„Wir sind glücklich eines der führenden Kammerorchester weltweit für das aspekteFESTIVAL 2020 gewonnen zu haben, sagt Intendant Ludwig Nussbichler über das 18-köpfige Ensemble Resonanz aus Hamburg, „und so ist es für uns gleich zum Beginn in vier Woichen ein Paukenschlag.“
Und für das Ensemble Resonanz [1] ist es eine Premiere, nicht nur erstmalig beim aspekteFESTIVAL zu sein, sondern dann auch gleich das Eröffnungskonzert zu bestreiten.
Wie ist die Sicht des Ensemble Resonanz auf das aspekteFESTIVAL, das Eröffnungskonzert und die drei Programmwerke von Mark Andre (*1964), György Ligeti (1923-2006) und Johannes Maria Staud (*1974)?
Tim-Erik Winzer [2], Solobratschist beim Ensemble Resonanz, ist ein guter Gesprächspartner, um diesen Fragen nachzugehen:
„Aus unserer Hamburger Perspektive“, erläutert Winzer, „ist das Festival äußerst wichtig im europäischen Kontext, weil es ausgewählt, feinsinnig, komprimiert, wenn auch relativ klein ist. Es zeigt einerseits, dass Salzburg nicht nur aus den Festspielen und Mozart besteht und anderseits welche Entdeckungen dabei zu machen sind. Auch für uns ist beispielsweise die Zusammenarbeit mit Johannes Maria Staud und dem Geiger Ernst Kovacic Neuland. Das ist in der Tat erstaunlich, denn bei Staud haben wir alle im Ensemble das Gefühl gehabt: wir kennen und wissen um ihn, jedoch kam es bislang noch nie zu einer Zusammenarbeit und gleiches gilt für Ernst Kovacic!“
Für das Ensemble Resonanz ist die Einladung, das Eröffnungskonzert zu bestreiten, neben der Ehre auch eine Anerkennung der Leistung sowie ein Ausdruck der Gleichgesinnung, was die künstlerische Qualität als auch das Spielerische und Programmatische angeht.
Es ist insofern dann schade, dass das Ensemble gleich nach dem Eröffnungskonzert wieder abreisen muss, um ein Konzert in Berlin zu geben, und nicht die spannenden, experimentellen und weiteren Veranstaltungen miterleben kann, aber das gehört bei einem so gefragten Kammerorchester wohl zum Konzertalltag, neben Kostengründen.
Auf die Frage, ob es so etwas wie einen roten Faden in der Abfolge der drei Komponisten gibt, antwortet Winzer: „Es kommt auf die Brennweite an, mit der man die drei Komponisten und Werke betrachtet. Setzt man diese auf Grundsätzliches, dann ist bei allen drei auffallend, dass sowohl Andre, als auch Ligiti und Staud Musik rein akustisch, für das Hören komponieren, im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, die zusätzlich auf multimediale, konzeptuelle und theatralische Aspekte ihren Fokus setzen und Akustisches mit dem Visuellen stark verbinden. Diese Art zu Denken oder gar Installationen zu komponieren spielt meines Erachtens bei keinem der drei genannten Komponisten eine große Rolle – obwohl Staud auch Opern schreibt – aber das macht er eher in einer unkonventionellen Fortführung der musikalischen Tradition. Das bedeutet natürlich nicht, dass Musik über das Hören nicht auch Bilder und innere visuelle Vorstellungen hervorruft, denn die Stücke sollen vielmehr im Hörer etwas entstehen lassen, was auch jenseits der Musik existiert. Es geht mir in der Umschreibung um die Abwesenheit eines externen Bespielens vieler gleichzeitiger und sinnesorientierter Kommunikationskanäle.“
Das Eröffnungskonzert beginnt mit Mark Andre, rwh 1 für Ensemble und Elektronik (2019), gefolgt von György Ligeti, Ramifications (1968, uraufgeführt 1969) und schließt ab mit Johannes Maria Staud, Oskar (Towards a Brighter Hue II) (2018).
Mit Mark Andre, der zurzeit ein äußerst gefragter Komponist ist, hat das Ensemble Resonanz viel Erfahrung und mit dem Stück insbesondere, da sie es waren, die die Uraufführung in Donaueschingen 2019 von rwh 1 erarbeiteten und nun weitere Aufführungen in Österreich und Deutschland vorbereiten.
Das aus dem Aramäischen stammende „rwh“ [3] (von rechts nach links geschrieben: „רוּח“ und gesprochen: ruach) bedeutet so viel wie „Geist“ als auch „Wind“, „Odem“ oder „Atem“. Allein das aussprechen des onomatopoetischen Wortes, vollzieht das Geräusch des Windes oder des Atmens in nachahmerischer Form.
Von Tim-Erik Winzer möchte ich wissen, wie die Musiker auf das Stück schauen und wo die Besonderheiten liegen.
„Es gibt“, so die Antwort, „eine Reihe von speziellen Eigenheiten: allein die Anordnung des Orchesters in der Form eines stilisierten Kreuzes, Musikergruppen, die im Raum verteilt sind und ganz zentral ist lediglich der Ort der elektronischen Steuerung. Für uns Musiker ist erst dieses scheinbar formale Anordnen in Zusammenhang mit dem Stück vollständig verständlich. Meine Erfahrung ist, dass ich, wenn ich das Stück im Nachhinein als Aufnahme höre, ganz anders klingt als auf meiner Position im Raum an der Viola. Geradezu außergewöhnlich ist die avantgardistische Klangsprache, die ich auf meinem Instrument hervorrufe, die in der Wirkung eine extrem konzentrierte, ja geradezu meditative Wirkung erzeugt, die gleichzeitig kraftvoll wie differenziert ist. Einige Hörer empfinden den Zugriff des Stückes recht brachial und für Mark Andre eigentlich untypisch stürmisch, körperlich, dennoch stellt sich die vorher beschriebene konzentrierte Atmosphäre nach nur kurzer Zeit des Hörens ein. Außerdem werden Klänge elektronisch eingespielt, die Andre in einem Kirchenraum in Hamburg aufgenommen hat und trägt diese in den immer wieder anderen, neuen Konzertsaal. Es bedarf allerdings einer komplizierten Beschallungstechnik, um die optimale Wirkung zu erzielen.“
György Ligeti war noch zu Beginn der 1960er Jahre bekannt für seine dichten, geradezu starren klanglichen Strukturen. Nur einige Jahre danach lockerten sich seine Kompositionen aus der einstigen Starre immer mehr auf und wurden beweglicher. So stellt Ramifications (dt.: Verästelungen) eine Weiterentwicklung seiner Arbeitsweise mit komplexen und feinsinnigen musikalischen Netzgebilden dar. Die mikrotonalen Intervalle, das Heraufstimmen einiger Instrumente um einen Viertelton als das standardmäßig der Fall ist, also das Bilden von zwei Gruppen, machen auch dieses Werk sehr besonders.
„Diese Komposition für ursprünglich Streichorchester, etwas später für 12 Solo-Streicher hat das Ensemble Resonanz im Sommer 2016 im Dom von Speyer aufgeführt“, erinnert sich Winzer, „zwar in einem ganz anderen programmatischen Kontext, aber mir ist die hohe konstante Spannung im Kopf geblieben.“
Das Stück, das aus einem Satz besteht, wirkt mit seinen sehr schnellen, kurzen Bewegungen ausgesprochen fragil und zart, aber homogen. Der Eindruck wird von den schwarmartigen, sich intensivierenden amorphen Tonfolgen bestimmt, um dann gegen Ende scheinbar schließlich etwas zur Ruhe zu kommen vor einem letzten kurzen Aufbäumen.
Claus Spahn beschreibt Ligeti als Synästhetiker, der sich von Farbmustern habe inspirieren lassen und zitiert den Komponisten, der über sein Werk Ramifications sagte: „Das Werk besteht aus Lianen, die in rotierende Räderwerke hineinwachsen" [4].
„Das Violinkonzert Oskar (Towards a Brighter Hue II) von Johannes Maria Staud passt allein von der Besetzung optimal zu uns: Streichorchester, Percussion und Solovioline. Dieses Stück war Ausgangspunkt für die Werkfolge des Eröffnungskonzerts – obwohl es als letztes gespielt wird.“ Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz und Tim-Erik Winzer haben mit Ludwig Nussbichler detailliert das Eröffnungsprogramm erarbeitet.
„Ich kann aus mehreren Gründen gut verstehen, warum sich Nussbichler die Kombination von Staud, Kovacic und uns gewünscht hat“, sagt Winzer. „Eigentlich lag es auf der Hand einmal ein Staud-Stück zu spielen und dann mit einem Solo-Geiger von großem Format. Ernst Kovacic ist uns allen ein Begriff und ich persönlich mag die Art wie er Werke entschlüsselt. Er ist in Österreich eine vielfache Legende, ein extrem wichtiger und beeindruckender Musiker mit großen Wirkungs- und Bewirkungskreisen, würde ich sagen. Es gibt zwischen ihm und uns durchaus Berührungspunkte über Georg Friedrich Haas und Beat Furrer, auch wenn wir noch nie direkt zusammengearbeitet haben.“
Das als Hommage an Stauds Sohn Oskar – der während des Komponierens zur Welt kam – und an die Geigerin Midori erarbeitete Violinkonzert, trägt selbstanalytische Spuren des früheren Werks Towards a Brighter Hue [5] in sich, baut regelrecht darauf auf.
Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wie kann man diese Widmung, die als etwas sehr Persönliches und Biographisches erscheint, gerecht werden?
„Indem man sensibel darauf eingeht. Natürlich können wir nicht den Kern eines individuellen Gefühls erreichen, aber wir können interpretieren. Diesen Raum lässt der Komponist. Ich gehe davon aus, dass wir Johannes Maria Staud bei den Proben in Salzburg treffen, das wir uns noch – gemeinsam mit dem Dirigenten des Stücks Johannes Fischer – mit ihm austauschen können.
Ich mag übrigens seine Art des Komponierens sehr gerne, weil sie eine abwechslungsreiche Dramaturgie bietet und so herrlich undogmatisch ist.“
aspekteFESTIVAL Salzburg für neue Musik 2020
Das Aspekte Festival musste abgesagt werden. KulturPort.De hat sich dennoch entschieden, den Text zu veröffentlichen, allein aus Respekt vor der Arbeit der Verantwortlichen, Musiker und aller Mitarbeiter.Weitere Informationen
Fußnoten:
[1] Weitere Informationen zum Ensemble Resonanz unter www.ensembleresonanz.com
[2] Tim-Erik Winzer wurde 1978 geboren und ist in Potsdam aufgewachsen. Er begann im Alter von 6 Jahren mit der Geige und wechselte mit 16 zur Bratsche. Seine Ausbildung erhielt er an den Hochschulen Weimar und Berlin (Hanns-Eisler) bei Frau Prof. Ditte Leser und Prof. Erich Krüger. Mit dem „Abraxas-Quartett“ studierte er von 2001 bis 2005 bei Prof. Eberhard Feltz und arbeitete unter anderem mit Hariolf Schlichtig und Thomas Kakuska zusammen. Seit 2009 ist er Solobratscher beim Ensemble Resonanz und widmet sich darüber hinaus auf modernen und historischen Instrumenten der Kammermusik und dem Projekt Spira mirabilis [www.spiramirabilis.com].
[3] rwh 1 ist ein Kompositionsauftrag des Südwestrundfunks für Streichorchester mit Akkordeon, Schlagzeug und Sinustonorgel und wurde vom Ensemble Resonanz im Oktober 2019 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt.
[4] Quelle: SPAHN, Claus: Strubbelkopf im Wunderland. Musik, so vertrackt, gehetzt, tragikomisch und bunt wie sein Leben: Zum 80. Geburtstag des Komponisten György Ligeti, in: DIE ZEIT 28.05.2003 Nr.23
[5] Towards a Brighter Hue ist von einer Skulptur des englischen Künstlers David Nash inspiriert. Staud beschreibt die Inspiration im Jahr 2014 in einem Gespräch mit dem Tages-Anzeiger, Zürich so: „Nash hat verschiedene Holzarten komplett verkohlt und sich viel mit der Psychologie des Feuers beschäftigt, wie es die Struktur des Holzes ändert, durch einen physischen Vorgang ein anderes Material daraus macht. Was wäre also, wenn die Violine jetzt Feuer fangen würde, rein durch das Spiel?“Ernst Kovacic hat jenes erste Stück bereits 2007 auf dem Album Johannes Maria Staud: Apeiron eingespielt.
Abbildungsnachweis:
Header: Ensemble Resonanz vor der Elphilharmonie Hamburg. Foto: Tobias Schuldt
01. Marc Andre. Foto: Manu Theobald
02. György Ligeti. Foto: CoBoese
03. Johannes Maria Staud. Foto: Priska Ketterer
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment