Bildende Kunst
Emil Nolde - Puppen, Masken und Idole / Chinesische Porzellanfiguren

Kein anderer deutscher Maler seiner Zeit war mit so vielen unauflösbaren Widersprüchen verbunden wie er: Emil Nolde (1867-1956), Ausnahmeerscheinung, Kraftmaler und Verfechter einer „starken, gesunden, deutschen Kunst“ im Dritten Reich.
Seine dumpfe Deutschtümelei hat die Nachwelt immer wieder beschäftigt. Schließlich stand das Werk des Expressionisten in krassem Widerspruch zu seiner Haltung. Im Rückblick wirkt die Anbiederung an die Nationalsozialisten regelrecht schizophren, denn Noldes frühe Bilder waren geradezu durchtränkt von den Kulturen der Welt. Wie sehr der schleswig-holsteinische Maler außereuropäische Kunst liebte, wie sehr er sie wertschätzte und explizit behüten wollte, das zeigt nun die großartige Jubiläumsschau zum 50. Bestehen des Barlach Hauses im Hamburger Jenischpark.

Ein halbes Jahrhundert hat dieser Bau nun schon auf dem Buckel. Kaum zu glauben! In seiner zeitlosen Eleganz und Schlichtheit ist der weiße Kubus von Werner Kallmorgen zweifellos ein Meisterstück des nach wie vor unterschätzen Hamburger Architekten. Zum Jubiläum hier ausgerechnet Bilder eines Künstlers zu sehen, an den Ernst Barlach 1910 schrieb: „Sie wissen, dass ich zu Ihrer Malerei kein Verhältnis habe“, ist deshalb erst einmal erstaunlich und erschließt sich erst, wenn man weiß, das eine der Eröffnungsausstellungen 1971 in dem Museum Noldes „Ungemalten Bilder“ gewidmet waren. Schon damals war es Sinn und Zweck, die unbekannten Facetten des Malers vorzustellen, nun schließt sich der Kreis mit einer Gruppe von Bildern, die bislang erstaunlich wenig Beachtung fanden: Es sind die zwischen 1911 und 1929 entstandenen Stillleben mit exotischen Motiven aus aller Welt. Krude Bilder, die zum Teil verstören, ohne dass man auf den ersten Blick weiß, warum. Die exotischen Motive allein sind es nicht, schließlich setzten sich Anfang des 20. Jahrhunderts überall in Europa Künstler mit den Werken von Naturvölkern auseinander. Ihr Einfluss auf die moderne Kunst kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Emil Nolde war also voll im Trend, als er zwischen 1910 und 1912 den Bestand des Berliner Völkerkundemuseums zeichnete und anfing, eine eigene Exotika-Sammlung anzulegen. Diese Kollektion ist jetzt auch im Ernst Barlach Haus zu sehen: Afrikanische, ägyptische, asiatische, europäische und nord- und südamerikanische Figuren aller Art. Chinesische Pferdchen, tibetanische Buddhas, japanische Masken, barocke Madonnen, javanische Schattenspielfiguren und wunderbare Ahnenfiguren aus Neuguinea, die Nolde von seiner berühmten Südseereise (gemeinsam mit seiner Frau Ada 1913-1914) mitbrachte.
Doch wie ungewöhnlich ging er mit seiner exquisiten Sammlung um! Im Atelier kombinierte er daraus höchst unkonventionelle Stillleben, platzierte eine Holsteiner Kuh neben eine japanische Tänzerin; eine Wajang-Figur neben einen Strauß gelber Margeriten; oder eine Südseefigur neben die Tapisserien der Weberin Ada Nolde, seiner Frau.

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Deutsche, europäische und außereuropäische Artefakte sind in diesen Bildern völlig gleichgestellt, das irritiert, selbst heute noch. Vor hundert Jahren kam es einer unerhörten Provokation gegenüber der Kolonialmacht Deutschland gleich, der Nolde übrigens unverblümt die Vernichtung der Kulturvölker vorwarf. So ist denn auch sein Gemälde „Der Missionar“ (1912) als offenkundige Kolonialismuskritik verstehen, denn die Titelfigur zeigt (anstelle eines christlichen Geistlichen) die zornige Maske einer koreanischen Wegefigur.
Doch 20 Jahre später, sicher schon unter dem Einfluss der Nationalsozialisten, behauptete der Künstler, er hätte sich nie bemüht „in die Exotische Kunst einzudringen“. Die Gegenstände seien für ihn einfach nur „interessantere Objecte als die üblichen Äpfel auf dem weißen Tuch“ gewesen. Kann es sein, dass Emil Nolde so „gedankenlos“ und oberflächlich malte? Kaum vorstellbar anhand der rund 70 kraftvollen Bilder und Zeichnungen dieser Ausstellung. Die Gemälde und Zeichnungen sprechen ihre eigene Sprache. Sie zeigen einen multikulturell ausgerichteten Künstler, der – so wirkt es jedenfalls – sehr bewusst und mit Nachdruck die Gleichstellung von europäischem und außereuropäischem Kunsthandwerk auf die Leinwand bannte. Damit war er seiner Zeit weit voraus.


Emil Nolde - Puppen, Masken und Idole
Noch bis zum 28. Mai 2012 zu sehen im Ernst Barlach Haus, Baron-Voght-Straße 50 in Hamburg.
Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Fr. und Sa. bis 21 Uhr.
Es erscheint ein Katalogbuch mit zahlreichen, teils erstmals veröffentlichten Farbabbildungen bei Corso (ca. 176 Seiten, ca. 26,90 Euro).

Bildnachweis:
Header: Porzellanfiguren aus der Sammlung von Emil Nolde. © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Andreas Weiss
Galerie:
01. Emil Nolde: Der Missionar, 1912, Öl auf Leinwand, 79 x 65,5 cm. Privatsammlung © Nolde Stiftung Seebüll
02. Blumen und Wajangfiguren, 1928, © Nolde Stiftung Seebüll
03. und 04. Figuren aus der Sammlung Emil Nolde. © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Isabelle Hofmann
05. Dr. Karsten Müller, Leiter des Ernst Barlach-Hauses. Foto: Isabelle Hofmann

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