Bildende Kunst
Picasso in der Kunst der Gegenwart

Er war ein Gigant. Einzigartig, überragend, stilprägend.
Eine Ausnahmeerscheinung, allein schon durch seine Schaffenskraft von rund 50.000 Artefakten. Ohne Picasso (1881-1973), den genialen Spanier, wäre die Kunst des 20. Jahrhunderts einfach undenkbar. Ihren 25-jährigen Geburtstag feiern die Hamburger Deichtorhallen nun mit einer außerordentlichen Hommage an den Übervater der klassischen Moderne: „Picasso in der Kunst der Gegenwart“.

„Picasso ohne Picasso“ könnte man die Schau auch nennen, denn von dem Schöpfer der „Demoiselles d’Avignon“ (dem ersten kubistischen Bild von 1907), des wohl berühmtesten Anti-Kriegs-Gemäldes „Guernica (1937) und der Taube als weltweites Friedenssymbol (1947) selbst ist nichts zu sehen.
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Vielmehr hat Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow zur Wiedereröffnung der umfassend restaurierten nördlichen Deichtorhalle hier die Werke all jener Künstler zusammengetragen, die sich mit dem Jahrhundertmaler auseinandersetzten. Die ihn studierten, kopierten, karikierten und interpretierten. Die ihm huldigten, sich an ihm rieben, ihn parodierten und zitierten.

Rund 200 Arbeiten von 90 Künstlern und Künstlerinnen weltweit sind nun in Hamburg versammelt, darunter Werke von Georg Baselitz, Brassai, Hanne Darboven, Leon Golub, David Hockney, Jasper Johns, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Roy Lichtenstein, Robert Longo, Robert Motherwell, Sigmar Polke, Cindy Sherman und Andy Warhol.

Zuerst einmal ist das beeindruckend und man staunt über die Fleißarbeit. Es hat enorme Kraft gekostet, dieses Mammutprojekt auf die Beine zu stellen, die Künstler, die Werke, die internationalen Leihgaben zusammenzusuchen. Und zweifellos ist es erhellend zu erfahren, wer sich alles mit Picasso beschäftigt hat. Ob Antonio Saura, der sich zeitlebens gegen die kritiklose Bewunderung Picassos wehrte, oder Enfant terrible Jonathan Meese, der vor einem Jahr im Gespräch mit Werner Spies erklärte: „Picasso war für mich immer das Geilste“. Picasso, so wird es hier zumindest vermittelt, war und ist omnipräsent, egal, ob sich der Einfluss so unmittelbar zeigt, wie beim „Multi Colored Portrait“ von George Condo, (das auch als Plakatmotiv herhält), oder so versteckt, wie bei dem streng geometrischen Bilderfries von Gary Hume, der nur durch den Titel „My Guernica“ als Anspielung auf Picasso zu verstehen ist.

Interessant ist auch, dass ein Zeitgenosse wie Ernst Ludwig Kirchner, ein Jahr älter als Picasso und bereits 1938 gestorben, in seinem Spätwerk zu einer Abstraktion und Linienführung findet, die auf den jüngeren Kollegen Bezug nehmen. Auch Paul Klee, zwei Jahre älter als Picasso, spielt in seinem Porträt „Spanier“ von 1939 und in der Zeichnung „lächelt Abschied“ aus gleichem Jahr auf den jüngeren Kollegen an: Die voluminös-kantigen Formensprache Picassos ist unverkennbar.

Es sind also jede Menge hervorragender Arbeiten zu sehen, allen voran Robert Longos eigens für diese Ausstellung hergestellte, fast maßstabsgetreue Kohlezeichnung „Guernica Redacted“, mit der Longo die Adaption berühmter Kunstwerke fortsetzt und erweitert, indem er Picassos Originalvorlage durch senkrechte schwarze Balken zerschneidet und wie eine Collage erscheinen lässt.

Auch Roy Lichtensteins Riesenformat „Reflecions on the „Artist’s Studios“ ist großartig, ebenso die nach Jackson Pollock Manier hingekleckste Guernica-Adaption des Künstlerkollektivs „Art & Language“.

Dennoch ist diese Mammutschau kein ganz großer Wurf geworden.
Vielleicht, weil sie einfach zu ambitioniert wirkt, zu redundant und mitunter zudem keinesfalls schlüssig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Warum musste Sigmar Polke unbedingt mit seinen gerasterten sechs Erotikgrazien „ohne Titel“ rein? Im Begleittext steht selbst, die Bezüge zu den „Demoiselles d’Avignon“ lassen sich allerhöchstens „erahnen“, beide zeigten jedoch „in ähnlichen Bildformaten junge Frauen, die ihre sexuelle Reize dem Betrachter präsentieren“. Wäre interessant gewesen zu erfahren, ob Polke sein Bild „ohne Titel“ von 2006 tatsächlich als Neuinterpretation des berühmten Picasso-Gemäldes verstanden hat. Immerhin hat der Kölner sechs Frauen in Szene gesetzt, Picasso nur fünf, zudem sitzt eine von ihnen. Warum dann nicht auch Mel Remos‘ „Hollywood“-Serie mit neun Nacken? Auch da könnte man Parallelen ziehen. Kurz: Es gibt eine Reihe von Kunstwerken, die hier nicht zwingend erscheinen, Thomas Housseagos phallisches „Portrait Column“ gehört ebenso dazu, wie Robert Motherwells „The Spanish Death“.

Natürlich ist es keine Frage, dass Picassos Einfluss enorm war und er die Kunst des 20. Jahrhunderts revolutioniert hat. Seine Rosa- und Blaue-Phasen, das Einbeziehen von Stammeskunst, das Aufsplitten der Flächen, die Deformationen von Körpern, all das hat auch heute nichts an Faszination verloren. Doch wenn das Spektrum tatsächlich so breit ist, wie es hier gezeigt wird, dann bleibt nur der Schluss: Ohne Picasso kann keiner mehr, um den kommt man einfach nicht umhin.

Die unterschiedlichen Picasso-Adaptionen dezidiert junger Künstler mit ausgewählten Beispielen zu zeigen, das wäre wirklich spannend gewesen. So aber präsentiert sich in der wunderschön renovierten nördlichen Deichtorhalle ein überbordender, an Werken fast erschlagender Rundumschlag von den 1930er Jahren bis heute. Ein Sammelsurium mit ein paar Highlights und einem Wahnsinnsnamen als Publikumsmagneten, das letztlich recht beliebig wirkt.

Die Ausstellung "Picasso in der Kunst der Gegenwart" ist noch bis 12. Juli zu sehen in den Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstraße 1-2, 20095 Hamburg.
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11-18 Uhr. Jeden 1. Donnerstag im Monat: 11-21 Uhr (außer an Feiertagen). Montags geschlossen.
Begleitend wird ein umfassender Katalog mit Abbildungen aller ausgestellten Arbeiten in deutscher und englischer
Sprache erscheinen. Zahlreiche Essays von namhaften Autoren werden die Ausstellung wissenschaftlich untermauern.

Katalog-Video
Video-Teaser zur Ausstellung



Abbildungsnachweis:
Header: Sean Landers: Genius, 2001, Oil on linen, 218,4x543,6 cm. Courtesy of the artist and Petzel, New York.
Galerie:
01. Sandro Miller: Irving Penn / Pablo Picasso, Cannes, France (1957), 2014 (John Malkovich as Picasso) 18x18¾" image on 20x20¾" paper. Pigment print © Sandro Miller courtesy Catherine Edelman Gallery, Chicago
02. George Condo, Multi Colored Portait, 1990. Bischofberger Collection, Szwiterland © VG Bild Kunst, Bonn
03. Jonathan Monk: Waiting for famous people (Pablo Picasso), 1995 Farbfotografie Courtesy: Jonathan Monk and Galleri Nicolai Wallner, Copenhagen, Denmark © Jonathan Monk
04. Hans-Peter Feldmann: Ohne Titel, ohne Jahr. Öl auf Holz, 36x29 cm Courtesy Hans-Peter Feldmann © VG Bild-Kunst
05. Tiehai Zhou: Les pains de Picasso, 2006 200 x 150 cm © Tiehai Zhou, Reprofotografie: Frank Kleinbach. Courtesy Schaufler Foundation Sindelfingen
06. Paul Klee: Bewegte Seele, 1939 Bleistift auf Papier auf Karton 52x37 cm Courtesy Zentrum Paul Klee, Bern
07. Karl Otto Götz: Hommage à Picasso, 1943 Gouache auf Sperrholz, 47,5x43,7 cm Reprofoto: Herbert Boswank Courtesy Private Collection Irmelin Lebeer, Brüssel © VG Bild-Kunst, Bonn. Reprofoto: Herbert Boswank
08. John Stezaker: She (Film Portrait Collage) XXX, 2015. Collage. 255x195 cm © John Stezaker. Courtesy of The Approach, London
09. Thomas Zipp: Achtung! A.B.: Solarized Deterritorialization Insanity Against Protestantism (England Attacked By The Americans), 2005-2011 Siebdruck, Acryl, Öl, Lack auf Leinwand, 378x809 cm © Thomas Zip.

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