Film

Paris, September 1977. „La Divina", die Göttliche nannten ihre Bewunderer sie, dann schlug die Publikumsgunst in Hass um: Maria Callas ist 53 und seit vier Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten. Ihr Apartment in der Avenue Georges Mandel ähnelt pompösen Opernkulissen, ein goldener Käfig als sicherer Rückzugsort von Realität und Außenwelt.

 

In „Spencer“ (2022) und „Jackie “ (2016) befreite der chilenische Regisseur Pablo Larraín seine Protagonistinnen vom Ballast ihres schwindelerregenden gesellschaftlichen Status, dem Druck von Öffentlichkeit und Konvention. Sie durften sich verlieren, neu definieren. „Maria“ ist fatalistischer, düsterer und der überragende Film der Trilogie. Die kühle Distanziertheit der griechischen Sopranistin, gespielt von Angelina Jolie, schmerzt mehr als jeder Gefühlsausbruch.

 

Der Kontakt zu Menschen beschränkt sich auf zwei ältere Hausangestellte, den Diener und Chauffeur Ferruccio (grandios Pierfrancesco Favino) und die Köchin Bruna (sehr subtil Alba Rohrwacher), sie kümmern sich rührend um die leicht reizbare Diva und ihre beiden Pudel. Maria Callas kennt keine Rücksicht, weder gegen sich noch andere, zerstörte so früh die eigene Gesundheit. Nun zwingt sie gnadenlos den von Rückschmerzen geplagten Ferruccio ihren Konzertflügel von einer Ecke des Salons zur anderen zu schieben. Es sind die letzten Tage im Leben der legendären Opernsängerin, sie isst kaum noch etwas, schluckt Tabletten, vorzugsweise Mandrax, und kreiert sich ihre eigene Welt zwischen Halluzination und Erinnerung. Jede Nacht erscheint der verstorbene Ex-Lover Onassis an ihrem Bett. Draußen, unweit des Eiffelturms formieren sich die Passanten zu Nabuccos Gefangenem-Chor, Maria Callas übernimmt die Rolle der Zuschauerin. Vorsichtig fragt der Diener, ob die angekündigt TV-Crew tatsächlich real sei. Ungehalten erklärt ihm seine Chefin, sie entscheide, was real sei oder nicht. Und so steht sie dann dem jungen Dokumentarfilmer namens Mandrax (Kodi Smit-McPhee) daheim oder auf gemeinsamen Spaziergänge Rede und Antwort: „Vielleicht können wir über ihr Leben abseits der Bühne sprechen." „Es gibt kein Leben abseits der Bühne“.

 

Das Drehbuch zu „Maria“ schrieb Steven Knight. Puccini, Verdi, Donizetti, Bellini werden zur Klang-Landschaft des Films. Wie Regisseur Larraín restaurierte historische Aufnahmen mischt mit Neu-Inszenierungen der Opern-Passagen, verschiedene Zeitebenen und Schlüsselerlebnisse miteinander verschmelzen lässt, die Stimme von Angelina Jolie integriert, ist genial, wie er Vergangenheit und Traum in einander übergehen lässt, ist von überwältigender Schönheit. Die Arien finden ihren Widerhall und ihre Grenzen im Alltäglichen. Bruna steht am Herd, in der Pfanne brutzelt geräuschvoll das Omelette. Die Callas wird es wieder nicht anrühren, sie singt, ist nun Bellinis Norma. Es zählt nicht mehr jenes Publikum, das ihr Wunder abverlangte und die Momente der Schwäche nicht verzeihen wollte, es zählt nun allein das Urteil ihrer Köchin, und zu deren Loyalität gehört auch grenzenlose Bewunderung.

 

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Kammerdiener Ferruccio (Pierfrancesco Favino), Maria Callas (Angelina Jolie) und ihre Köchin und Vertraute Bruna (Alba Rohrwacher) – © Studiocanal GmbH

 

So schroff die Protagonistin sich manchmal gibt, Ferruccio und Bruna sind für sie Vater, Mutter, Schwester, Tochter, engste Vertraute. Rührend, die drei beim Kartenspiel zu beobachten, ihre Scherze, die liebevollen Anspielungen. Eine Protagonistin voller Widersprüche, Larraín versucht nicht ihr die wohl gehüteten Geheimnisse zu entreißen, lässt ihr die Deutungshoheit über Vergangenheit und Gegenwart. Seit frühster Jugend gehörte der Kampf um Bewunderung zum Überleben. Kurze Schwarz-Weiß-Rückblenden: Im von den Nazis besetzten Griechenland vermarktete die Mutter ihre beiden Töchter für Gesangsdarbietungen und Liebesdienste an deutsche Soldaten. 

 

Distanziertheit, Selbstironie sind Teil ihrer Rolle am Ende eines Lebens, das früh auf jede Form der Illusion und Empathie verzichten musste, die eigenen Gefühle verbarg, verleugnete sie. Die Bühne schärft die Beobachtungsgabe für die Realität und die Göttliche genießt es en passant zu provozieren: „Ich gehe nur ins Restaurants, um bewundert zu werden.“ Die Zuneigung ihrer zwei Pudel seien zu 99 Prozent dem Futter geschuldet, erklärt sie lakonisch. Liebe, Bewunderung basiert auf Erwartungen, und kein Publikum zeigte sich unerbittlicher als das ihre. Die Callas revolutionierte die Oper, gab ihr eine nie gekannte Leidenschaft. Erfolg heißt aber auch Verletzbarkeit. Mit dem selbstzerstörerischen Anspruch auf absolute Perfektion musste sie irgendwann an ihre Grenzen stoßen. In Verdis „Othello" trat die Callas nie auf, aber 1964 nahm sie Desdemona Nachtgebet für eine Schallplatte auf. „Ave Maria“, piena di grazia" (Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade). Die Stimme zum Mezzosopran heruntergedimmt, die Höhe brüchig und doch von unglaublich schmerzvoller Schönheit. In Larraíns Drama erhalten die Arien eine neue Dimensionen, sie sind der Blick ins Innerste der Protagonistin, die Anatomie des Abschieds. Atemberaubend und zutiefst ergreifend, wie Angelina Jolie die alternde Star-Sopranistin verkörpert zwischen Tagtraum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit. Als Diva beherrscht sie die Überlegenheit der noch Gefeierten, weist den mit seiner Hässlichkeit kokettierenden Onassis in seine Schranken: „Es gibt einen Punkt, wo Selbstbewusstsein zu einer Form von Wahnsinn wird.“ Und doch lässt sie sich ein auf diesen Mann und seine Macht, eine höchst toxische Beziehung. Die Bühne war für sie Rausch, ihr Leben,- nun hat sie sich degradieren lassen zum Kunstgegenstand auf einer Yacht. Und doch bleiben sie, die Griechen einander verbunden auch nach seiner Heirat mit Jackie. Es folgt ein letzter heimlicher Besuch am Bett des Sterbenden.

 

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Der Tod oder seine Nähe ist Bestandteil in jedem Teil der Trilogie. Seine ästhetisch virtuose Horror-Farce „Spencer“ bezeichnete der Regisseur als „Fabel nach einer wahren Tragödie“. Befreit von ihrem ikonischen Image darf Diana, Princess of Wales, (Kirsten Stewart) aus der Rolle fallen, muss nicht mehr um Sympathien buhlen, darf störrisch sein, ungerecht, kokett, zornig, verzweifelt, ihre Ängste ausleben, versagen wie eine Frau aus Fleisch und Blut. Sie stellt die ihr verhasste Märchenwelt auf den Kopf und ist betörender denn ja. Eine Vogelscheuche am Feldrand avanciert zum Symbol der Suche nach Identität. Genau wie die Protagonistin kann der Zuschauer oft nicht mehr unterscheiden zwischen Angst-Vision und Realität. Die Paranoia wächst, Lady Di glaubt zu ersticken, reißt sich beim königlichen Familien-Dinner das Perlencollier vom Hals, die Perlen kullern in die Suppe, sie schluckt sie betont gleichmütig hinunter. Die Kette ist das Weihnachtsgeschenk von Charles, seine Geliebte bekam die Gleiche. Dianas Perspektive wird zu unserer. Der Geist von Anne Boleyn verfolgt sie, jener Königin 1536 geköpft wegen angeblicher Untreue, damit ihr Gatte, Heinrich VIII ungehindert seine Liaison ehelichen konnte. „Spencer” ist ein mitreißendes collageartiges Drama zwischen Fiktion und Realität, Horror, Sehnsucht und Satire: poetisch, bizarr, ästhetisch betörend, überbordend an Assoziationen. Der chilenische Regisseur glorifiziert seine Heldinnen nicht, sie dürfen sie selbst sein mit all ihren Schwächen, Sehnsüchten, Ängsten. Er umgibt seine Frauengestalten mit einer Art unzerstörbarer souveräner Würde. Wenn die Prinzessin von Wales vor dem Toilettenbecken kniet und die letzte königliche Mahlzeit erbricht, wölbt sich ihre Abendrobe schützend über sie wie das opulente Gefieder eines Pfaus. Pablo Larraín ist Komplize, Freund, Vertrauter, Beobachter und Bodyguard.

 

„Jackie“ Charakterstudie einer Ikone: provokant, mitreißend, schwindelerregend. Eine Frau nachts unter der Dusche, aus ihren Haaren fließt Blut den Rücken entlang. Es ist Jacqueline Kennedy (Natalie Portman). Sie war eine First Lady wie aus dem Märchen, elegant, kultiviert, populär, voller Ambitionen. Das Weiße Haus verwandelte sich unter ihrer Regie zu einem glamourösen Ort, wo sich High Society und Künstler trafen. Doch dann fallen am 22. November 1963 in Dallas die tödlichen Schüsse auf Präsident John F. Kennedy, Jackie sitzt direkt neben ihm. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín schildert die Tage nach dem Attentat aus ihrer Perspektive. Die Protagonistin ist mehr als eine trauernde Witwe, sie wird zur Wächterin des Erbes ihres Mannes, seines politischen Vermächtnisses. Jackie weiß, wie schnell ein Präsident, auch ein ermordeter, vergessen werden kann. Verzweifelt kämpft sie um ein Begräbnis wie das von Abraham Lincoln, kein Autokorso, die Trauergäste sollen dem Sarg zu Fuß folgen.

 

Überragend Natalie Portman: ihr Gesicht ist Maske und Bühne zugleich, voll widersprüchlicher Emotionen: benommen vor Schmerz, verstört, trotzig, ängstlich, einsam, zornig. Jackie wirkt erschreckend fragil und beweist doch jeden Moment unglaubliche Durchsetzungskraft. Tagsüber hatte sie sich geweigert, das pinkfarbene blutverschmierte Kostüm zu wechseln. Es ist ihre Form öffentlicher Anklage. Nun endlich unbeobachtet, kann sie ihrem Schmerz nachgeben. Wie im Trance wandert sie durch die Räume, trinkt, schluckt Tabletten, probiert Kleider an, lauscht der Schallplatte mit dem Lieblingssong ihres Mannes aus dem Musical „Camelot“. Die Erinnerungen überwältigen sie. „Nichts ist mein“, gesteht sie irgendwann. Das Weiße Haus, es war ihr Camelot, ein magischer Ort wie der Hof des Königs Artus. Diesen Mythos um JFK kreiert sie in diesen Tagen und wird dabei selbst zur Legende.

 

Drei Frauen (und ihre Träume), die das Gesicht des 20. Jahrhunderts prägten, sie könnten nicht gegensätzlicher sein. Genre, Ästhetik, Stil, Atmosphäre, Setting, Larraín kreierte für jede von ihnen einen unverwechselbaren und betörenden Kosmos, einige wenige Momente der Freiheit.

 

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Maria

Regie: Pablo Larraín

Drehbuch: Steven Knight

Darsteller: Angelina Jolie, Pierfrancesco Favino, Alba Rohrwacher, Kodi Smit-McPhee, Haluk Bilginer

Produktionsland: Deutschland, Italien, USA

Länge: 124 Minuten

Kinostart: 6. Februar 2025

Verleih: StudioCanal GmbH Filmverleih

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © StudioCanal GmbH Filmverleih

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