst hingegen wurden kaum Maßnahmen gesetzt – abgesehen von punktuellen Initiativen, die sich in französischen oder sowjetischen Programmen, Arbeiterfilmreihen, religiösen Filmwochen und schließlich in der vom Unterrichtsministerium 1956 initiierten «Aktion – der gute Film» manifestierten. Prädikatisierung galt als Wunderwaffe, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den deplorablen Massengeschmack zu heben.
Die österreichischen Filmjournalisten diagnostizierten in jener Zeit einen historischen Tiefstand der Filmkultur und suchten nach Mitteln und Wegen, um aus dieser Sackgasse wieder herauszufinden. Eine Gruppe um Sigmund Kennedy – zu seiner bewegten Lebensgeschichte siehe das Porträt in dieser Publikation –, Fritz Walden von der Arbeiter-Zeitung und den Regisseur und Filmkritiker Edwin Zbonek nutzte eine Kooperation zwischen dem Verband österreichischer Filmjournalisten und dem Künstlerhauskino, um im Jahr 1960 ein Projekt unter dem umständlichen Titel «Internationale Festwoche der interessantesten Filme des Jahres 1959» zu lancieren. Es war eine ziemliche Arte-povera-Veranstaltung, die mit geringem Budget auskommen musste und keine Subventionen erhielt. Gezeigt wurden acht Langfilme sowie zehn Kurzfilme aus insgesamt 17 Ländern.
In dieser frühen Zeit ließen sich disparate Positionen noch unter dem Dach einer gemeinsamen Filmbegeisterung vereinen. Während sich Sigmund Kennedy als moralisierender Medienerzieher verstand, für den Film ein wichtiges Bildungsmittel war, galt Edwin Zbonek, der das Festival später selbst leiten sollte, als Fanatiker des künstlerischen Films. Er machte sich beispielsweise für Vorführungen in Originalsprache stark – was damals noch keine Selbstverständlichkeit war.
Dass sich die Wiener Filmfestwoche als moderater Erfolg darstellen ließ, hatte auch mit einer überaus komfortablen Mediensituation zu tun. In der Dissertation von Rita Hochwimmer über die Geschichte der Viennale heißt es lakonisch: «Besonders jene Medien, für die Zbonek, Kennedy und Walden schrieben, berichteten ausführlich über die Filmwoche, die Mehrheit der Berichte stammten von Fritz Walden, Edwin Zbonek und Sigmund Kennedy.
Festival der Heiterkeit
Das Festival, dessen späterer Name Viennale angeblich vom Wiener Bürgermeister Franz Jonas geprägt wurde, hatte somit einen soliden Start – fiel aber trotzdem im darauffolgenden Jahr aufgrund budgetärer Engpässe gleich wieder aus. 1962 erbarmte sich die Stadt Wien des zarten Pflänzchens und stellte 50.000 Schilling zur Verfügung, woraufhin die Viennale aus der Asche neu erstehen konnte und sich bald darauf als Verein konstituierte.
Die Ziele und Absichten waren bescheiden: Man verzichtete auf einen Wettbewerb und wollte vor allem anderweitig prämierte Filme zeigen – ein Anspruch, dem das Festival im Lauf der Jahre nicht immer gerecht wurde. Außerdem verstand man sich vage als West-Ost- Schnittstelle, um die Situation Österreichs als neutrales Land am Rande des Eisernen Vorhanges mitzureflektieren – die Filme aus sozialistischen Ländern waren im Übrigen leichter zu beschaffen. Damit begab sich die Viennale ins Zentrum ideologischer Debatten und geriet ins Schussfeld eines teilweise hysterischen Antikommunismus.
"Der Osten, nicht faul, nutzt seine Chance zur Propaganda und liefert bereitwillig, was er zur Verfügung stellen kann. Die Tschechen schicken gleich zwei Langfilme, Ungarn, Polen, Rumänien und Jugoslawien stellen Kurzfilme bei", schrieb der 'Kurier' bereits 1962.
Die Stadt Wien als nunmehriger Seniorpartner des Festivals – Otto Wladika, der den 1967 verstorbenen Sigmund Kennedy als Direktor beerbte, mischte als Filmkulturreferent schon unter dessen Ägide bei der Programmierung mit – war nicht daran interessiert, sich mit den konservativen Milieus und Medien dauerhaft zu bekriegen. So erhielt die Viennale umgehend eine neue inhaltliche Ausrichtung. In den Jahren von 1963 bis 1967 wurde die Veranstaltung unter dem aus heutiger Sicht eher seltsamen Titel 'Festival der Heiterkeit' veranstaltet. Mit der Konzentration auf Komödien wollte man den Vorwurf einer prokommunistischen Agitation schon im Ansatz aushebeln. Filme aus den Ländern des Ostens wurden freilich weiterhin gezeigt – wenn auch häufig eher an versteckten Programmplätzen. Das offizielle Wien machte sich gar nicht erst die Mühe, die Lächeloffensive programmatisch zu begründen.
Während es bei den großen internationalen Festivals um Glamour und «hochkünstlerisch belichtetes Zelluloid» gehe, meinte beispielsweise Bürgermeister Bruno Marek, zählten bei der Viennale die Heiterkeit und das Lachen im Zuschauerraum. Und warum? "Weil das Lachen die Völker einander näherbringt." Dass dies angesichts der Kuba-Krise, des eskalierenden Vietnamkrieges und der politischen Eiszeit, die wenige Jahre später zum Einmarsch der Sowjetunion in die CSSR und zur Studentenrevolte führte, ein intellektuell eher dürftiges Programm war – im Prinzip eine Verlängerung des Eskapismus der fünfziger Jahre ins darauffolgende Jahrzehnt – wurde auch von den Medien kritisch vermerkt. Mit Spott und Häme fiel ein Großteil der Kritiker über das Festival her. Stellvertretend sei hier die 'Presse' zitiert: "Gewisse Zweifel melden sich bei dem ägyptischen Schwank 'Meine 13. Frau' an, der nur zu beweisen scheint, daß es Antels überall gibt." Dabei mangelte es selbst in der Zeit der großen Heiterkeit nicht an renommierten Gästen: Von Silvana Mangano bis Alberto Sordi beehrte internationale Filmprominenz das kleine Festival.
Aufbruch ins Ungewisse
Im Jahr 1968 hatte es sich dann endgültig ausgelacht. Der Zeitgeist, der zivilen Ungehorsam und studentisches Aufbegehren förderte, setzte auch die Viennale unter Druck – obwohl er sich in Wien nur als 'heiße Viertelstunde' manifestierte.
Otto Wladika, der nach dem Tod von Sigmund Kennedy im Jahr 1967 die alleinige Verantwortung für das Festival trug, stellte die Viennale unter ein jährlich wechselndes Motto – z. B.: "Filme, die uns nicht erreichten" – und versuchte, auch wenn die Handbremse immer angezogen blieb, den politischen Umständen Rechnung zu tragen. Eine neue Kernzielgruppe des Festivals war, gemäß einer Kreisky- Doktrin, 'die Jugend», deren Interessen man bei der Programmierung entgegenkommen wollte, ohne jedoch einen grundsätzlich staatstragenden Habitus völlig aufzugeben. Wladika, der Filmbeamte, propagierte eine liberale Konfrontation mit 'unserer Zeit', achtete aber sorgfältig darauf, dass seine Viennale nicht von radikalen politischen Meinungen unterwandert wurde. Insbesondere distanzierte er sich von den Cineasten, worunter er ein linkes, filminteressiertes Publikum verstand, denn die Viennale, 'according to Wladika', sollte kein Schauplatz der kurz bevorstehenden Weltrevolution sein.
So navigierte das Festival in klassischer österreichischer Haltung durch die Jahre des Studentenprotestes, ohne sich jedoch künstlerisch dauerhaft konsolidieren zu können. Schon seit der 'Viennale der Heiterkeit' hatten die Filmkritiker gerne ihre Messer gewetzt und eine fragwürdige Filmauswahl sowie inhaltlich nicht begründete Abweichungen vom komödiantischen Grundtenor konstatiert. Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Es kam in Form der Retrospektiven des Österreichischen Filmmuseums, die ab 1966 zu einem wesentlichen Bestandteil des Festivals wurden. Schon der erste Beitrag der von Peter Konlechner und Peter Kubelka gegründeten Institution, eine Präsentation der Werke der Marx Brothers, zu der Groucho Marx persönlich in Wien erschien, löste allgemeine Begeisterung aus. Zumindest in den ersten Jahren der Beteiligung des Filmmuseums übertrumpften die Retrospektiven häufig das Hauptprogramm und lösten jenen Anspruch auf filmkünstlerische Qualität ein, den das Festival von Beginn an gefordert, aber häufig nicht erfüllt hatte. Daran konnte auch eine umfangreiche Schau der Filme Howard Hawks’ nichts ändern, die dem elitär-intellektuellen Milieu missfielen und so gar nicht dem kategorischen Imperativ einer poetisch- politischen Sensibilisierung durch cineastische Meisterwerke entsprachen. In der Zeit der gesellschaftspolitischen und ästhetischen Umbrüche wurde die Viennale auch stärker als zuvor zu einem Forum für filmpolitische Anliegen.
Man veranstaltete etwa Enqueten zum Thema Filmförderung – damals wie heute ein Endlos-Debattenthema –, bei dem sich unterschiedliche Interessensgruppen in Rage reden konnten. Auch wurde erstmals das Festival per se in Frage gestellt und die Hebung der ganzjährigen Filmkultur etwa durch ein kommunales Kino nach Frankfurter Vorbild gefordert. So schrieb beispielsweise die kommunistische 'Volksstimme': "Die Stadt Wien hat sich entschieden, jenen, die nun Zeit und Geld für zwei bis drei tägliche Kinobesuche haben, einmal im Jahr eine Woche lang Wesentliches zu zeigen – und das restliche Jahr den bequemen Weg in Richtung totaler Film-Versumperung zu gehen."
1971 besiedelte die Viennale auf ihrer jahrzehntelangen Nomadenfahrt durch die Wiener Lichtspieltheater das Forum Kino, damals mit 1.146 Sitzplätzen das größte Kino der Stadt, heute längst vom Winde verweht. Zwei Jahre später übernahm mit Edwin Zbonek ein Mann der ersten Stunde die Leitung des Festivals.
Unter seiner Direktion, die, in späteren Jahren im Tandem mit Helmuth Dimko, bis weit in die achtziger Jahre dauerte, setzte eine Phase der Konsolidierung ein. Die Viennale, mittlerweile von der FIAPF (= Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films) anerkannt, expandierte unaufhaltsam: Steigende Subventionen ermöglichten größere kreative Gestaltungsspielräume, das Programm wurde umfangreicher und internationaler, die Zuschauerzahlen stiegen. Auch die Integration eines Kinder- und Jugendfilmprogramms, sozusagen eines Festivals im Festival, im Jahr 1974 konnte als großer Erfolg verbucht werden.
Zum ersten Mal wurde in dieser Zeit das Gartenbau das zentrale Kino der Viennale. Ein bemerkenswertes Ereignis der Ära Zbonek war ein Auftritt des emigrierten österreichischen Regisseurs Otto Preminger, der bei der Eröffnung 1978, statt feierliche Worte zu sprechen, einen Maßnahmenplan entwickelte, wie Wien Mittelpunkt der europäischen Filmproduktion werden könne. Man solle ein Komitee gründen und dessen Mitglieder nach Amerika schicken, um Wien als preisgünstigen, gastfreundlichen Drehort vorzustellen. Er, Preminger, wolle sich selbst als kostenloser Konsulent zur Verfügung stellen.
Unter Edwin Zbonek kam es auch zu einer räumlichen Ausweitung der Viennale: Zusätzliche Kinos wurden bespielt, 1979 wiederholte man Teile des Programmes in den Außenbezirken, um neue Publikumsschichten für den 'künstlerisch wertvollen Film' heranzubilden – eine Initiative, die gut gemeint, aber nicht von Dauer war.
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment