Bildende Kunst
Eva Hesse und Gego – objects and lines to play with

Zwei Frauen aus Hamburg. Zwei Generationen. Zwei jüdische Schicksale.
Was die beiden Künstlerinnen eint, ist das Verständnis der Linie als Körper im Raum, die minimalistische Formensprache und die Liebe zum Experiment. Grund genug für die Hamburger Kunsthalle, die Werke von Eva Hesse (1936-1970) und Gego (1912-1994) im Doppelpack vorzustellen. So richtig gelungen allerdings ist nur die zweite Schau „Line as Object“.

Wer um alles in der Welt ist Gego? Bislang war in Europa dieser Name den wenigsten Fachleuten ein Begriff. Umso spannender die Ausstellung in der Galerie der Gegenwart: Diese Künstlerin, die in Südamerika seit den 60er-Jahren Starruhm genießt, ist in Deutschland eine echte Entdeckung. So wunderbar schwerelose, fragile Installationen aus Draht, hat man seit Alexander Calder kaum je gesehen. Doch während es dem US-Bildhauer um Bewegung im Raum ging, wollte Gego eben diesen Raum sichtbar machen, mit federleichten Netzen, die ihn umspannen und deren Licht- und Schattenspiele großmöglichste Transparenz vermitteln. Als Gertrud Goldschmidt, so ihr bürgerlicher Name, 1939 vor den Nazis aus Deutschland floh und sich über England Richtung Venezuela aufmachte, war sie bereits eine gestandene Frau. In Stuttgart hatte sie bei Paul Bonatz Architektur studiert, ein Diplom der Ingenieurswissenschaften hatte sie ebenfalls in der Tasche. In Caracas arbeitete sie zunächst auch als Architektin und Möbeldesignerin, ehe sie sich der Kunst zuwandte und als Professorin an mehreren Hochschulen unterrichtete. Wobei sie sich eigentlich nie so recht als Künstlerin sah und schon gar nicht als Bildhauerin. Skulptur musste nach ihrem Verständnis die Masse und Volumen einer Henry-Moore-Plastik besitzen. Sie hingegen begriff die Linie als „object to play with“, schuf hauchdünne Gespinste, die von Spinnennetzen inspiriert waren und „vergitterte“ so gleichsam den Raum. Bis ins hohe Alter dachte und arbeitete Gego seriell, variierte ihre Formensprache in ständig neuen Werkserien. Was Wunder, dass ihre revolutionäre Auffassung der Linie als Zeichnung im Raum Generationen von Künstlern in Lateinamerika beeinflusste.

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Der fünfzigminütige Film, der die Ausstellung begleitet, liefert hervorragend Einblick in Leben und Werk dieser Ausnahmekünstlerin. Beides sei wärmstens empfohlen.


Eva Hesse ist fraglos der bekanntere Name. Die Deutsch-Amerikanerin, die mit nur 34 Jahren an einem Gehirntumor starb, gilt in Deutschland längst als bedeutende Position der 1960er-Jahre. Höchste Zeit also, sie auch in ihrer Geburtsstadt Hamburg mit einer Soloschau zu würdigen.


In ihrer kurzen Schaffenszeit entwickelte Eva Hesse eine bemerkenswerte plastische Bildsprache, die sie aus heutiger Sicht in die Nähe von Louise Bourgeois oder auch Joseph Beuys stellt: In der höchst produktiven Phase zwischen 1965 und 1970 entstanden minimalistisch spröde, zwischen geometrischen Grundformen und organischen Gebilden angesiedelte Objekte und Installationen, die durchaus glaubhaft machen, was Hesse 1968 formulierte: „Ich hätte das Werk gerne als Nicht-Werk… Es ist etwas, es ist nichts“. Teils muten diese „Nicht-Werke“ wie Häute und Infusionsschläuche an, teils wie leere, transparent leuchtende Gefäße aus Gedärmen. Es sind die dreidimensionalen Versuche einer jungen Künstlerin, die aus dem Design und der Malerei kommt, sich vergeblich an den Abstrakten Expressionisten abarbeitete und die Leinwand schließlich beiseiteschob, um eine neue, ganz eigenständige Bildsprache zu entwickeln. In Kettwig an der Ruhr, einem Vorort von Essen, wo sie 1964 auf Einladung eines Industriellenehepaares ein Jahr lang mit ihrem Mann, dem Bildhauer Tom Doyle, verbrachte war das möglich. Hier begann sie mit Materialien zu experimentieren, die bis dato in der Skulptur fremd waren: Polyester, Glasfaser und Latex, dazu Fundstücke, wie Drähte, Kordeln und Schnüre. Die ungewöhnlich kruden „Materialbilder“ machten sie in den USA, in Deutschland und England rasch bekannt – insbesondere in feministischen Kreisen, die sie in den 70er-Jahren zur Vorzeigekünstlerin in der männlich dominierten Avantgarde erhoben.

Nun, im dritten Stock der Galerie der Gegenwart zu sehen, wirken die Bilder, Zeichnungen und Objekte der Schau „One More than One“ jedoch seltsam verloren und zusammenhanglos. Auch die kleinen Notiz- und Tagebücher machen Leben und Werk der Frühvollendeten nur spärlich erfahrbar. Umso spannender der Katalog, in dem die beiden Kuratorinnen, Brigitte Kölle und Petra Roettig, unter anderem in einem Interview mit Eva Hesses Schwester Helen, nicht nur das künstlerische Werk, sondern auch das dramatische Schicksal der gesamten jüdischen Familie beleuchten.


Eva Hesse „ One More than One“ / Gego „Line as Object“,
Zu sehen bis 2. März 2014 in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Glockengießerwall in 20095 Hamburg.
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr.
Eintritt 12 Euro, ermäßigt 6 Euro. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei.


Abbildungsnachweis:
Header: Gego und Eva Hesse. Collage: Hamburger Kunsthalle
Galerie:
01. Eva Hesse, June 1959.Foto: Stephen Korbet. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
02. Eva Hesse; Sans II, 1968, Glasfaser, Polyesterharz / Fiberglass, 96,5x218,4x15,6 cm (ein Element von fünf). Museum Wiesbaden. Foto: Ed Restle, Museum Wiesbaden. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
03. Eva Hesse; Repetition Nineteen, III (1968), Glasfaser, Polyesterharz / Fiberglas, Maße variabel 19-teilig, 48,3x27,9 cm (d). The Museum of Modern Art, New York. Gift of Charles and Anita Blatt. © 2013. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
04. Eva Hesse; Metronomic Irregularity I, 1966, Graphit, Acryl, Papiercaché, Hartfaserplatte, Baumwollummantelter Draht, 30,4x45,7x5,1 cm. Museum Wiesbaden. Foto: Ed Restle, Museum Wiesbaden. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
05. Eva Hesse; No title, 1966, Lavierte Tusche und Graphit auf Papier, 29,8x22,9 cm.. Private Collection. Courtesy Hauser & Wirth. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
06. Eva Hesse; Addendum, 1967, Acryl, Papiermâché, unbestimmte Modelliermasse, Holz, Seil, 12,4x302,9x20,6 cm (variabel). Tate Collection, London, purchased 1979. © The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth
07. Gego; Reticulárea, installation view. Museo de Bellas Artes, Caracas, 1969. Foto: Paolo Gasparini. © Fundación Gego
08. Gego; Bichito 87/14, 1987, Plastiknetz, Stahl und Metall, 24x24x8,5 cm. MACBA Collection. MACBA Consortium. Long-term loan of Fundación Gego. Foto: Claudia Garcés. © Fundación Gego
09. Gego; Esfera N° 5, 1977, Stahldraht mit Metallklammern, 90x80 cm (d). Fundación Gego Collection at the Museum of Fine Arts, Houston. Foto: Anne and Thierry Benedetti. © Fundación Gego
10. Gego; Sin título, 1980, Aluminium, Stahl und Metall, 18x31x3,5 cm. MACBA Collection. MACBA Consortium. Long-term loan of Fundación Gego. Foto: Reinaldo Armas Ponce. © Fundación Gego
11. Gego; Sin título, 1980, Aquarell und Graphit auf Papier, 37,1x39,7 cm. Fundación Gego Collection at the Museum of Fine Arts, Houston. Foto: Reinaldo Armas Ponce. © Fundación Gego
12. Gego; Bichito 89/22, 1989, Kupfer, emailliertes Eisen, Metall und Plastik, 13,5x9,5x9 cm. MACBA Collection. MACBA Consortium. Long-term loan of Fundación Gego. Foto: Claudia Garcés. © Fundación Gego.

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