Dieses SHMF-Wochenende in der MuK riss die Lübecker von den Sitzen: Standing Ovations für das fantastische Konzert des charismatischen Geigers und Sängers Charles Yang, der am Freitagabend den renommierten Leonard Bernstein Award erhielt, ebenso für die intensiven „Faust-Szenen“ mit Klaus Maria Brandauer, dem Flensburger Bach-Chor, dem Symphonischen Chor Hamburg und dem Sonderjyllands Symfoniorkester unter Leitung von Matthias Janz.
„Wer will, kann mich einen klassischen Geiger nennen, ich selbst verstehe mich als einen Musiker, der einfach Musik spielt – und nicht nur eine Art von Musik“, hat Nigel Kennedy einmal gesagt. Wer Charles Yang sieht, muss unwillkürlich an den jungen Kennedy denken. Die vorwitzige Haartolle, die Turnschuhe, das fröhlich-freche Lächeln, die überaus lockere, souveräne und sympathische Art Publikum und Kollegen anzusprechen – wie der Brite Anfang der 80er-Jahre, so weiß auch der Texaner mit asiatischen Wurzeln, dass er zu den besten Violinisten seiner Generation gehört, das spürt man sofort. Nicht nur in der Klassik, auch im Pop und Crossover, im Jazz und Rock’n Roll.
„Wenn man junge Menschen an Musik heranführen will, braucht es Typen wie Charles Yang“, sagte Reinhard Boll, Präsident der preisstiftenden Sparkassen-Finanzgruppe, sichtlich begeistert bei der Preisverleihung. Sympathisch, dass der Banker auch zugab, sich erst einmal mit diesem „wunderbaren, herzerfrischenden Menschen“ anfreunden zu müssen, den Jamie Bernstein (Leonard Bernstein Society) da als Preisträger für 2018 vorgeschlagen hatte. Als Amerikanerin kannte sie den vielseitigen jungen Musiker natürlich, der als „The Human Jukebox“ bekannt wurde: Dabei singt und spielt Charles Yang gemeinsam mit einem Bassisten auf der Straße Stücke von Bach, Beethoven, Lady Gaga oder Michael Jackson – je nach dem, in welche entsprechend beschriftete Box das Publikum ein paar Cent oder Dollar hineingeworfen hat.
Der 29jährige Geiger, der heute weltweit mit großen Symphonie Orchestern auftritt, ist also für den Award prädestiniert, schließlich war ihr Vater Leonard Bernstein (1918-1990), dessen 100. Geburtstag sich am 25. August jährt, ein Grenzgänger par Excellence zwischen den damals noch strickt getrennten Welten von U- und E-Musik.
Wie grandios Charles Yang diese beiden Welten beherrscht, davon konnten sich die Zuhörer in der MuK am Freitagabend überzeugen. Durch das Programm führte souverän und kurzweilig Jessica Schlage, die sich auch von einem Kabel das zu Beginn der Decke fiel (weiter nix passiert) irritieren ließ. Nach dem unabdinglichen Grußwort (diesmal von Schleswig-Holsteins Landtagsvizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber) spielte das hervorragende Festival-Orchester unter Leitung Wayne Marshalls als erstes Bernsteins Suite „On the Waterfront“ zu Elia Kazans gleichnamigem Film von 1954 („Die Faust im Nacken“): Eine atmosphärisch dichte und mitreißende Komposition, die mit viel Pathos und einem großartigen Hornsolo am Anfang die düstere Szenerie an den Docks des East River aufleben lässt. Die jungen Musiker der Schleswig-Holstein Festival Orchesters begeisterten dabei mit ihrem Enthusiasmus, insbesondere das Blech war hervorragend besetzt. Marshall hingegen, gegenwärtig Chefdirigent des Kölner WDR Funkhausorchesters, agierte ausgesprochen zurückhaltend am Pult.
Dann kommt Charles Yang auf die Bühne, tippt sich zum Gruß an die Stirn und legt ohne Umschweife los. Spielt Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert D-Dur mit virtuoser Technik und brillanter Intonation. Zum Niederknien schön! Und das alles mit der Attitude eines Popstars.
Nach dem Festakt (Jamie Bernstein: „Mein Vater schaut jetzt lächelnd aus dem Himmel zu“.) gab Yang zum Bedauern des begeisterten Publikums nur eine einzige Zugabe: Begleitet von dem improvisierenden Festival Orchester (das mit der Zeit immer mutiger und freier wurde) sang und spielte er den Schmuse-Song „Stand By Me“ (Ben E. King, 1961).
Das hätten sich die Zuhörer auch gewünscht, aber während sie einfach nicht aufhören wollten zu applaudierten, war der Wunderknabe wahrscheinlich schon längst wieder auf dem Weg, wohin auch immer.
Im zweiten Teil des Abends stand das ausgezeichnete Festival-Orchester dann wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die „Symphonic Dances“ aus der „West Side Story“ , Bernsteins weltbekanntem Musical, und als krönenden Abschluss Ouverture zu „Candide“ ließen New Yorker Banden- und Straßenleben unerhört lebendig vor Augen stehen. Keine Frage, Wayne Marshall ist ein begnadeter Bernstein-Interpret. Schade nur, dass einige Reihen da schon gelichtet waren.
Gewaltiges Aufgebot für eine gewaltige Aufführung
Am Sonntag dann „ein Weltstar in Lübeck“, wie ihn das SHMF vollmundig angekündigt hatte: Klaus Maria Brandauer, vielen noch als „Mephisto“ in guter Erinnerung, las Texte von Goethe, Heine, Nietzsche, René Char und vor allem von Robert Schumann. Denn um Schumanns „Faust-Szenen“ drehte sich dieser intensive, aber auch anstrengende Abend. Ein Gesamtkunstwerk aus Literatur und einem hochdramatischen musikalischen Vermächtnis, das der österreichische Musikkritiker Peter Stalder einmal als „Konglomerat zwischen literarischer Kantate, weltlichem Oratorium und überdimensionaler Chor-Symphonie mit Erlösungsapotheose“ bezeichnet hat. An die zehn Jahre hat sich Schumann, der in diesem Jahr Schwerpunktkomponist beim SHMF ist, an Goethes Hauptwerk abgearbeitet und er ist daran fast verzweifelt.
Klaus Maria Brandauer, dem man seine 75 Jahre auf der Bühne nicht anmerkt, liest das nicht nur, natürlich nicht. Brandauer geht total in seiner jeweiligen Rolle auf. Als Faust, als Gretchen, als Teufel, besonders packend jedoch als Schumann selbst, der in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen seinen Kampf mit dem Jahrhundertstoff und mit seiner Psychose zu Papier brachte. Brandauer flüstert und kreischt, gurrt, zischt und knurrt. Gebärdet sich auf der Bühne fast so wahnsinnig, wie man es von Schumann vermuten kann. Unerhört eindrucksvoll – nur leider war ein Großteil der Textpassagen durch miserable Mikro-Akustik kaum zu verstehen.
Dafür kam der musikalische Part umso klarer über die Rampe: Zwei Chöre, der Flensburger Bach-Chor (rund 100 Sänger/Innen) und der Symphonische Chor Hamburg (rund 140 Mitglieder), dazu ein Dutzend SolistInnen (fabelhaft Christina Gansch als Gretchen und Michael Nagy als Faust) und das dänische Symphonieorkester Südjütlands füllten hier die Bühne. Insgesamt dürften es gut und gern 280 Musiker/Innen gewesen sein - alle unter der Leitung des beeindruckenden Flensburger Dirigenten Matthias Janz.
Ein gewaltiges Aufgebot also für eine gewaltige Aufführung. Die Erleichterung, sie überstanden zu haben, war dem Schauspieler wie auch dem Dirigenten am Schluss anzumerken. Lachend lagen sie sich in den Armen und genossen den Applaus, der fast so gewaltig war wie die Darbietung.
Preisträgerkonzert Leonard Bernstein Award
Charles Yang, ViolineSchleswig-Holstein Festival Orchestra
Wayne Marshall, Dirigent
Leonard Bernstein:
Symphonic Suite from »On the Waterfront«
Symphonic Dances from »West Side Story«
Ouvertüre zu »Candide«
Erich Wolfgang Korngold:
Violinkonzert D-Dur op. 35
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Charles Yang © charlesyangmusic.com
Galerie:
01. Klaus Maria Brandauer. Foto: Nik Hunger
02. Wayne Marshall. Foto: Charles Best
03. Matthias Janz (PR SHMF)
04. Symphonischer Chor Hamburg (PR SHMF)
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