Ein Hamburger Bauhausschüler zwischen Architektur und Kunst
Fritz Schleifer (1903-1977) war Architekt, Künstler, Fotograf und Hochschullehrer, ein Wahl-Hamburger und Bayer von Geburt. Es ist ein Glücksfall, dass sein Nachlass im Hamburgischen Architekturarchiv gelandet ist und damit der Forschung zur Verfügung steht. So erfährt diese vielseitige und eigenwillige Künstlerpersönlichkeit diesen Sommer mit drei Ausstellungen und einer ersten Monografie endlich die Anerkennung, die sie verdient.
Die Hamburger Galerie Renate Kammer hat ab Mitte Juni einen Monat lang die architektonische Arbeit Fritz Schleifers vorgestellt und zeigt noch bis Anfang September eine Auswahl seines künstlerischen Werks.
Die Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin präsentiert ab dem 16. September eine bisher unbekannte Serie seiner Fotografien. Kurator ist der Hamburger Künstler Hans Bunge, dem die Entdeckung, Vermittlung und Erschließung von Schleifers Nachlass zu verdanken ist.
„Küstenland“ heißt die Berliner Ausstellung, die beweist, „dass der Architekt Fritz Schleifer als Fotograf in die erste Riege der Avantgarde-Fotografen der 1930/40er Jahre aufgenommen werden muss“, wie die Stiftung zu Recht schreibt. Gezeigt werden 48 Vintage-Prints von den Küstenlandlandschaften Schleswig-Holsteins und Dänemarks. Sie sind Teil eines Buchprojekts, dessen Realisierung Schleifer zwei Mal misslang. 1939 verhinderte der Kriegsausbruch die Publikation, nach 1945 zerstritt er sich mit dem Verleger. Diese Art des Scheiterns ist symptomatisch für sein Leben: zuerst blockierten der Nationalsozialismus und in der Folge der Krieg seine vielversprechende Berufslaufbahn, danach fand er nicht mehr so recht den Anschluss an die Gesellschaft der Bundesrepublik.
Fritz Schleifer: Langeness, 1930/40er Jahre © Marc Schleifer
Mit der Monografie „Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes. Fritz Schleifer. Ein Hamburger Bauhausschüler zwischen Architektur und Kunst“ versucht nun ein Autor*innen-Team, diesen verpassten Anschluss „nachzuholen“ und Fritz Schleifers Werk in den Kunstkanon des 20. Jahrhunderts einzuordnen.
Das Etikett „Bauhausschüler“ im Untertitel der Monografie lässt sofort aufmerken. Fritz Schleifer hat von 1922 bis 1924 am Bauhaus in Weimar studiert, besuchte den Vorkurs bei Georg Muche und arbeitete u.a. in den Werkstätten für Wandmalerei und Bildhauerei bei Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer. Er lernte bei mittlerweile weltberühmten Künstlern wie Paul Klee, Lyonel Feininger u.a., begegnete László Moholy-Nagy. Eine engere Beziehung hatte er zum Bühnenkünstler Lothar Schreyer. Schleifers Plakatentwurf für die erste Bauhaus-Ausstellung 1923 erhielt den ersten Preis und wurde in einer Auflage von 1000 Stück gedruckt und deutschlandweit bekannt. Heute lagert das Plakat in der Sammlung des Museums of Modern Art in New York.
Auch wenn Fritz Schleifer 1925 an die Technische Hochschule München wechselte, weil er Architekt werden wollte: Das Bauhaus war für ihn prägend. Die Freundschaften und Beziehungen aus der Zeit hat er sein Leben lang gepflegt. Die Weimarer Schule war der Referenzpunkt seines Schaffens. Die dortige Atmosphäre und ganzheitliche künstlerische Auffassung bestimmten auch seine Lehrmethoden an der Landeskunstschule in Hamburg, an die er 1930 berufen wurde, ausdrücklich, um nach Vorbild der Vorkurse des Bauhauses zu lehren. Das machte ihn in konservativen und völkischen Kreisen verdächtig, die moderne Kunst und Architektur als „undeutsch“ betrachteten. 1933 entließen die neuen nationalsozialistischen Machthaber Schleifer mit dem Vorwurf „Kulturbolschewismus“ von der Landeskunstschule, ebenso wie seine Kollegen Friedrich Adler, Alfred Ehrhardt und Karl Schneider.
In der Monografie zeichnet der Kunsthistoriker Rüdiger Joppien in zwei Artikeln sehr detailliert den Werdegang von Fritz Schleifer nach. Mit Interpretationen hält er sich weitgehend zurück, zitiert lieber Briefe und Zeitzeugenaussagen. Dabei entfaltet sich Stück für Stück die Tragik Schleifers, die nicht zuletzt mit dem frühen Bruch seiner Berufslaufbahn 1933 zusammenhängt. Er war damals erst 30. Zwar konnte er als freier Fotograf und Architekt privater Bauherren seine junge Familie durchbringen, hielt sich aber aus Überzeugung und Notwendigkeit von den herrschenden Kreisen fern und verzichtete auf eine erfolgreiche Karriere. Talentiert genug wäre er gewesen.
Diesen Aspekt arbeitet der Architekturhistoriker Ulrich Höhns in seinem Kapitel überzeugend heraus. Er stellt die qualitätvollen modernen Einfamilienhäuser vor, für die der Architekt Schleifer - ganz im Sinne des Neuen Bauens – auch die Inneneinrichtungen entwarf. Neben einem Kindergarten und einem Lehrerseminar Anfang der 1960er Jahren blieben das die einzigen realisierten Bauten seiner 30-jährigen Architektentätigkeit, obwohl er an zahlreichen Wettbewerben teilnahm und gelegentlich Preise gewann.
Im Krieg blieb Fritz Schleifer als Architekt der Luftwaffe weitgehend von der Front verschont. Nach Kriegsende 1945 wurde er sofort wieder an die Landeskunstschule als Lehrer im Fach Architektur und Raumgestaltung berufen. Doch der begehrte Professorentitel blieb ihm versagt, obwohl er jetzt eine Architekturklasse leitete. Selbst für seine Verbeamtung musste er kämpfen. Zehn Jahre lang, von 1945 bis ca. 1955, war er bei den Studenten sehr beliebt, gestaltete mit ihnen legendäre Künstlerfeste, unternahm Exkursionen. Doch die Zeiten änderten sich. Aus der Landeskunstschule war die Hochschule für bildende Künste geworden. Ihre Architektenausbildung musste mit der an den technischen Hochschulen konkurrieren, d.h. statt der künstlerischen rückten nun die technischen und wirtschaftlichen Aspekte des Bauens in den Vordergrund.
Vor diesem Hintergrund wirkten Schleifers künstlerisch-experimentelle Projekte und Lehrmethoden nicht mehr zeitgemäß. Immer weniger Studenten besuchten seine Veranstaltungen. Die Kollegen Fritz Trautwein und Godber Nissen, beide in Hamburg erfolgreiche und anerkannte Architekten, kritisierten Schleifers Unterricht auch an offizieller Stelle. Ganz aufzuklären ist diese unschöne Geschichte wohl nicht. An ihrem Ende stand die frühzeitige Pensionierung Fritz Schleifers im Sommer 1958. Er war 55 Jahre alt.
Von dieser Kränkung hat sich Fritz Schleifer vermutlich nie wirklich erholt. Doch jetzt verlegte er sich ganz auf seine künstlerische Produktion und begann ein neues, neben seiner Fotografie das vielleicht spannendste Kapitel seines Schaffens. Er entwickelte seine „eif-Funktionen“. Das sind Skriptol-Zeichnungen, geometrisch-konstruktive Formspiele auf Grundlage komplexer Berechnungen, die Schleifer am Reißbrett mit Zirkel und Ziehfeder entwarf. Diese schwarzweißen luftig-leichten Gebilde aus Linien, Kreissegmenten und Quadraten bringen die Fläche im Auge des Betrachters in Bewegung und zum Tanzen.
Fritz Schleifers Spiel mit der Wahrnehmung unterlegt der Kunsthistoriker Martin Engler in seinem Beitrag in der Monografie mit existentieller Bedeutung. Schlüssig verknüpft er die zeithistorischen und biographischen Brüche, die Schleifer durchleben musste, mit seiner künstlerischen Arbeit. Engler ordnet die eif-Funktionen der Op-Art zu, die ein Teil der zweiten Moderne der 1960er Jahre ist. Dabei stellt er Schleifer gleichwertig neben den berühmten Victor Vasarely. Beide gehörten einer Generation an.
Wie der Künstler immer wieder das Verhältnis von Raum und Fläche ausgelotet hat, dabei ein faszinierendes Spiel mit optischer Täuschung und Illusion betreibt, erlebt man auch bei der Betrachtung seiner Anaglyphen, die der Architekturhistoriker Norbert Baues vorstellt. Das sind komplexe geometrische Zeichnungen auf braun-violettem Karton. Mit Hilfe einer Anaglyphenbrille – ein Glas rot, das andere blau - sieht man, wie aus der flachen Zeichnung eine räumliche Figur ersteht. Ihre weißen Linien markieren den Grundriss, darauf erheben sich rote und cyanfarbene Linien zu komplexen räumlichen Gebilden in zentraler Blickperspektive. Bewegt man sich vor dem Bild, scheinen sie zu folgen.
Finissage-Motiv. Veranstalter: Hamburgische Architektenkammer. © Privatbesitz / Familie Schleifer
Fritz Schleifer ist in seinem Leben viel gereist, die Kamera war sein ständiger Begleiter. Er nutzte seine Fotos häufig für die Lehre. Leider ist sein fotografisches Werk aus der Zeit nach 1945 nicht mehr vorhanden, und was davor entstand, nur lückenhaft. Der Kunst- und Fotohistorikerin Christiane Stahl gelingt es in ihrem Beitrag nachzuweisen, wie Fritz Schleifer schon sehr früh das neue Medium handwerklich perfekt beherrschte und sich mit den Themen Struktur, Fläche und Raum auseinandergesetzt hat. Seine Bilder komponierte er aus Eisenträgern, Schiffsschornsteinen, Glas, spiegelnden Flächen und Schatten. Nicht zuletzt die ungewöhnlichen Perspektiven verraten den Einfluss des „Neuen Sehens“.
Doch glücklicherweise ist Schleifers gescheitertes Buchprojekt „Küstenland“ aus den 1930er und 40er Jahren vollständig erhalten. Die Schwarzweißserie ist eine beeindruckende und eigenwillige Interpretation von Nordseelandschaften. Der Fotograf zeigt keine pittoresken Szenen, sondern seine Motive sind die Spuren, die der Mensch der Landschaft zugefügt hat: Deiche, Dämme, Buhnen, Kanäle, Zäune, Schienen usw. Sie bilden grafische Linien, die in die Tiefe des Raums weisen. Die Schönheit der Bildkonstruktion dominiert die gängigen Requisiten der Schönheit wie Wolken und Meeresbrandung. Das ist große Fotokunst! Nach dem Bauhaus-Jahr 2019 hat jetzt auch Fritz Schleifer eine Chance bekommen, posthum entdeckt zu werden. Er repräsentiert ein spannendes sowie tragisches Kapitel deutscher Kunst und Geschichte.
Fritz Schleifer 2: Der Künstler
Zu sehen bis zum 03. September 2023 in der
Galerie Renate Kammer, Münzplatz 11, in 20097 Hamburg
Öffnungszeiten: Di - Fr 12.00 - 18.00 Uhr. Sowie nach Vereinbarung
Weitere Informationen (Homepage)
Finissage am 3. September 2023 um 15.00 Uhr
Veranstalter: Hamburgische Architektenkammer
Programm: Kurzfilme von Alfred Ehrhardt, Teil 2.
Einführung: Christiane Stahl
Alfred Ehrhardt – der filmende Bauhäusler
Die Alfred Ehrhardt Stiftung bietet anlässlich ihres 20. Geburtstages Jubiläumsprogramme mit neudigitalisierten und farbrestaurierten Kurzfilmen von Alfred Ehrhardt an. Für den am Bauhaus geschulten Naturfilmer Ehrhardt, einen der bedeutenden Fotogra- fen der Neuen Sachlichkeit, ist der Film primär Bildkunst. Optisches Erzählen mit modernen, elektronischen Musikkompositionen kennzeichnet seine Filme: Rhythmus, Polyphonie und Serialität. Schleifer und Ehrhardt waren Brüder im Geiste – im Geiste des Bauhauses.
foto fritz schleifer: küstenland
zu sehen vom 16. September bis 23. Dezember 2023 in der
Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststraße 75, in 10117 Berlin
Weitere Informationen (Homepage)
Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes
Fritz Schleifer – Ein Hamburger Bauhausschüler zwischen Architektur und Kunst
Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs der Hamburgischen Architektenkammer, Bd. 43
Hg. von Hans Bunge
Mit Beiträgen von Norbert Baues (Architekt, langjähriger Leiter des Hamburgischen Architekturarchivs), Hans Bunge (Alltagsforscher), Martin Engler (Kunsthistoriker), Ulrich Höhns (Architekturhistoriker), Rüdiger Joppien (Kunsthistoriker), Christiane Stahl (Fotografiehistorikerin)
Dölling und Galitz Verlag Hamburg 2023
216 Seiten, 208 Farbabbildungen
Weitere Informationen (Verlag)
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