Der in Bremen lebende Regisseur Eike Besuden zeichnet in seinem Doku-Drama das bewegte Leben des gebürtigen Emders Max Windmüller nach.
Deutschland 1933: Max Windmüller ist 13 Jahre alt. Seinem Vater wird von den Nazis die Gewerbeerlaubnis entzogen und die jüdische Emder Familie, Eltern und vier Kinder, geht ins Exil nach Holland. Dort bereitet sich Max in den nächsten Jahren auf ein Leben in Palästina vor. 1939 hat er tatsächlich eine Schiffspassage, lässt sich aber überreden, in Holland zu bleiben und in den Widerstand zu gehen. Die Situation dort ist nach der Kristallnacht ähnlich schwierig geworden wie in Deutschland. Max arbeitet jetzt mit den Leuten zusammen, die sich später die „Westerweel-Gruppe“ nennt. Für Tausende von Juden werden in dieser Zeit Adressen besorgt, um sie vor den Deutschen zu verstecken.
Sie alle erleben zwischen 1942 und 1945 als „Onderduikers“ das gleiche Schicksal wie Anne Frank. Später schleust die Gruppe jüdische Flüchtlinge von Holland durch Frankreich nach Spanien, damit sie von dort nach Palästina gebracht werden können. Max Windmüller ist ständig unterwegs. Frankreich, Holland, Belgien. Gefälschte Papiere verteilen, Personen schmuggeln, Kontakte mit anderen Widerstandsorganisationen suchen. Er selbst ist in der Tarnung eines SD-Mannes unterwegs. Die Gruppe rettet auf diese Weise mehr als 500 Personen das Leben. Im Sommer 1944 wird er, zusammen mit anderen, in Paris verraten, gefangen genommen und kurz vor dem Einmarsch der Alliierten nach Deutschland gebracht. Als Buchenwaldhäftling wird er wenige Tage vor Kriegsende auf einen Todesmarsch Richtung Dachau getrieben. Max Windmüller ist jetzt 25 Jahre alt. Bei dem Versuch, Wasser aus einer Pfütze zu trinken, wird er von einem Wachmann erschossen.
Claus Friede traf sich mit Eike Besuden in Emden und sprach mit dem Autor, Journalist und Filmemacher anlässlich der Weltpremiere seines Films:
Claus Friede (CF): Wie sind Sie auf das Thema des Films gestoßen, eine Geschichte des Widerstands im III. Reich und die Geschichte von Max Windmüller aufzugreifen und zehn Jahre daran zu arbeiten?
Eike Besuden (EB): Hilke Theessen (Moderatorin des Nordwestradios; Anmerk. d. Red.) hat mich vor zehn Jahren auf das Thema aufmerksam geführt. Damals hatte sie ein Skript für eine Radiosendung geschrieben und überlegt einen Film über das Leben von Max Windmüller zu machen, was aber aus verschiedenen Gründen nicht möglich war. Sie fragte mich, ob ich daran Interesse hätte und ich las mir die Recherchen und das Skript durch und willigte sofort ein. Sehr schnell bin ich zusammen mit Klaus Meyer-Dettum (Max Windmüller (1920–1945). Eine Recherche, Emden 1997; Anmerk. d. Red.), der bereits damals intensiv Recherchearbeit geleistet hat, im Jahr 2000 nach Israel gefahren und habe mit knapp einem dutzend Menschen Interviews gemacht. Er hat mir quasi dort den Weg geebnet und ich konnte mit den entscheidenden Leuten, die Max Windmüller kannten, reden. Nachdem ich zurückgekehrt bin habe ich dann angefangen, einen Film zu denken und bin damals bei allen Sendern, bei denen ich das Projekt vorschlug, auf Granit gestoßen.
CF: Woran lag das?
EB: Ich kann Ihnen nicht wirklich sagen, woran es lag, ich kann Ihnen aber sagen, was mir gesagt wurde, nämlich, dass zu der damaligen Zeit die Sender so voll von Themen vom Nationalsozialismus und vom Kriegsende waren, dass alle Beiträge kaum noch Einschaltquote gehabt haben. Damals dachte ich auch noch an einen reinen Fernsehfilm und klapperte also alle Sender in Deutschland ab – alle! Nach drei bis vier Jahren des vergeblichen Suchens habe ich dann aufgegeben und die Filmidee und das Material in den Schrank gelegt und erst zehn Jahre später fertigstellen können.
CF: Es wundert mich, dass kein Sender Interesse zeigte, denn bei differenziertem Hinsehen wird einem klar, dass Ihr Film keine Dokumentation über Widerstand im Nationalsozialismus per se ist, sondern sich einem Thema widmet, das filmisch eher rar ist, nämlich: jüdischer Widerstand...
EB: Ja, es gibt wenige Geschichten über den jüdischen Widerstand und wenn, dann sind es jene über das Warschauer Ghetto und es gibt entsprechend wenig Aufarbeitung dazu. In meinem Film sind es unmittelbar Betroffene, die sich gegen das Menschenverachtende gewehrt haben. Der Widerstand um Max Windmüller ist aber auch kein rein jüdischer, es ist ein Widerstand aller, auch der Christen in Holland. Der Anführer einer der holländischen Widerstandsgruppen ab 1942 war Joop Westerweel, ein Montessori-Lehrer und Pazifist. Und der hat den jüdischen Jugendlichen vor und nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen 1940 geholfen.
Zunächst aber hatten die jüdischen Jugendlichen ja ein ganz anderes Ziel, sie waren in einer zionistischen Bewegung, wollten nach Palästina und sollten vorab lernen, dort als Bauern und Handwerker zu überleben. Max Windmüller hat auf drei Bauernhöfen gelernt, zum Glück gibt es noch sein Fotoalbum mit vielen Bildern. Und dann hat er ja sein Ziel auch erreicht, 1939 erhielten er und sein jüngerer Bruder Isaak ein Ticket für ein Schiff nach Palästina. Und dann waren sie bereits drauf und mit anderen in der Kabine und Max hat sich mit zwei anderen überreden lassen, wieder vom Schiff runterzugehen. Sein Bruder blieb an Bord.
CF: Max Windmüller stammt aus einer jüdischen Familie aus Emden, und da in der Stadt die Nationalsozialisten genauso gewütet haben wie anderenorts auch, war es möglicherweise ein Glück, so grenznah zu sein. Hatte das irgendeinen Einfluss auf die frühe Flucht?
EB: Max Windmüllers Mutter hatte eine Schwester in Groningen, die Familie lebte also in Ost- und Westfriesland. Das war die evidenteste Möglichkeit, Deutschland zu verlassen. Die ganze Familie konnte ins Ausland und blieb aber in der Familie. Wenig später zogen Windmüllers nach Assen und die Kinder gingen wie erwähnt auf die Bauernhöfe. Auch noch nach 1939 und nach dem deutschen Einmarsch im Mai 1940 blieb die Familie in Holland, wurde dann aber verhaftet. Max’ Eltern und der älteste Bruder Salomon wurden in Auschwitz ermordet, Isaak schaffte es nach Palästina und Max selbst ging in den Widerstand. Aber auch er war ein paar Tage im Durchgangslager Westerbork, konnte aber fliehen, was symptomatisch für ihn war, denn er kam wohl öfters in Situationen, in denen er schnell reagieren musste. Ich glaube alle sind da eher in den Widerstand reingerutscht, als das sie dies strategisch geplant hätten. Und entsprechend unprofessionell bis naiv haben die auch angefangen – und nicht nur angefangen, eigentlich auch im weiteren Verlauf so naiv weitergeführt. Das zeigt sich auch in der Tatsache, und das ist nicht im Film zu sehen, dass sie sich nach der Verhaftung von Joop Westerweel zu Ostern 1944 alle getroffen haben. Ein Verräter, und alle wären sofort verhaftet worden, auf einen Schlag. Doch sie haben sich getroffen, geredet und getanzt und ein wenig Palästina gespielt, in einer fast unglaublichen Naivität.
CF: Vielleicht verständlich, fast alle waren noch Jugendliche oder junge Erwachsene und Widerstand hatte sicherlich auch mit Angst, Flucht und Herzklopfen zu tun und da ist die Sehnsucht nach ein wenig normalen Leben in manchen Momenten übergroß...
EB: Viele bescheinigen Max Windmüller, dass er ein cooler Typ gewesen ist. Allein, dass er sich in Verkleidung und mit Ausweispapieren eines deutschen Sicherheitsdienst-Mannes durch Holland, Belgien und Frankreich bewegt. Ihm halfen seine Statur und sein nicht-jüdisches Aussehen, sein fast blondes Haar. Und im Ledermantel erweckte er dann einen Eindruck, dass er gar nicht nach seinem Ausweis gefragt wird.
Wenn Windmüller nicht in Paris an das Doppelagenten-Ehepaar geraten wäre, hätte alles gut ausgehen können.
CF: Sie haben für den Film, wie anfangs erwähnt, Interviews mit Überlebenden und Mitstreitern von Max Windmüller in ganz Israel geführt. War es einfach, mit denen über deren Erinnerungen zu sprechen?
EB: Mit fast allen war es einfach, ins Gespräch zu kommen und an die, die gar nicht sprechen wollten kommt man auch gar nicht ran. Fast alle sprechen gerne über die Zeit und da ich die meisten schon vor zehn Jahren getroffen hatte, waren die Interviews kein Problem. Ein wenig heikel waren die Gespräche mit Windmüllers damaliger Freundin Metta Lande. Sie stellte mir schließlich ihre Tagebücher zur Verfügung und das war dann die geöffnete Tür. Für mich war es nicht ganz einfach damit umzugehen. Ich wollte niemanden verletzen, vielmehr respektvoll mit dem Material umgehen. Keiner meiner Interviewpartner hat allerdings den Film vorweg gesehen.
CF: Und alle haben deutsch im Interview gesprochen!
EB: Sie sprechen noch viel deutsch miteinander, es sei denn, die Kinder und Enkel sind dabei, dann sprechen sie hebräisch. Bei den Gedenktreffen, in einem Wäldchen südlich von Haifa, wird hebräisch gesprochen – viele der Widerständler hatten nach ihrer Emigration nach Israel zunächst dort in einem Kibbuz gearbeitet und bereits in den 1950er Jahren einen Gedenkort im angrenzenden Wäldchen eingerichtet, den es bis heute gibt. Dort steht ein Gedenkstein mit den eingravierten Namen der Westerweel-Gruppe.
"Deckname Cor – Die dramatische Geschichte des Max Windmüller". D 2010. Regie, Buch: Eike Besuden. Kamera: André Krüger. Musik: Fabian Teichmann. Redaktion: Angela Sonntag (NDR).
Mit: Marcus Seuß, Pegah Kazemi, Sonja Dengler, Lena Klinder, Christoph Jacobi u.a. Farbe 90 Min. DigiBeta. Prod.: Pinguin Film in Ko-Produktion mit NDR und arte. / Eike Besuden, Rolf Wappenschmitt. DF/GermV.
Eike Besuden wurde 1948 in Wildeshausen bei Bremen geboren. Als Kleinkind kam er gemeinsam mit seinen Eltern nach Ostfriesland. Er machte sein Abitur in Emden und studierte anschließend Soziologie und Germanistik.
Fotonachweis: Alle Headerfotos Rieko Bordeaux, (c) Pinguin Film sowie Gedenkstätte bei Haifa
Portraitfoto Max Windmüller, Quelle: Archiv Arbeitskreis Juden in Emden
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