Architektur

Die Zeitschrift „Moderne Bauformen“ war bis 1943 eine erfolgreiche Architekturpublikation, die auch außerhalb Deutschlands in der Fachwelt Beachtung fand.

Die Ausstellung im Karl Schneider Haus in Hamburg zeigt daraus Fotos von Bauten in der Hansestadt, die in den 1930er Jahren entstanden sind, es sind überwiegend Wohnhäuser. Sehr viele der Aufnahmen stammen von dem ausgezeichneten Architekturfotografen Ernst Scheel (1903-1986).

 

Eindrücke von der Vernissage

Zunächst ist es gut, dass die Fachwelt sich die Architektur der 1930er Jahre ansieht und diese nüchtern betrachtet. Die Dämonisierung von Bauten fördert nicht unbedingt die Erkenntnis ihrer Bedeutung.

Wenn man jedoch die Architektur, die in der Ausstellung zu sehen ist, von dem Gesellschaftssystem abtrennt, in dem sie entstand, bleiben in der Tat lediglich simple Wohnhäuser übrig, die möglicherweise ganz gute Architektur darstellen. In Bezug auf Stilfragen, formal-ästhetische Bewertungen und Kanonisierungen hat diese Betrachtungsweise ihre einzige Berechtigung. Aber: was sagt sie uns heute, an dieser Stelle, in diesem Haus?

 

Die Tragweite der Erkenntnis, dass viele oder einige der nicht-emigrierten Hamburger Architekten Wohnhäuser bauten, die vielleicht gar nicht so „schlimm“ waren, ist sehr begrenzt. Interessant wird es allerdings, wenn man hinschaut, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis sie entstanden sind. Dann könnten eventuell zwar nicht die Häuser, aber manche Menschen verurteilt werden, denn die Verbrechen, die sie ignorierten, die sie verübten oder zuließen, von denen sie teilweise auch profitierten, die bleiben. Was für wen zutrifft, muss man sich im Einzelfall anschauen. Aber diese Fragestellungen sind mit dieser Ausstellung überhaupt nicht intendiert.

 

Was jedoch grundsätzlich nicht gleichgültig ist: Was hat diese Ausstellung im Wohnhaus des Architekten Karl Schneider (1892-1945) zu suchen?

 

Karl Schneider Haus F Ernst Scheel

Wohnhaus Karl Schneiders in Hamburg-Bahrenfeld. Foto: Patrick Bleckwedel

 

Der Ausstellungsinitiator Hans Bunge hat in seiner Eröffnungsrede daran erinnert, dass das Kunstausstellungsgebäude von Karl Schneider in der Rabenstraße, das es 1932 in die legendäre Ausstellung „Modern Architecture: International Exhibition“ im Museum of Modern Art in New York schaffte, auch in den Modernen Bauformen gezeigt wurde, vor 1933 übrigens. Was Bunge nicht sagte, war: Dass Karl Schneider ab 1933 nicht mehr als Architekt arbeiten konnte, weil er als „Kulturbolschewist“ diffamiert wurde. Und dass damit ein bisher sehr erfolgreicher und damit für viele lästiger Konkurrent auf dem Markt ausgeschaltet wurde. Das ist Fakt und liegt nun mal in der Natur des Marktes. Die Verfolgung von Architekten, Rechtsanwälten, Künstlern, Wissenschaftlern, Unternehmern etc. verschaffte ihren nicht verfolgten Konkurrenten Marktanteile. Das Kapitel „Arisierung“ fällt darunter.

 

Portrait Schneider KSAKarl Schneider verlor 1933 seine wirtschaftliche Existenz, er wurde als Professor an der Landeskunstschule Hamburg entlassen, Bauherren zogen sich zurück und Schneider musste in der Folge sein Wohnhaus, in dem jetzt die Ausstellung unkommentiert stattfindet, verkaufen. Dieses Haus ist deshalb u.a. Symbol seines Erfolges und seiner Verfolgung zugleich. Es steht nicht allein unter Denkmalschutz, damit seine besondere Architektursprache weiterhin zugänglich und erlebbar bleibt, sondern es repräsentiert auch die Zerstörung einer beruflichen Existenz. Insofern ist das Haus als „historisches Ereignis“ – nicht als ästhetisches Produkt von Steinen und Baumaterialien – eben doch „kontaminiert“. (Foto: Karl Schneider. © Karl Schneider Archiv Hamburg)

 

Moderne Bauformen COVEREs hätte vielleicht genügt, wenigstens das, was Karl Schneider von den jetzt dort aktuell ausgestellten Architekten unterscheidet, nämlich die Verfolgung und das Exil, in der Ausstellung deutlicher zu benennen. Allein das riesige Porträt Karl Schneiders am Hauseingang ersetzt das nicht. Doch auch ohne den historischen Hinweis und damit den Schrecken der Geschichte im Hinterkopf mögen sich manche Architekturinteressierte weiterhin an der ansprechend gestalteten Ausstellung schöner Fotos von Wohnhäusern der 1930er Jahre erfreuen. Sollen sie. Aber das Karl Schneider Haus ist keine beliebige Ausstellungsfläche: es ist ein Denkmal, das nicht an irgendeinen Stil erinnern soll, sondern an die ganze Geschichte seines Architekten. Ausgerechnet diese Ausstellung im ehemaligen Wohnhaus Karl Schneiders zu zeigen, zeugt daher nicht unbedingt von einem reflektierten und respektvollen Umgang mit dem Denkmal.


„Moderne Bauformen in Hamburg in den 1930er Jahren“

Anlässlich des Hamburger Architektur Sommers 2023
Zu sehen bis 11. Juni im Wohnhaus Karl Schneider, Grünewaldstraße 11, Hamburg

Veranstaltet von: Hamburgisches Architekturarchiv der Hamburgischen Architektenkammer, Karl-Schneider-Haus, Peter Dinse, Stiftung Denkmalpflege
Geöffnet: Mi-So: 11-17 Uhr

 

Publikation:

Jaeger, Roland/Kähler, Gert: Hamburgs Architektur der 1930er Jahre und die Zeitschrift ‚Moderne Bauformen'

Verlag Dölling u. Galitz Verlag GmbH

Sprache: Deutsch, Umfang: 144 S., 130 Illustr., Abb. und Faksimiles

Auflage: 1. Auflage 2023, Einband: Englische Broschur

ISBN/EAN: 9783862181698

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