
Meuchelmord in Westernjacke: Das Film Festival Cologne (10.-17. Oktober) startet mit Quentin Dupieuxʼ skurriler Geschichte „Deerskin“, dessen absurder Spaß uns bald in unvorhergesehene Abgründe führt. Dass sich Tragikomik gut mit dunklen Twists paart, führt auch Joon-ho Bongs Film „Parasite“ meisterhaft vor.
Was sonst noch geschah, und worauf man sich noch freuen kann: Ein Zwischenbericht.
Gute 8.000 Euro zählt George auf den Tisch, sein ganzes Geld. Dann gehört sie ihm, die Jacke, 100 % Wildleder im Westernlook. Ein paar Zentimeter zu kurz vielleicht am Bauchansatz, aber das sieht George wohl nicht, der sich im Spiegel mustert und sich zu seinem „Killer Style“ gratuliert. Wer an dieser Stelle des Films gut aufgepasst hat, kann vielleicht schon ahnen, wohin uns die absurd-witzige Geschichte führt. Denn nicht nur scheint die Jacke bald ein Eigenleben zu entwickeln, sie hat auch einen Herzenswunsch: die einzige Jacke auf der ganzen Welt zu sein. George möchte seinem neuen Lieblingsteil aus Leder diese Bitte natürlich nicht abschlagen, aber seine von vornherein schon beschränkten Mittel – etwas erschlichenes Geld und seine eher ungeduldige Überredungskunst – führen schnell ins Leere. Desto obsessiver er sich dem Ziel verschreibt, desto drastischer werden die Mittel. Denn die Jacke wird langsam ungeduldig…
Mit dieser surreal-skurrilen Story hat sich der französische Filmemacher Quentin Dupieux, den man auch als DJ auch unter dem Pseudonym „Mr. Oizo“ kennt, an eine rabenschwarze Splatter-Western-Komödie gemacht, die irgendwie doch in keines dieser Genres richtig hineinpasst. Denn da gibt es auch noch die Seite des verlorenen, abgewrackten Typs, der zwischen Wahn und Wahnsinn balanciert, der sich – trotz gegenteiliger Evidenz – vom Typ mit tollem Stil zum erfolgreichen Filmemacher hochstilisiert, und doch stets transparent bleibt in seinem Scheitern. Aber kaum hat man sich beim Anflug von Mitleid ertappt, führt der Film einen um die nächste steile Wendekurve hinab.

Spätestens am zweiten Festivaltag ist klar, welcher Film wohl der absolute Renner werden wird: „Parasite“ von Joon-ho Bong, der am Folgetag laufen wird, ist bereits seit Tagen restlos ausverkauft, und trotzdem bilden sich immer wieder Schlangen am Ticketschalter, aus denen das hoffnungsfrohe Wort „Parasite?“ zu hören ist, nur um mit einem bedauernden Kopfschütteln des Kassenpersonals wieder abgewiesen zu werden. „Wir hätten sicher locker 4x so viele Tickets für den Film verkaufen können“, so beginnt auch Programmdirektor Johannes Hensen seine Begrüßung am Vorführabend – und ergänzt: „Ich wette mit jedem, der mag, um 5 Euro, dass der Film ein Oscargewinner wird – ich bin mir da sehr sicher“.

Der Buzz um den Film bewahrheitet sich: „Parasite“ führt spiegelbildlich anhand der beiden Familien vor, was es heißt, auf der Gewinner- oder Verliererseite des Turbokapitalismus zu stehen. Dabei ist der Film nicht moralisierend, sondern vor allem: unwahrscheinlich witzig. In die komödiantischen Momente mischen sich aber immer wieder ernste Töne hinein, vor allem, wenn der Kontrast zwischen Arm und Reich in all seinen Ungerechtigkeiten zwei Lebenswelten vor Augen führt, die nicht weiter voneinander entfernt liegen könnten. Klar können es sich Wohlhabende leisten nett zu sein, sie müssen sich ja ums Finanzielle keine Sorgen machen, heißt es an einer Stelle: Geld bügelt Gesichtsfalten aus. Spätestens dann, als den „Parasiten“ ihr wohlgeordneter Plan zu entgleiten droht, bleibt das Lachen dann endgültig im Hals stecken – mit einem Twist, der hier nicht verraten werden soll.

Gezeigt wird zum Beispiel „Brexit – An Uncivil War“, ein vom britischen Channel 4 produzierter TV-Movie mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle als Dominic Cummings, dem weitestgehend unbekannten Strippenzieher hinter der Referendumswahl, die zugunsten ausgeklügelter Algorithmus-Auswertungen zugunsten von „Leave“ entschieden wurde. Der Film ist eher leicht verdauliche Entertainment-Kost als jene Provokation, die die Macher versprechen – vielleicht, weil man schon zu viel weiß über den Cambridge-Analytica-Skandal, vielleicht, weil man schon gefährlich gewöhnt ist an die vielen Fälle von Datenmissbrauch zu Wählerbeeinflussung.
Zum Thema Politik gehört auch „For Sama“, ein Dokumentarfilm der jungen Filmemacherin Waad Al-Kateab über den syrischen Bürgerkrieg und den Kampf um Aleppo, den sie tagebuchähnlich über mehrere Jahre mit ihrer Handkamera mitverfolgt. Der Film zeigt die Gräueltaten des Krieges in brutaler Schonungslosigkeit, beschränkt sich aber weitestgehend auf das Abfilmen des Geschehens – ohne Kontextualisierung und Differenzierung. Nicht unproblematisch bleibt hierbei die stark ideologische Rahmung des Präsentierten, die aus der einseitigen Betroffenensicht entsteht und bei der immer wieder darauf beharrt wird, trotz allen Opfern sei das Ausharren in der Stadt das einzig richtige. Dennoch: So nah dran war man dem Kriegsgeschehen sicher noch nie, so eindrücklich hat man es selten gesehen.
An ein weiteres Brennpunktthema, die Religion, wagt sich der Film „Die Götter von Molenbeek“, der das Thema aber mal ganz anders aufschlüsselt: durch die Augen der Kinder. Dokumentarfilmerin Reetta Huhtanen filmt in Molenbeek, einem Problemviertel in Brüssel, das als Islamistenhochburg gilt. Hier leben die beiden Nachbarsjungen Athos und Amine: Athos denkt schon, dass es Gott gibt, aber stellt sich am liebsten vor, er wäre sowas cooles wie Poseidon oder Hermes. Amine wächst dagegen muslimisch auf, betet mit seinem Vater und besucht die Moschee. Und dann ist da noch Flo, eine freche Freundin von Athos, die meint, wer an Gott glaubt ist verrückt. Der Film zeigt eindrücklich, wie Kinder durch einfache Fragen über komplexe Themen nachdenken: Über Gott, den Sinn des Lebens, und den Tod. Als dann ein Bombenattentat die Nachbarschaft in Terror-Alarm versetzt, rückt die Erwachsenenwelt dann auf einmal ganz nah an die Kinder heran. Trotzdem: Der Film bleibt berührend, leicht, und erstaunlich hoffnungsfroh.

Worauf freuen wir uns jetzt noch im Rahmen des Film Festivals Cologne? Auf die Fortsetzung der südkoreanischen Reihe, bei der Klassiker wie „Poetry“ (Chang-dong Lee), „The Housemaid“ (Ki-young Kim) oder „Sopyonje“ (Kwon-taek Im) zu sehen sein werden. Auf Nicholas Refn, der nach Köln kommen wird, um mit Game-Director Hideo Kojima über die Zukunft des (interaktiven?) Films zu sprechen. Und auf weitere Filme natürlich – 3 Festivaltage stehen ja noch bevor.
Film Festival Cologne
10.-17. Oktober 2019Tickets 8,00 €, Festivalpass für 5 / 10 / 15 Veranstaltungen zum ermäßigten Preis
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