Bildende Kunst
„Zur Nachahmung empfohlen – Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“

„Nur noch kurz die Welt retten“, Tim Bendzkos Rap ist nicht allein wegen der locker flockigen Melodie zum Sommerhit des Jahres geworden.

Der Song trifft den Nerv unserer Zeit: Eine Klimakatastrophe jagt die nächste, wer wünschte sich da nicht einen Supermann, der die Erde bewahrt. Es gibt allerdings auch Möglichkeiten, selbst etwas zu tun. Wie, das zeigt die Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen – Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ in der Hamburger HafenCity.

Das Fahrrad ist verrostet und die Waschmaschine stammt aus vordigitaler Zeit. Doch beides zusammen funktioniert. Die „Pedal powered Waschmaschine“ (2002) von Christian Kuhtz ist eine echte Provokation in der schicken HafenCity. Auf der einen Seite der neuen Osakaallee wachsen sündhaft teure Betonkötze in die Höhe, die beanspruchen, nach ökologischen Gesichtspunkten errichtet worden zu sein, auf der anderen Seite demonstriert diese kleine Maschine, was Nachhaltigkeit tatsächlich heißt: Mit Hilfe eines schrottreifen Fahrrads genug Strom zu erzeugen, um eine altersschwache Waschmaschine anzutreiben. Kuhtz, der geniale Erfinder aus Kiel, hat sich seit den frühen 70er-Jahren einem energie- und ressourcenschonenden Leben verschrieben. Mit seinen urigen Windrädern für Selbstverssorger ist der alternative Ingenieur und Designer mittlerweile über Schleswig-Holsteins Grenzen hinweg bekannt. Vor allem aber durch seine „Einfälle statt Abfälle“-Reihe, in denen er selbstgezeichnete Bauanleitungen für Laien vertreibt. Statt mit Patenten Geld zu scheffeln, macht er seine nützlichen Erfindungen zum Allgemeingut: „Zur Nachahmung empfohlen“.
Allein diese Aufforderung weist daraufhin, dass es sich nicht um eine der üblichen Ausstellungen handelt. Normalerweise erhält die Kunst ihren Wert durch ihre Einmaligkeit. Die von Adrienne Goehler vereinten 40 kreative Köpfe rund um das Überseequartier treibt jedoch etwas ganz anderes um: Die Sorge um den Zustand der Welt.

Goehler, den Hamburgern noch gut in Erinnerung als streitbare Präsidentin der Hochschule für bildende Künste, engagiert sich seit ihrer Zeit bei den Grünen für Nachhaltigkeit. Warum also nicht Kunst und Umwelt zusammenbringen? „Künste und Wissenschaften sind Geschwister, die allmählich begreifen könnten, was sie aneinander haben, statt sich unentwegt voneinander abzugrenzen“. Wie wenig Bewusst dafür vorhanden ist, erfuhr sie auf der Suche nach Unterstützung: „Die Umwelt-Stiftungen sagten, mein Projekt sei Kunst. Die Kunststiftungen meinten, es gehört in die Abteilung Umwelt“. Erklärtes Ziel ist deshalb ein eigener Fonds, um Querdenker zu fördern, die ansonsten durch alle Raster fallen. Das Nürnberger Duo Zwischenbericht mit ihrer Trinkwasseraufbereitungsanlage zum Beispiel. Oder die Koreanerin Jae Rhim Lee, die Menschen, diese „Sondermülldeponien auf zwei Beinen“ (Goehler), mit Hilfe eines hybriden Pilzes nach ihrem Tod in nutzbares Biomethangas und sauberen Kompost umwandeln will.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“, erkannte schon der Künstler Francis Picabia. Das wird gerne vergessen. Stattdessen Schubladendenken und immer weitere Spezialisierungen. Doch Adrienne Goehler will die Welt nicht mehr den Experten überlassen. Auf keinem Gebiet: Was dabei rauskommt, hätte man ja gesehen: Beim Umweltgipfel in Kopenhagen, bei der Finanzkrise, bei der PISA-Studie. Stattdessen setzt sie auf die „Entfesselung der Phantasie“ – und auf Leute wie Richard Box, der auf verblüffende einfache Weise Elektrosmog sichtbar macht: Er steckte 1300 Leuchtstoffröhren unter einer 440-Kilovolt-Hochspannungsleitung in gleichmäßigem Abstand 10 cm tief in einen Acker – und sie begannen wie von Zauberhand zu leuchten.
Box und all die anderen arbeiten interdisziplinär, sind auch Biologen, Physiker oder Ingenieure – so, wie einst Leonardo Da Vinci Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Ingenieur und Philosoph in einer Person war. An dieses universale Kunstverständnis der Renaissance knüpft das hier versammelte Ideen-Pool an. Und an Umwelt-Pioniere wie Joseph Beuys natürlich, dessen Pflanzaktion „7000 Eichen für Kassel“ (1982-1987) rückblickend ebenso sinnfällig wie notwendig erscheint. Sein Verständnis eines erweiterten Kunstbegriffs ist angesichts des Raubbaus, den wir mit unserer Erde betreiben, aktueller denn je. In diesem Sinne arbeitet Ursula Schulz-Dornburg, die mit ihrer Fotoinstallation „Ewiger Weizen“ darauf aufmerksam macht, dass es vor 100 Jahren noch über 60 000 Weizenrassen gab und Agrochemiekonzerne wie Monsanto heute die Vielfalt auf ein paar Dutzend Sorten reduziert haben. Ihre Profitgier hat Millionen von Bauern in Armut und Abhängigkeit gestürzt.

In diesem Sinne forscht auch Cornelia Hesse-Honegger, die seit 1967 mutierte Insekten malt, die im Labor bestrahlt oder vergiftet wurden. Nach dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl begann die Schweizerin 1987 ihre Langzeituntersuchung an Wanzen in radioaktiv verseuchten Gebieten und den Umgebungen von Atomkraftwerken. Das Ergebnis ist erschreckend: 30 Prozent der über 16 000 untersuchten Tiere weisen Schäden auf: Asymmetrische Flügel, deformierte Beine, verkürzte Fühler. Jetzt sind die verkrüppelten Kreaturen in wunderschönen großformatigen Aquarellen zu betrachten.

Vielleicht wird das ja mal unsere schöne neue Welt: Ein Stück intakter Natur in einem gigantischen Glasmuseum. So sieht bereits der finnische Fotograf Illkka Haslo die Zukunft. Doch wenn jeder einzelne bewusster konsumiert, wäre schon viel getan: Wer Nana Petzets wandfüllende Installation mit dem Jahresabfall einer vierköpfigen Familie sieht, geht danach jedenfalls mit anderen Augen durch den Supermarkt.

Bis 30.10. 2011, Di-So 12-19 Uhr, Virginia Haus/Überseequartier, Osakaallee 16-18. Eintritt 5 Euro, erm. 3 Euro, Familienticket 12 Euro. Weitere Infos unter: www.z-n-e.info

Abb.: Petra Maitz: "Lady Musgrave Reef"

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