Im Zeitraum August bis Oktober 2010 präsentieren drei Kunstinstitutionen in der Metropolregion Hamburg zeitgenössische Kunst aus China: die Stiftung Landdrostei in Pinneberg, der Kunstverein Elmshorn und die Galerie Atelier III in Barmstedt.
Die Ausstellung „The Beijing View“ wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe „CHINA TIME Hamburg 2010“ parallel gezeigt. Zu sehen sind Malerei, Fotografie und Bildhauerei aus dem Großraum Peking.
Seit Mitte der 1990er-Jahre werden in Hamburg und Schleswig-Holstein immer wieder Ausstellungen gezeigt, die zeitgenössische Positionen aus China vorstellen. Wie unterschiedlich und weitgefächert einerseits die künstlerischen Äußerungen und Themen aus China sind, so nah sind die Stilmittel und Techniken an westlicher Kunst orientiert. „The Beijing View“ macht da keine Ausnahme. Es gibt Werke an allen drei Orten, die man ohne jedwede Probleme dem europäisch-westlichen Kulturkreis zuordnen kann.
Die Eröffnungsbesucher in der Drostei in Pinneberg, in der etwa die Hälfte der Werke der Ausstellung zu sehen sind, suchten augenscheinlich nach den chinesischen Aspekten der zeitgenössischen Kunst und wurden nicht immer fündig.
Ren Rong (1960 in Nanjing geboren), einer der beteiligten Künstler, der in beiden Kulturkreisen zu Hause ist, weil er sowohl an der Kunstakademie in Nanjing als auch an denen in Münster und Düsseldorf studierte und zwischen Bonn und Beijing pendelt, begründete im Gespräch anlässlich der Eröffnung, dass über viele Jahrzehnte hinweg, bis in die 2000er-Jahre hinein, die Ausbildung an chinesischen Kunsthochschulen an der sozialistischen Malerei der Sowjetunion orientiert gewesen sei. Seit den frühen 50er-Jahren haben mehr als zwei Generationen nur in dieser Stilrichtung arbeiten dürfen. Die Hochschulausbildung hinkte der Kunstentwicklung Chinas lange hinterher. Die Unterschiede in der Ausbildung verdeutlichte Ren dann auch damit, dass an den Hochschulen in China es zunächst darauf ankam, Techniken zu erlernen und Meister zu kopieren. Über Jahre hinweg – und hier sieht er ein wichtiges Moment der asiatischen Auffassung von „lernen“ – sind die Studenten damit befasst, ihre Fähigkeiten im Kopieren von Kalligraphie oder Meisterwerken der Landschaftsmalerei zu trainieren, bis sie schließlich selbst einen eigenen, persönlichen Stil finden können und dürfen.
Seine Ausbildung in Deutschland sei hingegen von Individualismus geprägt gewesen, von Anbeginn an. Technik spielte zunächst keine zentrale Rolle, vielmehr ging es darum, schnell einen eigenen Stil und differenzierte Positionen innerhalb des westlichen Kunstsystems zu entwickeln. Weiter sagte er, er habe erst in Deutschland seine chinesischen Wurzeln fühlen, ja begreifen und künstlerisch darauf reagieren können. So sei er beiden Kulturkreisen eng verbunden.
Dies ist auch in seinen, bei „The Beijing View“ gezeigten Werken evident: Die Welt der von ihm entwickelten „Pflanzenmenschen“ ist es, die das Werk von Ren Rong der letzten Jahre prägt: organische Figuren und Ornamente, die er in verschiedenen Materialien und Techniken variiert. So findet man Fabelwesen, gepaart mit alten chinesischen Bildzeichen als Eisenobjekte, aber auch auf Holzreliefs und in Collagen wieder. Besonders das Verhältnis von Mensch und Natur sowie Objekte und Elemente der Geschichte Chinas unter und nach Mao sind Themen, die sein Werk durchziehen.
Fast alle beteiligten Künstler sind während oder nach der sogenannten „Proletarischen Kulturrevolution“ (ca. 1966-76) geboren, haben also diese höchstens als Kinder miterlebt, aber nicht als Künstler. Und dennoch scheint die Beschäftigung und individuelle Verarbeitung dieser Zeit bis heute ein prägnantes Thema zu sein. Oft wird beklagt, dass ein gehöriger Teil des kulturhistorischen Bewusstseins, für gut zwei Generationen, durch die Kampagnen der 50er-Jahre und die Kulturrevolution zerstört worden sei, nach der Maxime, die Geschichte des modernen Chinas beginnt mit der Gründung der Volksrepublik – was vorher war, war quasi "konterrevolutionär".
Auf die Frage welchen Einfluss die Kulturrevolution auf das künstlerische Schaffen seiner Generation gehabt und bis heute sichtbar hat, antwortet Ren mit seiner persönlichen Geschichte. Er kommt aus einem kommunistisch geprägten Elternhaus. Das einzige Bild was in der Wohnung über Jahrzehnte in Nanjing hing, war jenes Standartbild, das Mao Zedong als großen „Steuermann“ zeigte. Sein Wunsch, als freier Künstler arbeiten zu können konstituierte sich in einer Zeit der Liberalisierung, Ende der 70er-, frühen 80er-Jahre. Da seine ganze Kindheit und Jugend von der Kulturrevolution geprägt war, galt es die zu verarbeiten, die Symbole und Bilder jener Zeit zu verändern, zu entleeren und wieder neu aufzuladen. Da sich die Kulturrevolution in alle, noch so kleinen gesellschaftlichen Bereiche auswirkte, sei jeder, der zwischen den 50er- bis 80er-Jahren geboren wurde, damit beschäftigt – bis heute.
So sehen die Besucher der Ausstellung Bilder, die noch wie Propagandageschrei jener Zeit wirken und es gelingt nicht allen Künstlern eine wirkliche und notwendig differenzierte Auseinandersetzung hinzubekommen. Manches wirkt dadurch oberflächlich und plakativ.
Im Gegensatz zum Westen besteht die chinesische Tradition nicht auf dem alten christlich geprägten Realismus und der Moderne und Postmoderne in seiner mehr oder minder stringenten linearen Entwicklung zur zeitgenössischen Kunst, sondern ist von verschiedenartigen jahrtausend alten Traditionen beeinflusst. Das vermeintlich Chinesische in den Werken von „The Beijing View“ wird oftmals als Zitat oder historischer Kommentar benutzt bis eben hin zur Thematisierung der jüngsten politischen Vergangenheit und Gegebenheiten.
Dass sich die Künstler des Reichs der Mitte insbesondere am Westen orientieren, hat mehrere Gründe: Westliche Kunst ist mit dem Begriff der Freiheit verknüpft, oder wie Friedrich Schiller sagte: „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Die Kunst hat in China trotz gesetzlicher Einschränkungen ein Freiheitspotential, das sich in anderen Bereichen kaum finden lässt. Außerdem erkennt man in asiatischen Kulturen – im Gegensatz zu europäischen Belehrungskulturen – sogenannte Lernkulturen. Die Integration von fremden kulturellen Elementen, die der eigenen Kultur dienen, wird nicht als negatives Moment gewertet. Und schließlich ist die Kraft und Macht des nordamerikanisch-europäischen Kunstmarkts für viele Künstler ein Erfolgsmodell, an dem sie partizipieren möchten.
Hintergrundsinformationen zur Ausstellung des Veranstalters:
Die Gruppenausstellung „The Beijing View“ bietet einen Einblick in Positionen und Tendenzen der zeitgenössischen chinesischen Kunst. Wenngleich sich die Techniken, der Grad der Abstraktion und die Symbolik sehr stark unterscheiden, ist ein Großteil der Arbeiten gegenständlicher Natur, häufig mit eindeutigen Bezügen zur Geschichte und Kultur Chinas, aber auch zur internationalen Kunstgeschichte und zu aktuellen Themen von globaler Bedeutung. Der Titel der Ausstellung "The Beijing View" bezieht sich auf die Herkunft der beteiligten Künstler: Sie stammen alle aus dem Großraum Peking, beziehungsweise haben dort ihren Arbeitsschwerpunkt. Ihr spezifischer Blick auf die Kunst und auf die Welt steht im Fokus der Ausstellung. Einige der Werke wurden bereits im Rahmen der „Nord Art“ 2008 und 2009 in Deutschland gezeigt. Ergänzend wurden verschiedene Arbeiten gezielt ausgewählt, die bisher noch nicht außerhalb Chinas zu sehen waren. Die Schau gibt einen Einblick in das aktuelle künstlerische Leben der chinesischen Hauptstadt und präsentiert die Sichtweisen und die Ausdrucksformen der Pekinger Kunstschaffenden. Somit bietet „The Beijing View“ einen Überblick über das Werk einiger der wichtigsten zeitgenössischen Bildenden Künstler aus dem Reich der Mitte.
Die unabhängige Kunstszene Chinas entwickelte sich erst nach dem Ende der Mao-Ära mit der einsetzenden Reformpolitik Ende der 1970er Jahre. Trotz der weiterhin schwierigen Bedingungen explodierten hier in den letzten Jahren förmlich Angebot und Nachfrage zeitgenössischer Kunst. Die Künstlerinnen und Künstler haben sowohl die traditionell chinesischen wie die westlichen Themen und Techniken studiert, teilweise adaptiert und bedienen sich ihrer in virtuoser Weise. Dabei setzen sich viele der Künstler in ihren Arbeiten mit der eigenen gesellschaftlichen und politischen Historie sowie der chinesischen Kunstgeschichte auseinander, die auf jahrhundertealte Traditionen zurückblicken kann, zu der aber auch der bis in die späten 70er Jahre vorgeschriebene sozialistische Realismus gehört. Gerade diese beiden Pole erklären, warum die gegenständliche Malerei einen besonders im Vergleich zur europäischen und amerikanischen Kunst sehr hohen Stellenwert einnimmt. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Auseinandersetzung mit der westlichen Kunstgeschichte, die häufig ironisch reflektiert wird. Vor allem jedoch sind die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen Chinas der letzten Jahre Themen der Pekinger Avantgarde-Kunst. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv in einem Staat, der gleichermaßen von kommunistischen Idealen und vom modernen Kapitalismus geprägt ist.
In dieser Gemeinschaftsausstellung werden rund 100 aktuelle Arbeiten von 29 Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Malerei, Fotografie und Plastik präsentiert, die in den Jahren 2003 bis 2010 entstanden sind. Unter anderem sind dies Werke von Yao Junzhong, Qi Baicheng, Yun Gule, Guo Wanbao, Huan Zichiun, Ren Rong, Cheng Zhiguang, Ren Hui, Cai Fujun, Yang Tau und Huang Yan.
Kuratoren der Ausstellung sind Wolfgang Gramm, der Initiator und Kurator der „Nord Art“ in Schleswig-Holstein und der Geschäftsführer und künstlerische Leiter der Stiftung Landdrostei, Stefan Dupke. Die Ausstellung findet in Zusammenarbeit mit der „Kunst in der Carlshütte“ gGmbH statt.
Fotonachweis: Alle Abbildungen © Kunst in der Carlshütte (KiC)
Header: Detail aus HUAN Zichiun, City II, 2007, Öl auf Leinwand, 120x160 cm.
Galerie:
PIAO Guangxie, No. 10, 2007, Öl auf Leinwand, 200x200 cm.
LI Mingzhu, Chinesisches Porzellan 1, 2006, Öl auf Leinwand, 110x80 cm.
WANG Xinggang, Chase 4, 2008, Bronze, 46x120x23 cm.
JUAN Zi, Between Earth and Sky 8, 2008, Fotografie, 90x70 cm.
JIANG Yousheng, King Kong 3, 2008, Edelstahl, 100x45x45 cm.
MAO Mao, Figur 4, 2006, Fotografie, 100x70 cm.
YAO Junzhong, Wir, 2007, Öl auf Leinwand, 200x150 cm.
REN Rong, Mao mit Augen, 2008, Foto, Lack, Holz, 170x125 cm.
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