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Der österreichische Maler Friedrich Eigner sagt, dass wir sehr häufig mit Bildern leben, die keine Eindeutigkeit haben und die aus „Überblendungen“ bestehen, auf welche die Menschen unterschiedlich reagieren.
Er verweist mit dieser Aussage auf den in Wien geborenen und in New York lebenden Mediziner, Neurologen, Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel und seiner Suche nach dem Gedächtnis. Kandel belegt die These: „Wir sind was wir sind und das deswegen, weil wir lernen und erinnern.“
Wir begreifen auf Grund dessen Forschung, dass nichts konstanter ist als die Veränderung – das gilt insbesondere für unser Gehirn, denn wir können unser Denken, unser Lernen und unser Gedächtnis mitbestimmen, es quasi trainieren. Und somit erinnern und denken wir individuell, also unterschiedlich zu anderen und selbst unsere eigene individuelle Erinnerung verändert sich im Laufe der Zeit, durch weitere und neue Erfahrungen, die die alten überlagern und somit weitere und neue Erinnerungen produzieren.
Das ist das große Thema der Bildwerke Friedrich Eigners. Er macht die beschriebenen Vorgänge sichtbar, er will zeigen, dass sowohl jedwede Erinnerung eine Überblendung der individuell erlebten Ereignisse ist, als auch das Vergessen.
Eigner setzt in seiner Kunst Schichten übereinander. Dadurch entsteht etwas dreidimensionales, es entstehen Räume, Räume unserer Erinnerung, die wir als Betrachter füllen können und müssen. Eigner übermalt seine Werke nicht, er setzt eine Art Filter, oft mit festgelegten Abständen übereinander. Viele seiner Bilder zeigen ursprünglich Architektur und Stadtraumfragmente, die durch eine oder mehrere Schichten und Filter uns entzogen werden. Der Künstler lässt die Motive verschwimmen.
Er setzt wie ein Raster dünne Klebelinien nebeneinander auf Glas und fixiert diese über seine Großstadtbilder in kurzem Abstand. Er spielt mit dem Phänomen des Verschwommenen und der Unschärfe sowie mit der Verdopplung der Linien durch Schatten auf dem darunterliegenden Motiv. Die Verschwommenheit ist das Vorzeichen des Vergessens, aber auch – wie wir durch Kandel wissen – ist das Verschwommene ebenfalls ein Teil des Erinnerns. Die Fokussierungen der Bilder liegen also nicht auf dem was wir sehen, sondern darauf was wir empfinden, erinnern und denken. Der Maler öffnet uns Zwischenräume.
Im unteren Teil der Galerie präsentiert der Künstler einen braun-schwarzen Dreiklang mit dem Titel: „Brooklyn Chocolate“. Auch in diesen Bildern spielen Schichten eine Rolle, allerdings anders als bei den sonstigen ausgestellten Werken. Dem Anschein nach hat Eigner nämlich hier Schichten entfernt. Wie in einem Übergangsstadium zwischen dem Gestern und Heute steht das Bild in einem festgefrorenen Zustand des „Dazwischen-Seins“. Der handwerkliche Prozess scheint unvollendet.
Überhaupt passt das Bild des Schichtens dann auch zum Titel der Ausstellung: „Morning Frost“, denn der morgendliche Frost ist die erstarrte Schicht über den Dingen, die sich anschmiegt, überzieht, aber die auch konserviert. Und Erinnern ist immer auch der Versuch zu konservieren. Aber es ist eben nur einer von mehren möglichen Aggregatszuständen des Seins.
Eigner verwendet die künstlerische Form der Reduktion, Klarheit und Einfachheit, die die Kommunikation erleichtert. Er delegiert ein gehöriges Stück der Kommunikation an die Betrachter. Er nimmt sich als Künstler zurück, entzieht sich der alleinigen Verantwortung für die Kunstwerke und formuliert mit dieser Haltung, dass die Qualität eines Kunstwerks davon abhängt, wie die Qualität unserer Kommunikation ist.
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