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Im Gespräch: Claus Friede mit dem Zeichner Nils Kasiske

 

Der in Hamburg lebende Zeichner, Illustrator und Grafiker Nils Kasiske stellte kürzlich in der "Vicious Gallery" Hamburg sein neues Buch vor: "The Songbird's Suicide". 
"Mit seinen filigranen, monochromen Zeichnungen und Installationen lebensmüder Singvögel liefert Kasiske ein vielschichtiges, konzeptionell durchdachtes Werk ab, das nicht nur als ästhetischer Kommentar zu herrschenden Gestaltungsdirektiven aus Werbung und Produktdesign gelesen werden kann, sondern auch als Bildserie, die subtil Strukturen des Alltags des Lebens in der Großstadt beschreibt. Gleichzeitig wird Nils Kasiske zu einem Geschichtenerzähler: Seine Bilder von menschenähnlichen Vögeln - die an reale Personen wie Kurt Cobain, die Monroe oder den Unternehmer Merckle erinnern - zeigen Szenerien, die das selbst gewählte Ende einer Geschichte zeigen: Den Freitod des Singvogels..."


Claus Friede traf sich mit Nils Kasiske, um über die Publikation und seine künstlerische Arbeit zu sprechen.

 

Claus Friede (CF): Wie fing das Zeichnen bei Dir an? Gab es irgendwelche Initialerlebnisse?

 

Nils Kasiske (NK): Ich habe schon im Kindergartenalter viel gezeichnet und gemalt. Ich zeichnete immer lieber, als z.B. mit "He-Man"-Figuren zu spielen. Zeichnen gab mir etwas, das blieb, das war mit Action-Figuren nicht so.

 

CF: Gehst Du bei den Zeichnungen von einem Bild aus, das Du bereits im Kopf hast oder entwickelst Du die Zeichnung und Komposition erst beim Machen?

 

NK: Ich habe immer eine Vorstellung, aber das erste Bild im Kopf gleicht später selten dem fertigen Werk. Nicht nur gestalterisch, sondern auch inhaltlich entwickelt es sich während der Arbeit weiter. Ich finde es schwierig aus einem meiner Bilder, oder einer Skulptur, eine ursprüngliche Idee zu rekonstruieren. Bei mir hängt thematisch und konzeptionell alles zusammen, die einzelnen Werke sind immer auch Ergebnisse der vorhergegangenen Arbeiten.

 

CF: Wie ausgewogen ist in Deinem Schaffen der angewandte- und der künstlerische Bereich?

 

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NK: Das ist so eine Sache; Die künstlerische Arbeit braucht Platz, Zeit und vor allem Geld. Als Illustrator stehe ich bei jeder Job-Anfrage unter Entscheidungsdruck: Kann ich es mir leisten, das jetzt nicht zu machen, um mehr Zeit für die Kunst zu haben? Wenn ich das jetzt nicht mache, wann kommt die nächste Anfrage? Wenn ich pleite bin, kann ich nämlich überhaupt nichts mehr in Ruhe machen.
Bei Jobs arbeite ich meist unter großem Zeitdruck, was der Qualität nicht schadet. Wenn ich aber eine Skulptur baue oder ein aufwendigeres Bild male, ist das ganz anders. Dann brauche ich Muße, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Ich treffe Entscheidungen alleine und bin vom Material abhängig, muss beispielsweise bei Trocknungsprozessen Pausen machen. Die künstlerische Arbeit ist intensiv. Manchmal tauche ich richtig ab, dann empfinde ich nur einen Anruf oder Termin als störend. Es ist schwer, alles miteinander zu verbinden...

CF: Du hast Dich intensiv mit der Thematik des Selbstmords von Musikern auseinandergesetzt. Wie kam es zu der Thematik?

NK: Durch zwei Bilder, die ich 2007 gemalt habe. Darauf sieht man jeweils ein Meer aus iPods. Auf dem einen Bild rettet sich ein Mann mit letzter Kraft auf einen schwimmenden Ghettoblaster, und auf dem zweiten Bild paddelt einer in einem offenen Konzertflügel gegen eine Welle iPods und Noten an. Nach diesem Bild habe ich verschiedene ähnliche Skizzen gemacht. Auch ein Meer voller iPods, dessen Wellen in weißen Noten auf einen Strand schlagen. Der Strand ist voller toter Vögel, deren Gefieder mit Musik verklebt ist. Dann störte mich, dass die Vögel durch die Musik verendet sind. Deshalb habe ich den ersten Vogel gezeichnet, der sich selbst erschießt. Erst nach der Ausstellung zum Thema, habe ich angefangen Selbstmordgeschichten zu recherchieren und zu zeichnen.

CF: Steckt hinter den Zeichnungen und den aufgegriffenen Themen möglicherweise auch eine gesellschaftliche Kritik, ein Unbehagen?

NK: Eher ein Kommentar. Das Bedürfnis, mit so viel Aufwand etwas zu kommentieren entspringt wohl einem Unbehagen. Aber als einen Gesellschaftskritiker verstehe ich mich nicht. Ich kann keinen derartigen Einfluss auf die Betrachter meiner Sachen nehmen. Ich habe vor drei Jahren eine Installation gebaut, in der MTV und Coca Cola für eine Konzertveranstaltung am 1. Mai in Berlin werben. Die Zuschauer werden im typischen MTV-Sprachstil aufgefordert, ihren Beitrag zur Revolution zu leisten, indem sie eine 'sms' schicken. Obwohl in der Animation Polizisten mit Molotowcocktails aus Cola-Flaschen beworfen werden, haben manche geglaubt, es wäre eine Auftragsarbeit für einen echten MTV-Spot. Wer kein Bewusstsein für bestimmte Entwicklungen hat, kann in so einer Arbeit auch keine Kritik erkennen.


CF: Einige Arbeiten sehen wie eine Fleißarbeit aus, scheinen per Hand gezeichnet zu sein, andere wiederum machen den Eindruck, am Computer gezeichnet zu sein. Wie gehst Du da vor? Wann entscheidest Du Dich also für die Handzeichnung und wann „darf“ der Computer helfen?

NK: Da entscheide ich pragmatisch. Ich skizziere grundsätzlich alles per Hand. Wenn ich aber, bevor ich ein aufwendiges Bild male, probieren möchte, ob die Idee mit allem Drum und Dran funktioniert, arbeite ich in der Vorbereitung auch mit dem Computer. So kann ich die Komposition, Farbe und das Licht ändern, ohne dass ich später auf der Leinwand aufwendige Korrekturen machen muss. Auch am Rechner arbeite ich mit einem Zeichenbrett. Aber da benutze ich einen Stift, der ein Pinsel, Farb- oder Bleistift jeder Art sein kann. Abgesehen von handwerklichen Unterschieden ist der gravierende, dass es bei digitalen Arbeiten kein Unikat gibt. Ob eine Arbeit eine "Fleißarbeit" ist oder nicht, hängt aber nicht davon ab, ob sie am Rechner oder per Hand entstanden ist.

CF: Gibt es für Dich in dem Bereich Zeichnung künstlerische Vorbilder?

NK: Vorbilder nicht direkt. Aber ich bin ein großer Fan von Adolf Hoffmeister, einem tschechischen Künstler der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Hoffmeister war Maler, Illustrator, Schriftsteller, auch Diplomat und Politiker. Ein enger Freund Kafkas und nach dem zweiten Weltkrieg tschechischer Generaldirektor für kulturelle Beziehungen. Er hatte einen genialen Strich, beispielhaft sind seine Portraits von Picasso, Hemingway, Hanns Eisler oder Chagall. Er hat auch tolle Karikaturen zum Faschismus gemacht. Ich kann jedem Prag Besucher das Hotel und Restuarant "Hoffmeister" empfehlen. Die Wände des Hauses sind voll mit Zeichnungen und Collagen. Das Haus ist glaube ich immer noch in Familienbesitz und man kann durch das Restaurant, die Treppen und die Flure gehen und sich in Ruhe Hoffmeisters Werke anschauen -auch ohne dort zu schlafen oder zu essen.

CF: Was mich besonders interessiert hat an Deinen Arbeiten, sind die Bezüge und der Austausch zu anderen Genres, natürlich zu der Kunst und der Illustration. Du brichst mit Kategorien und Schubladendenken und vermischt sie. Bist Du radikal gegen Zuordnungen und hast Du keine Berührungsängste?

NK: Als Künstler sollte man sich nicht zensieren oder limitieren, sondern sich der Mittel bedienen, die es gibt. Ich habe da keine Berührungsängste und will mich stilistisch nicht einer Richtung zuordnen.
In Bezug auf Inhaltliches habe ich manchmal Skrupel. Es gibt schon Ideen, die ich aus Pietät nicht umsetze. Ich mache auch nichts, bloß um zu provozieren. Damit lenkt man nur vom eigentlichen Anliegen ab. Aber ich will Leute, die mir nahe stehen, nicht verletzen. Zu einem religiösen Motiv habe ich mal einen Baptisten befragt. Ich wollte wissen wie ein tiefgläubiger Mensch das Bild interpretieren könnte. Er hatte keine Einwände. Ich hätte es aber auch so gemacht, wenn er anders reagiert hätte.

CF: Mir fiel auf, dass "The Songbird's Suicide" Parallelen aufweist zu den Werken des japanischen Mönchs Sojo Toba (1053-1140). Er lebte in einem buddhistischen Kloster als Zeichner und Maler und gilt als Vater des Manga. Seine „Frolic Animals“, Vogel- und Tierkarikaturen sind an bestimmten Punkten vergleichbar mit Deinen Werken. Die Tiere auf seinen Papierrollengeschichten tragen Gewänder, Kimonos oder Mönchskleider, sie gehen aufrecht und benehmen sich wie Menschen, sind also Stellvertreter. Im Grunde karikiert er menschliches Dasein. Ist das bei Deinen Arbeiten auch so?

NK: Ja. Jedem Tier wurden ja immer schon menschliche Eigenschaften angedichtet und das, abgesehen von kulturellen Konventionen, universell. Deswegen lassen sie sich sehr gut nutzen, wenn man will, dass eine Figur gedeutet wird. Die von mir oft benutzten Schafe symbolisieren Schwäche, Dummheit. Sie sind Herdentiere. Sie tragen am Körper einen nachwachsenden Rohstoff, dessen man sich bedienen kann wie der menschlichen Arbeitskraft. Sie schaden dem Klima und - ganz wichtig - sie sind Wiederkäuer und lassen sich trotz zahlenmäßiger Überlegenheit von zwei, drei Hunden in Schach halten.

CF: Nun arbeitest Du nicht nur mit dem Medium der Zeichnung, sondern bist auch im Plastischen zuhause. Du kreierst Objekte. Warum ist das Dreidimensionale wichtig?

NK: Die Wirkung ist einfach so anders. Um Skulpturen kann man herum gehen, sie von allen Seiten betrachten. Auch die Arbeit an einer Skulptur ist eine ganz andere Herausforderung.

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CF: Mit welchen Materialien arbeitest Du?

 

NK: Bis vor einem Jahr habe ich vor allem auf Holz gemalt, altes, das der Witterung ausgesetzt war, aber auch frisches, vom Tischler meines Vertrauens. Auf Holz kann ich malen und zeichnen. Zurzeit bevorzuge ich Leinwände. Ansonsten ist die Liste lang - Acryl, Tinte, Lacke, Styropor, Gips, Glasfaserkunststoff, Spritzspachtel etc. Mich interessieren auch Bronze oder andere Metalle, aber das ist wieder vor allem eine Frage des Geldes.

 

CF: Und dann kommt noch so etwas Performatives dazu, Du hast eine Aktion zwischen Galerie der Gegenwart und der Kunsthalle gemacht. Ist das mehr als Dokumentation anzusehen oder gibt es da einen künstlerischen Hintergrund, warum Du solche Performances machst und an diesem Ort.

 

NK: Wir haben das ja vor allem an Heiligstätten der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik inszeniert, vor einem Apple Laden im Schanzenviertel, vor Handyshops, Saturn und so weiter. In diesen Fällen hat es einen künstlerischen Hintergrund. An der Galerie der Gegenwart oder zwischen den Deichtorhallen hatte es natürlich auch noch andere Hintergründe. Die Dokumentation ist Teil des Werks.

 

CF: Wie geht es künstlerisch weiter? Was planst Du für die nähere Zukunft?

 

NK: Meine nächste Einzelausstellung beginnt am 27. Februar 2010 in der Vicious Gallery in Hamburg. Im April bin ich wohl bei einer Gruppenausstellung in Berlin dabei, Details kann ich aber noch nicht nennen.


"The Songbird's Suicide"
Format: 22,5 x 22,5 cm, Hardcover, 100 Seiten, € 24,-
ISBN 978-3-940558-45-9
VERLAG GUDBERG, Hamburg


(Das Gespräch wurde live und per Mail geführt. Weitere Informationen unter www.nilskasiske.de)
Fotos: Ali Salehi, Abbildungen, Nils Kasiske

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