Rebecca Saunders ist „Composer in Residence“ des aspekteFESTIVAL 2022 und so führt ihre Musik mit sieben handverlesenen Kompositionen quasi durch das diesjährige Festival-Programm.
Die Britin – so heißt es allenthalben – gehöre zu den führenden Komponistinnen unserer Zeit. Unverwechselbar, charakteristisch, unverkennbar, bemerkenswert und wiedererkennbar seien ihre Kompositionen – lauter Adjektive, die auf Einzigartigkeit hinweisen, eine eigene künstlerische Sprache versprechen und sie zu jemand Besonderen machen. Und das wurde und wird gefördert. Sie erhält Kompositionsaufträge, Musik- und Kompositionspreise fügen sich, sie wird aufgeführt und eingeladen teilzunehmen als „Artist in Residence“, als Festival-Kuratorin, schlicht als Musikerin.
Die Dinge bedingen sich – sie stammt aus einer Musikerfamilie –, Erfolg macht erfolgreich, es geht voran, kein Eklektizismus in Sicht. All das ist jedoch letztlich eine Oberflächlichkeit, gesellschaftliche Reflexion und die Frage sei gestattet, was macht den Kern ihrer Musik, ihres Komponierens denn tatsächlich aus? Es gibt bei ihr den Antrieb, die Neugierde ist da, die Suche angeregt, in ihrem Inneren existiert alles zwischen Stille und Klang – wie in vielen von uns auch. Doch hier nun beginnt das Individuum, das Unikat, das Einzigartige zu wirken, das nur sie so offerieren kann.
Suchen, komponieren, ausprobieren
Sie braucht den Druck nicht, um zu arbeiten, sie benötigt aber Bilder, Quellen, Anknüpfungspunkte, Raumvorstellungen und ein Vertrauensverhältnis zum Klang.
Sie braucht jene Freiheit, die ihr einstiger Lehrer Wolfgang Rihm seit je her forderte: „Ich versuche, meine Studenten eigentlich erst einmal zu entkrampfen, damit ihre Eigenarten und vielleicht auch ihr Eigensinn hervortreten können. Meine Schüler komponieren bis heute stilistisch alle ziemlich unterschiedlich, aber ich glaube sagen zu können, jeder und jede ist zu dem geworden, was nur er oder sie werden konnte. Ich versuche immer, ihre Eigenarten zu fördern und nicht ein scheinbares Eingehen in die Konventionen, sei es des Avantgardistischen oder des Reaktionären – was ja künstlerisch im Grunde das Gleiche ist.“[1]
Und jene Freiheit hat sich Saunders genommen. Sie macht „ihr Ding“. Und wenn sie über „ihre Dinge“ spricht, dann nicht selbstreferenziell. Es gibt kein monolithisches Ich, um das alles kreisen würde oder müsste. Sie ist mit sich zurückhaltend – die Gestalt ist in ihr, nicht in ihrem Auftreten – im Gegenteil, sie möchte vielmehr das Selbstverständnis der Musik für andere zugänglich machen. Das tut sie, indem sie auf andere Genres eingeht, etwas einbindet, kontextualisiert und gegenüberstellt, beispielsweise eine Annäherung an James Joyce‘ „Ulysses“ – ein Dialog, eine Wiederholung oder ein Rhythmus. Das Jonglieren mit Buchstaben, Worten und Textpassagen findet bei ihr eine Entsprechung im Jonglieren mit Noten, Sequenzen und Klängen. Alle Buchstaben und Noten gibt es bereits, alle Worte und Passagen sind existent, es gibt an diesem Punkt keine Neuerfindung, aber es gibt unendlich viele Kombinationen und vor allem: es gibt „ein anderes Musikhören, ein anderes Zuhören“[2].
„Kunst lebt heute nicht mehr in den Werken, sondern durch die Kommunikation über die Produktionen, die Werke genannt werden. Die künstlerische Qualität ist dann abhängig von der Qualität der Kommunikationen.“ (Michael Lingner, 1991)
Das ist ein Kerngedanke – eine Haltung in ihrem Werk. Sie verweist damit – wie viele Künstler und Musiker besonders seit den 1960er Jahren vor ihr – auf ein anderes Künstlerverständnis, das sich im vorangestellten Zitat von Michael Lingner (1950-2020) reflektiert, weg von ihr und der reinen Werkproduktion – hin zu uns führt. Sie delegiert einen Teil künstlerischer Verantwortung über die Interpreten hinaus auf die Hörer und Konzertbesucher. Saunders verantwortet die Komposition, die Musiker das Spiel und die Aufführung mit, aber wir verantworten das Hören und Zuhören in immenser Weise mit. Damit sind wir in einer vergleichbaren Weise für die Komposition verantwortlich wie sie. Wir nehmen ihre Offerte der „Eigenverantwortung“[3] auf, werden nicht nur Teil eines Netzwerks aus Raum, Klang, Interpretation sowie allgemeiner wie innerer Befindlichkeit, sondern wir nehmen darüber hinaus Teil an einer Art Kommunikation des Hörens. Dazu bedarf es einer Befreiung des Gewohnten, Bekannten und Erwartbaren. So abstrakt dies einerseits, so selbstverständlich es andererseits klingen mag, so vielseitig kann das Ergebnis sein. Es ist an uns, das zuvor bereits erwähnte Vertrauensverhältnis zum Klang selbst aufzubauen. Dazu gehört die gleiche Hartnäckigkeit in der Suche, die auch die Komponistin vorweist.
Wesenserkundungen
Dabei macht Rebecca Saunders es uns an so einigen Stellen einfach, qua ihrer katalysatorischen Methodik. Wie in der Kunst des fernen Ostens, insbesondere Japans findet sie eine Meisterschaft im „Katachi“ (dt.: Form)[4]. Im diesem japanischen Begriff steckt kein Zustand, sondern ein plastischer Prozess, eine rituelle Transformation, ein Weg zu etwas und darüber hinaus. Der Prozess besteht grundsätzlich aus Reduktion und der Frage, was bleibt als Kondensat übrig, ohne an Bedeutung, Präzision oder Komplexität einzubüßen. Aber auch ohne mit den überstrapazierten Wort von Schönheit operieren zu müssen, das ist einer der Gründe, weshalb sie auf klassische musikalische Erzählungen verzichtet, selbst bei den Inspirationen durch Joyce oder Beckett. „Katachi“ ist bei Saunders nicht nur etwas, das hörbar ist, sondern auch sichtbar wird. „Behind the Blue“, „blaauw“[5], „Still“ „Hauch“, „Dust“ und „The Mouth“ heißen mehrsprachig einige ihres weit über 60 Kompositionen umfassenden Werks. Zustände und Farbigkeit führen bei ihr zu Wesenserkundungen.
Vieles kommt aus dem Nichts, aus einer Stille – aber nicht aus einer Leere (!) – und führt auch wieder dorthin. Wie der biblische Schöpfungsakt und die Lebenszyklen kennen die Kompositionen von Rebecca Saunders den brüchigen, instabilen, verschleierten und kaum hörbaren Klang ebenso wie die sich aufladenden und atmenden Energiefelder. Es entsteht und vergeht. Bewegung, Geschwindigkeit und Verlangsamung werden sichtbar, auch in der Führung eines Violinbogens oder den Händen auf einer Tastatur oder im Bedienen eines Schlagwerks und dem schnellen Wechsel von Klöppeln, Schlegeln etc.
Zusammenarbeit und Entstehungsprozesse
Christian Dierstein ist Perkussionist, unterwegs als Solist und mit dem Trio Accanto[6]. Er kann auf eine über 10-jährige Zusammenarbeit mit der Komponistin zurückblicken. In einem Gespräch[7] mit ihm, betont er deswegen gerne mit Saunders zusammen zu arbeiten, „weil ich als Musiker Freiräume habe und wir auf gleicher Wellenlänge sind.
Trio- Accanto (Nicolas Hodges, Marcus Weiss und Christian Dierstein). Foto: Marc Doradzillo
Die Zusammenarbeit mit Rebecca Saunders ist extrem präzise, es bleibt nicht nur beim Ausprobieren, sie notiert sich jedes kleine Detail. Jeder Interpret weiß viel über sein Instrument, seine Instrumente, dieses Wissen braucht jedoch jeder, der komponiert, für viele Instrumente – die Person muss jeweilige Klangfarben, Möglichkeiten und Begrenzungen kennen. Saunders weiß, schaut in ihrem Notizbuch nach und erinnert sich an alles, auch wenn es Jahre zurückliegt. Dennoch lässt sie gerade bei Übergängen und der Suche nach Klang und Reibung, den Musikern Freiräume. Es dürfen auch verschiedene Versionen entstehen, bei einigen gibt es drei und mehr – Rebecca Saunders ist dabei immer unterstützend.“ Das gilt übrigens auch für das Stück That Time für Baritonsaxophon, Perkussion und Klavier (2019), das am 18. März beim aspekteFESTIVAL[8], aufgeführt werden wird. Nach der Uraufführung in Paris gibt es weitere: eine Luzern-, eine Donaueschingen- und demnächst eine Salzburg-Version.
Die bereits eingangs gestellte Frage, was Rebecca Saunders‘ Kompositionen ausmachen, beantwortet Dierstein aus der Sicht eines Interpreten: „Es gibt verschiedene Schaffensperioden bei ihr, aber zur jetzigen kann ich sagen, dass ihre Kompositionen sich deutlicher durch eine wachsende Kraft und Wucht auszeichnen und gleichzeitig eine konkrete Poetik in sich tragen – im Gegensatz zu der frühen Periode, wo es eher sanft und zart zuging, sich schwebende Klänge geradezu sensibel im Raum verteilt haben. Aber unabhängig davon glaube ich, dass Interpreten bei den Werken von Saunders sich zum Einzuarbeiten viel Zeit nehmen und einen eigenen Bezug zu ihnen finden müssen. Einerseits besteht die Balance zwischen Vorgabe und Offenheit, andererseits diese genaue Tiefe und ihre Sensibilität im Erforschen von Klangschichten und Objekten wahrzunehmen.
Und auch dies: bei keiner anderen Komponistin wird derart viel Körperlichkeit benötigt und beansprucht wie bei ihr, das erlebe ich auch als Qualität.“
„Hören und sehen wir ihnen zu!“[9]
Aspekte Festival Salzburg
16. bis 20. März 2022 an folgenden Orten:
Szene Salzburg, Universität Mozarteum: Solitär, Kleines Studio, Max Schlereth Saal
Kartenbestellung: Einzelkarten und print@home-tickets unter ticket.re-creation.at oder Tel.: +43 (0)662 890083
[1] Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 4.8.2018, (https://www.nzz.ch/feuilleton/wolfgang-rihm-im-gespraech-ich-will-keine-schule-gruenden-ld.1405753).
[2] Quelle: Komponistin Rebecca Saunders: „Nicht jeder muss meine Musik hören wollen“, Deutschlandfunk, 2.6.2019, (https://www.deutschlandfunk.de/komponistin-rebecca-saunders-nicht-jeder-muss-meine-musik-100.html).
[3] Vgl. Michael Lingner: „Qualitätssteigerung durch Eigenverantwortung. Demokratisierung statt Ökonomisierung des Kunstsystems“, 2015, (https://artrelated.net/sic/publication/3933809460/michael-lingner.html).
[4] Anm.: Aus dem Japanischen bedeutet der Begriff in der deutschen Übersetzung „Form, Gestalt oder Figur“, aber das Konzept des Begriffs hat komplexe Konnotationen, die es in anderen Sprachen nicht gibt und daher erklärungsbedürftig sind.
[5] Aus dem ursprünglich Fränkischen und heutigen Niederländischen ins Deutsche übersetzt: „blau“.
[6] Trio Accanto: Marcus Weiss (Saxophon), Nicolas Hodges (Piano) und Christian Dierstein (Perkussion).
[7] Das Gespräch mit Christian Dierstein führte Claus Friede am 16.02.2022.
[9] Abwandlung eines Zitats von Intendant Ludwig Nussbichler.
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