"Kult" im Bezug auf ein Kulturobjekt ist ein begehrtes Prädikat, obwohl immer großzügiger damit umgegangen wird. "Kult" bedeutet nicht unbedingt, dass etwas besonders gut ist. Es bedeutet nur, dass es sehr vielen Menschen eine Gänsehaut verpasst oder ihnen Tränen in die Augen treibt und dass sie sich einig sind: dies hier steht für eine kollektive Stimmung/Erinnerung/Zeit.
In diesem Sinne bedeuten sämtliche drei ‚Sissi’-Teile ‚Kult’, egal, wie kitschig und geschichtsverfälschend, egal, wie sehr es Romy Schneider an die Nieren ging. Genauso ist ‚La Boum – Die Fete’ aus dem Jahr 1980 Kult.
Heutige Mittvierziger verliebten sich gemeinsam in ‚Vic’, die süße dreizehnjährige Sophie Marceau, oder identifizierten sich mit ihr, je nach Geschlecht. Der Film wurde ein Riesenerfolg, woraus sich natürlich, ganz logisch, die Fortsetzung ergab: ‚La Boum 2, Die Fete geht weiter’.
Die dritte Fete war geplant, Produzent und Publikum voll und ganz auf die vierte und womöglich fünfte Fortsetzung eingestellt, als Sophie Marceau hinschmiss: sie kaufte sich, kaum sechzehn Jahre alt, mit einer Million Franc aus dem Vertrag frei, um es mal eine Weile mit niveauvollen Rollen, gewagter Erotik nach all der Unschuld und der Theaterbühne zu versuchen – ganz wie Romy, nachdem die es geschafft hatte, sich von der Österreichischen Kaiserkrone zu befreien.
Beide Frauen gestatteten sich später, vielleicht, um sich vom Abstand zu vergewissern, einen kleinen Rückfall. Romy Schneider spielte eine kühle, erwachsene, ganz unsüße Elisabeth von Österreich in Viscontis ‚Ludwig II’, fünfzehn Jahre nach dem letzten Sissi-Film.
Marceau wartete sogar 27 Jahre, bis sie in ‚LOL - Laughing Out Loud’ wieder bei einer Teeny-und-Eltern-Komödie mitmachte. Diesmal, versteht sich, als Mutter und dann auch gleich ganz zeitgemäß allein erziehende Mutter.
Die Hauptdarstellerin ist Lola (Christa Theret) von ihren Freunden LOL genannt, was in der Internet- und SMS-Sprache für ‚ Laughing Out Loud’ steht.
Ihre Mutter Anne (Marceau) scheint das tatsächlich nicht zu wissen, was ulkig ist, da sie als Architektin selbst natürlich am Computer arbeitet und Nachrichten auf dem Handy empfängt und verschickt. Auch sonst sieht sie zwar sehr jung und schick aus, benimmt sich jedoch ihren drei Kindern gegenüber (Lola ist die älteste) eigentlich recht altmodisch, schimpft viel (zugegebenermaßen in moderner Tonlage, sie erkundigt sich beispielsweise drei- oder viermal im Lauf des Films bei ihrer Tochter, ob die sie verarschen wolle) droht mit Chat- und Geburstagsparty-Entzug und liest Lolas Tagebuch. Was leider ihre Befürchtung bestätigt, das Kind könne, wie sie selbst, kiffen und Liebe machen.
Hatte Sophie Marceau in ihrer Rolle als ‚Vic’ damals noch durch beide ‚La Boume’-Filme hindurch tapfer ihre Tugend verteidigt (und hätte das womöglich in weiteren Fortsetzungen geschafft), so ist das für Lola kein Thema mehr; ihr geht es eher darum, zu vertuschen, dass sie noch Jungfrau ist. Allerdings ist ‚LOL’ auch etwas älter als die dreizehn- (und fünfzehn) -jährige Vic.
Lola liebt einen Jungen aus ihrer Klasse, der sie enttäuscht, weil er mit einer anderen geschlafen hat. Dann verliebt sie sich in ihren ‚besten Freund’ Mael (Jérémy Kapone), der sehr viel netter zu sein scheint und der zufällig Sänger und Leadgitarrist einer hoffnungsvollen Musikgruppe ist. Da ist dann auch gleich für mitreißenden Soundtrack gesorgt. (Im ersten ‚La Boum’-Film wurde bis an die Grenze des Erträglichen ‚Dreams Are My Reality’ geschmalzt.)
Anne teilt hin und wieder heimlich das Bett mit ihrem geschiedenen Mann, der sie enttäuscht, weil er mit einer anderen schläft. Dann verliebt sie sich in einen herzensguten Polizisten, der zufällig in der Schule ihrer Tochter einen Vortrag über Drogen hält.
Anne und Lola tragen die üblichen Mutter-heranwachsende-Tochter-Probleme aus: „Das ist mein Leben, das geht dich nichts an!“ – „Ich bin nun mal verantwortlich für dich!“, kuscheln aber gern abends im Bett in Löffelchen-Stellung.
Sophie Marceau ist so bezaubernd und sympathisch wie immer, Christa Theret gibt die halbwüchsige Tochter selbstbewusster, aggressiver und weniger charmant als das fast 30 Jahre alte Vorbild.
Wieder brachte das Thema höchst erfreuliche Ergebnisse an den Kinokassen, die Kritik jubelte ziemlich einhellig und bescheinigte dem Film Kultpotential, nicht zuletzt, weil die jungen Darsteller samt und sonders ‚fast unglaubwürdig attraktiv’ seien.
Was gewiss im Auge des Betrachters liegt.
Außerdem wurde konstatiert, der Film zeige, dass sich seit ‚La Boum’ im Grunde nicht viel geändert hätte. Wirklich nicht?
Meiner Meinung nach gibt es in LOL eigenartige Zeitstufen.
So klingt die Sprache voll modern und grundsätzlich ziemlich derb, die Jüngeren reden nur so miteinander, die Älteren kopieren, bewusst oder unbewusst, vieles. Hey, Scheiße, wem das nicht am Arsch vorbei geht, den nervt es echt nach einer Weile.
Elektronisch sind vor allem sämtliche Schüler und Schülerinnen, das betrifft auch kleinere Geschwister, richtig fit. Das waren noch Zeiten, als die kleine Vic an einer kaputten Telefonzelle scheiterte!
Soviel zum Heute.
Gestrig wirken nicht nur einige der Lehrer (ein bisschen wie aus einem Pauker-Film, man wartet immer auf Ilja Richter) sondern auch etliche Eltern. Der Vater von Mael etwa hält so wenig von der angestrebten Musiker-Karriere seines Sohnes, dass er in einem Wutanfall dessen Gitarre zertrümmert. Als er später seinen Sprössling im Konzert erlebt, leuchtet sein Gesicht dann natürlich vor Stolz und Glück und er dürfte nun endlich dessen Talent erfassen.
Das haben wir x-mal gesehen, von ‚Billy Elliot – I Will Dance’ bis ‚Flashdance’ und es ist ja immer wieder befriedigend.
Den eigenartigsten Zeitsprung macht ‚LOL - (Laughing Out Loud), wenn die französischen Schüler eine Klassenfahrt nach England unternehmen.
Sie begeben sich kopfüber voran in die Vergangenheit. Die Tommys tragen Fummel aus den Sechzigern, servieren zum Frühstück gekochte Nudeln auf Toast, tapezieren die Wände mit Bildern von Lady Di und haben – degeneriertes Inselvolk – behinderte Kinder. Außerdem sind sie schrecklich dumm und noch leichter zu übertölpeln als die schrecklich dummen Lehrer. Hier fanden nie ‚vier Hochzeiten und ein Todesfall’ statt und hier gibt es bestimmt nicht ‚tatsächlich Liebe’.
Regisseurin Lisa Azuelos, die auch das Drehbuch sowie das ‚Buch zum Film’ schrieb, muss ein kleines Problem mit dem Land jenseits des Kanals haben.
Ein neuer Kultfilm?
Ich würde sagen, eher nicht, obwohl gerade Jérémy Kapone, mit oder ohne Gitarre, viele Teenies auf den Nerv zu treffen scheint. Mit über 3,5 Million Zuschauern gehörte LOL (Laughing Out Loud) in Frankreich 2009 immerhin zu den Kinohits des Jahres und hängte damit sogar ‚Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen’ ab, das ja dieselbe Zielgruppe anspricht.
Lisa Azuelos meinte in einem Interview, ihr Film sei etwas für alle zwischen 7 und 77 Jahren. Ich würde sagen, er dürfte vor allem Mädchen zwischen 14 und 17 gefallen, die keinen Bock auf Vampir-Schmus haben.
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LOL (Laughing Out Loud)
Regie: Lisa Azuelos
Produktion: Pathé Production
mit Sophie Marceau, Christa Theret, Jérémy Kapone, Félix Moati, Jocelyn Quivrin, Marion Chabassol, Lou Lesage u.v.a.
Frankreich 2008, 103 Min., Dolby SR7SRD, 1:2,35 (CS), 35mm
freigegeben ab 6 Jahren beantragt
Kino-Starttermin: 27. August 2009
DVD-VÖ: 18. Februar.2010
Foto: Anne (Sophie Marceau) und Lol (Christa Theret) © David Koskas / Delphi Filmverleih
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