Architektur

Das Künstlerhaus Maetzel in Hamburg-Volksdorf ist eines der seltenen Denkmäler der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Umgeben von einer waldigen Brooklandschaft und einem großen Garten vermittelt es die Aura der Einheit von Architektur und Natur, Kunst und Leben.

 

Es war der Familiensitz des Künstlerpaares Emil Maetzel (1877–1955) und Dorothee Maetzel-Johannsen (1886–1930), diente als Maleratelier und Keramikwerkstatt, war ein Treffpunkt der Hamburger Sezessionisten.

 

Im Schaff-Verlag ist jetzt das hamburger bauheft Nr. 43 erschienen, das die Geschichte dieses Gesamtkunstwerks zusammenfasst und einen Ausblick auf seine Zukunft gibt.

Zwanzig Jahre lang hat der Verein Freundeskreis Künstlerhaus Maetzel e.V. um den Erhalt und eine neue Nutzung des Denkmals gekämpft. Seit im Jahr 2021 eine großzügige Spende die Gründung einer Stiftung ermöglichte, die das Anwesen kaufte, werden die langgehegten Träume und Pläne in Angriff genommen. Das Haus soll restauriert und zu einer Künstlerresidenz und kulturellen Begegnungsstätte ausgebaut werden.

 

HH Bauheft 43 Cover

 

Die Kunsthistorikerin Annkristin Kaluza, Mitarbeiterin des Architektenbüros pmp Projekt GmbH, erklärt im bauheft, wie sich die neue Nutzung mit dem Denkmalschutz vereinbaren lässt. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Grundrisses des Hauses kommt der neuen Nutzung entgegen. Es erfordert vergleichsweise geringe Eingriffe, um zwei bis drei Wohnateliers, Veranstaltungsräume und eine Bibliothek einzurichten. Spannend sein wird zu sehen, wie weit es gelingt, die originale Farbigkeit der Räume, die der Architekt und Maler Emil Maetzel damals entwickelt hat, wiederherzustellen. Denn selbstverständlich waren die Wände dieses roten Backsteinbaus nicht weiß! Großflächige restauratorische Farbuntersuchungen stehen noch aus.

 

In welchem Kontext das Haus entstand und wie Emil Maetzel es in Etappen entwarf und baute, beschreibt die Kunsthistorikerin Franziska Fuchsius. Eigentlich handelt es sich um ein Ensemble bestehend aus dem Sommerhaus von 1924 und dem Anbau des Wohn- und Atelierhauses von 1926. Im selben Jahr siedelte das Künstlerpaar mit seinen vier Kindern endgültig aus der Hamburger Stadtwohnung um in den ländlichen Vorort Volksdorf mit seiner feuchten Brooklandschaft. Der kreisrunde Badeteich im Garten – das sogenannte „Auge Gottes“ – speist sich aus 28 Quellen! Die Walddörferbahn brachte Emil Maetzel täglich in die Hamburger Baubehörde, wo er als Baudirektor unter der Leitung des legendären Oberbaudirektors Fritz Schumacher das städtische Wachstum mit plante und betreute.

 

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Das Waldgrundstück hatte Emil Maetzel schon 1909 mithilfe einer Erbschaft erworben. Während des Ersten Weltkriegs war er bei einem Eisenbahn-Ersatz-Bataillon in Berlin stationiert. Getrennt von seiner Frau Dorothea, die sich in Hamburg um die vier Kinder kümmerte, bekämpfte er seine Einsamkeitsgefühle mit ersten Entwürfen für ein Haus auf dem Grundstück. Mit zahlreichen Fotos und Zeichnungen dokumentiert das bauheft die Entstehung zunächst des Sommerhauses. Es hat ein traditionelles Satteldach, zweifarbige, horizontal gegliederte Fenster mit weißen Sprossen und dunklen Fensterläden. Den Eingangsbereich bildet eine überdachte Veranda mit Bank, Tisch und Stühlen. Das Haus wirkt schlicht und sachlich und entspricht in Material und Form einem regionalen Landhausstil wie er damals von dem preußischen Baubeamten Herrmann Muthesius, einem führenden Mitglied des Deutschen Werkbundes, propagiert wurde wie auch vom Hamburger Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark.

 

Der Anbau des Wohn- und Atelierhauses folgte diesem Stil. Es überragt das Sommerhaus um ein Stockwerk und ist mit ihm im ersten Obergeschoß durch einen Gang mit Balkon verbunden. Darunter befindet sich der dreiflügelige, gläserne Haupteingang, der in eine lichtdurchflutete Treppenhalle führt, von der aus man direkt gegenüber durch drei bodentiefe Fensterflügel in den weitläufigen Garten blickt. Modern anmutende gelbe Solnhofener Bodenplatten kontrastieren mit den Delfter Wandfliesen, auf die mangan-violette Landschaften in Doppelkreisen gemalt sind -– ein traditionelles Element von der Nordseeküste, Emil Maetzel stammte aus Cuxhaven. Diese niederländischen Fliesen wurden seit dem 17. Jahrhundert bis ins Jahr 1880 produziert.

 

Im ersten und zweiten Stock des Anbaus befanden sich jeweils die Malateliers des Künstlerpaares, große Fensterflächen Richtung Norden zum Garten sorgten darin für viel Licht. Im ersten Stock war dem Atelierfenster Richtung Garten ein Balkon mit gemauerter Brüstung vorgelagert. Er ruhte auf quadratischen, gemauerten Pfeilern und bildete im Erdgeschoß das Dach eines terrassenartigen Ganges. Balkon und Pfeilergang verliefen übereck von Norden nach Osten. Später wurde der Gang im Erdgeschoß geschlossen, um der jüngsten Tochter Monika Maetzel als Werkstatt zu dienen. Die bekannte und herausragende Keramikerin arbeitete und wirkte noch lange nach Emil Maetzels Tod 1955 in dem Haus. Monika Maetzel starb 2010 im Alter von 93 Jahren.

 

Die produktive, nicht immer spannungsfreie Beziehung des Künstlerpaares steht in allen Beiträgen mehr oder weniger deutlich im Hintergrund. Der Kunsthistoriker Rüdiger Joppien beschreibt eingehend das Kunstschaffen der beiden, darunter die lange Periode, die Emil Maetzel ohne seine Frau in dem Haus verbrachte. Schon 1930, nur vier Jahre nach dem Einzug, starb Dorothea Maetzel-Johannsen im Alter von 44 Jahren an einer angeborenen Herzschwäche. Emil widmete ihr im Garten neben dem Haus eine Gedenkstätte mit einem steinernen Buddha-Kopf, ursprünglich von einer Hainbuchenhecke umwachsen und heute von üppigen Rhododendren überwölbt. 1941 fügte er das Relief eines stürzenden Jünglings hinzu. Es erinnert an seinen zweiten Sohn Peter, der 1940 auf dem Frankreich-Feldzug an Typhus starb.

 

Dorothea Maetzel-Johannsen hat mit ihren Wünschen und Vorstellungen Haus und Garten gewiss stark beeinflusst, doch letztlich hat Emil Maetzel das Anwesen entworfen und gebaut. Dorothea suchte im Haus eher die Rückzugorte, Emil arbeitete tatkräftig im Garten. Emil unterstützte die künstlerische Arbeit seiner Frau, indem er ihr z.B. lange Aufenthalte in Paris oder zuletzt auf Gotland ermöglichte. Beide haben die Künstlervereinigung Hamburger Sezession mitbegründet, Emil beteiligte sich aktiv an deren alljährlichen Festen und gestaltete als Jury-Mitglied die Sezessionsausstellungen mit. Das Paar führte ein offenes Haus, Maler wie Ivo Hauptmann oder Fritz Kronenberg waren häufige Gäste. Nicht zuletzt Emils Sammlungen afrikanischer und ostasiatischer Kunst zogen Freunde und Kunstinteressierte an.

 

Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde Emil Maetzel 1933 zwangspensioniert und aus dem Staatsdienst entlassen. Im selben Jahr löste sich die Hamburger Sezession auf. Emil Maetzel erhielt zwar kein ausdrückliches Malverbot, doch als aktiver Exponent moderner Kunst stand er unter dem Verdacht des sogenannten „Kulturbolschewismus“. Er zog sich in sein Atelier nach Volksdorf zurück und wurde dort bekannt als bärtiger, etwas zotteliger Mann, der mit seiner Staffelei durch die Natur streifte. Er bereiste die Nord- und Ostseeküste und malte fast nur noch Landschaften. Sein Haus blieb über seinen Tod hinaus Treffpunkt von Malern und Künstlern. Monika Maetzel erhielt es durch ihr außergewöhnliches Keramikschaffen noch lange als Kunst-Ort am Leben.

 

Mindestens so bedeutungsvoll wie das Haus ist der Garten! Die Kunsthistorikerinnen Karin von Behr und Antje Graßhoff widmen sich im bauheft in ihren Artikeln jeweils seiner Geschichte und seinen aktuellen Potentialen. Das naturbelassene und dennoch klar strukturierte Gartenareal gibt dem ganzen Anwesen den Anstrich eines verwunschenen Paradieses. Vor dem Haus neben der Zufahrt wachsen alte Bäume und Farne, im Frühjahr blühen und duften dazu Maiglöckchen und Waldmeister. Hinter dem Haus, unterhalb der Terrasse leicht abfallend, liegt ein Staudenbeet, darauffolgend führt die nur wenig mit Buschwerk und Bäumen bewachsene Wiese zu dem kreisrunden Badeteich, dem sogenannten „Auge Gottes“, in dem sich der Himmel und die umliegende Natur spiegeln. Dahinter beginnt ein naturgeschütztes Waldgebiet. Rechts und links der Wiese grenzen leicht erhöhte Gehölze den Garten zu den Nachbargrundstücken ab.

 

Der Garten wurde lange in Ruhe gelassen. So konnte er sich – auch durch die Nähe zu dem Naturschutzgebiet Duvenwischen – zu einem Biotop entwickeln. Zwei Naturschutzverbände haben seine Flora und Fauna aufgenommen. Die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft ist dabei, die geschützten Pflanzen und Amphibien zu kartieren. In dem Badeteich wächst die Krebsschere, eine besonders gefährdete und geschützte Wasserpflanze. Da sie die Hauptnahrung der Grüne Mosaikjungfer ist, konnte sich diese ebenfalls vom Aussterben bedrohte Libellenart hier ansiedeln.

 

Die Form, in der Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen Haus und Garten gestalteten, darin lebten und arbeiteten, hat sich trotz widriger Zeitläufte bis heute im Wesentlichen erhalten. Die Lektüre des hamburger bauheftes lässt hoffen, dass sich ihr Traum der Einheit von Architektur und Natur, von Kunst und Leben an diesem Ort wieder neu erfüllen kann.


Das Künstlerhaus Maetzel in Volksdorf

hamburger bauheft Nr. 43, Schaff Verlag 2023

Mit Texten von Franziska Fuchsius, Rüdiger Joppien, Karin von Behr, Antje Graßhoff, Annkristin Kaluza

ISBN 978-3-944405-70-4

- Weitere Informationen (Verlag)

- Weitere Informationen (Kuenstlerhaus Maetzel)

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