Architektur

Architekten und ihr Werk unter Einbeziehung ihrer sexuellen Identität zu beschreiben, ist hierzulande ungewöhnlich, wenn nicht sogar verpönt. Das neue Buch „Schwule Architekten“ kann daher als Pioniertat gelten.

 

Auch wenn homosexuelle Männer in Deutschland, den USA und vielen europäischen Ländern heutzutage keine Strafverfolgung mehr fürchten müssen: als selbstverständlich akzeptiert dürfen sie sich im Berufsleben selten fühlen. Wolfgang Voigt und Uwe Bresan möchten dazu beitragen, das zu ändern. Die beiden Architekturhistoriker präsentieren 35 spannend geschriebene Biografien aus drei Jahrhunderten, bekannte Namen und viele vergessene, darunter eine Lesbe und eine Trans-Architektin. Was sie eint: alle waren beruflich erfolgreich und mussten dafür ihre Homosexualität verbergen. Die Nachwelt und die wissenschaftliche Forschung setzten das Versteckspiel fort.

 

In ihrem Vorwort zitieren die Autoren eine Untersuchung des britischen „Architects Journal“ von 2013. Danach erwarten zwar drei Viertel der Befragten von Kollegen und Vorgesetzten keine negativen Reaktionen auf ihr Coming-out, aber gegenüber Baufirmen und Auftraggebern halten sich zwei Drittel doch lieber bedeckt. Auf Baustellen fürchten 85% eine Ablehnung. Immerhin war die Hälfte der Interviewten in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung mit homophoben Bemerkungen konfrontiert. Die Folgestudien von 2015 und 2017 zeigten keine Verbesserung der Situation.

 

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Gerade im Bereich Bauen und Architektur herrschen offensichtlich immer noch stereotype Männlichkeitsbilder. Das Verschweigen der homosexuellen Identität von herausragenden Vertretern der Baugeschichte verfestigt das. Doch für die deutsche Geschichtsschreibung ist das bisher kein Thema. Im englischen Sprachraum dagegen ist die Forschung weiter. In New York gründete sich 1991 die „Organization of Lesbian and Gay Architects and Designers“(OLGAD), ein Netzwerk, das bei der Jobsuche hilft und bei Diskriminierung Unterstützung anbietet. Die OLGAD hat auch Ausstellungen organisiert, um die beruflichen Leistungen homosexueller Kolleg*innen zu würdigen. Folgerichtig ist das Buch „Schwule Architekten“ zweisprachig erschienen, auf Deutsch und Englisch.

 

Den absichtsvoll weggelassenen Aspekt einer historischen Persönlichkeit aufzuspüren, erfordert Textanalyse und Interpretation. Wer wie der spätbarocke Baumeister Ernst Georg Sonnin im Hamburg des 18. Jahrhunderts Haft oder Verbannung fürchten musste, hatte allen Grund zur Verschwiegenheit. Er verbarg sein privates Leben gegenüber der Stadtgesellschaft und wohnte in einem Haus in nicht einsehbarer Lage hinter einem abschließbaren Gang. Sein Schüler, Biograph und Hausgenosse Johann Theodor Reinke hat jedoch 1824 in seiner Lebensbeschreibung Sonnins – übrigens der Erbauer der Hauptkirche St. Michaelis, des Hamburger Wahrzeichens „Michel“ – deutliche Hinweise geliefert, dass die beiden mehr als berufliche Interessen verband.

 

Auch die Homosexualität von zwei hervorragenden Vertretern der jüngeren Hamburger Baugeschichte wird bisher öffentlich übergangen. Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher und Altonas Bausenator Gustav Oelsner haben insbesondere durch ihr Wirken während der Weimarer Republik das Stadtbild der heute vereinten Nachbarstädte entscheidend geprägt. Sie waren Kollegen, kein Paar, wurden erst sehr spät Freunde. Beide sind als vielseitig gebildete, kultivierte, arbeitssame Junggesellen in die Geschichte eingegangen, nur der Arbeit hingegeben und allein der beruflichen Aufgabe verpflichtet. Dieses stereotype männlich-asketische Helden-Ideal deutlich hinterfragt zu haben, wird Wolfgang Voigt Widerspruch einbringen. Dabei ist es dem Architekturhistoriker weniger wichtig, ob und wie Schumacher oder Oelsner ihre Homosexualität jeweils ausgelebt haben, es geht ihm vielmehr darum, die Verlogenheit dieses klischeehaften Männerbildes aufzuzeigen.

 

Die Notwendigkeit, sich in der Öffentlichkeit zu verstellen, hat zu außergewöhnlich gestalteten privaten Rückzugsorten geführt. Das gilt für Architekten wie für Bauherren. Ihre Häuser, Villen und Landsitze wirken schillernd, mondän oder grotesk. Uwe Bresan entführt die Leser*innen z.B. in die architektonischen Phantasiewelten des englischen Politikers und Schriftstellers Horace Walpole. Der verwandelte ab 1748 seinen Landsitz Strawberry Hill in Twickenham aus einem einfachen Cottage in eine strahlend weiße Burg mit Türmen und Zinnen, allerdings in einem sehr viel kleinerem Maßstab als die originalen Vorbilder. Er begründete damit in der englischen Architektur ein Gothic Revival. Zudem gilt Walpole mit seinem Schauerroman „The Castel of Otranto“ von 1764 als Begründer der Gothic Novel. Bresan schließt sich der Literaturwissenschaft an, die das von Walpole imaginierte Mittelalter mit Geistern und Gespenstern als Flucht aus der Enge und Bedrohung heteronormativer Zwänge und Sanktionen interpretiert.

 

In Frankreich herrschte gegenüber mann-männlicher Liebe seit 1791 ein liberaleres gesellschaftliches Klima, ein Erfolg der Revolution. Schwule Paare mussten ihre persönliche Umgebung dennoch abschotten, um ungestört leben zu können. In geradezu filmreifer Manier veranschaulicht das Uwe Bresan z.B. an der Geschichte von Barry Dierks und Eric Sawyer. Der amerikanische Architekt und der britische Banker lernten sich nach dem Ersten Weltkrieg in Paris kennen und lieben. Im kleinen Ort Miramar an der Cote d´Azur baute Dierks 1926 in den Felsen unterhalb der Küstenstraße ihr gemeinsames Zuhause Le Trident, eine kleine moderne Villa mit traditionellen provenzalischen Stilelementen. Dieser nur zum Meer geöffnete, vor Einblicken gut geschützte Ort war Refugium ihres illustren hedonistischen Lebensstils und Ausgangspunkt einer glänzenden beruflichen und gesellschaftlichen Karriere. Der Architekt baute in der Folge entlang der französischen Riviera über 100 Landsitze, überwiegend für die englische und amerikanische Oberschicht. Le Trident gilt als Dierks Meisterwerk und als stilbildend für die Zwischenkriegszeit.

 

Es gibt in dem Buch einige Beispiele von architektonisch atemberaubenden Domizilen, die Schauplatz von anrührenden, manchmal tragischen Liebes- und auch Arbeitspartnerschaften waren. Sie verkörpern häufig die Mid-Century-Moderne, liegen in Kalifornien und in oder in der Nähe von New York auf der Insel Fire Island. Manchmal geschieht aber auch Außergewöhnliches in der deutschen Provinz.

 

Im Raum Stuttgart, Karlsruhe und Heilbronn baute Chen Kuen Lee in der Wirtschaftswunderzeit über 30 mondäne Villen. Der Chinese aus reicher Shanghaier Familie lebte seit 1931 in Deutschland, studierte in Berlin Architektur und wurde Schüler und Freund von Hans Scharoun, dem Begründer des organischen Bauens. Weite, fließende Räume mit gerundeten, schwingenden Formen und großen Fensterflächen kennzeichnen Lees Villen, schwelgerische Pflanzen-Arrangements fungieren darin als raumbildende Elemente, in keiner fehlt eine Bar. Lee selbst wohnte in einem vergleichsweise bescheidenen dreistöckigen Haus, in dem es ihm dennoch gelang, acht Ebenen zu schaffen und seine Architekturvisionen zu realisieren. Mit ihm lebte seine große Liebe, der Handwerker Werner Engel. Der begleitete ihn durch alle beruflichen Höhen und Tiefen bis 2003, als Lee verarmt und vergessen in einer kleinen Hochhauswohnung starb.

 

Obwohl in Deutschland der berüchtigte Paragraf 175 erst 1994 endgültig abgeschafft wurde, gab es davor Fälle von Solidarität. Friedrich Wilhelm Kraemer war an der TU Braunschweig nach dem Krieg ein „regionaler Star“ und ein führender Architekt der Moderne. Als ihn das Hochschulamt 1950 entlassen wollte, weil ihm in Hamburg ein Verfahren nach Paragraph 175 drohte, solidarisierten sich seine Hochschulkollegen und Studenten vorbehaltlos mit ihm. Kraemer behielt seine Professur.

 

Überraschend ist auch die Geschichte der Trans-Architektin Hildegard Schirmacher. Als Ernst Schirmacher machte sie sich in den 1970er Jahren bei der denkmalgerechten Sanierung der Altstadt von Limburg einen Namen, ebenso 1983 bei der Rekonstruktion der historischen Häuser am Frankfurter Römerberg. Erst mit 70 Jahren, einige Jahre nach dem Tod ihrer Ehefrau, entschied sie sich, ihr Geschlecht zu wechseln, um endlich in einem Frauenkörper zu leben, wonach sie sich zeitlebens gesehnt hatte. Offensiv und selbstbewusst vertrat sie das gegenüber ihrer Umgebung. Im Mai 1997 schaltete sie eine Anzeige in der Limburger Lokalzeitung, um mitzuteilen, dass Dr. Ernst Schirmacher nunmehr Dr. Hildegard Schirmacher hieße, und bedankte sich im Voraus „für Verstehen und entsprechende Anrede“. Der Coup gelang, sie wurde akzeptiert. Viele Frauen unterstützten sie und bald galt sie in der katholisch-konservativen Kreisstadt als eine der bestangezogenen Damen, deren fachlicher Rat weiterhin gefragt war.

 

Architekturbücher wirken viel zu oft ein wenig kühl und trocken. Es wird darin Faktenwissen aufgereiht und es werden darin - falls die Bücher teuer produziert sind – schöne glänzende Fotos gezeigt. Bei dem vorliegenden Buch ersetzen gelungene, filmische Architekturbeschreibungen den fehlenden Glanz der eher kleinen Bilder, und das ausgewiesene Fachwissen der Autoren wird getragen von einer Emotionalität, die die Dramen hinter den Fakten spürbar werden lässt. Denn in diesen 35 Biografien stecken viele ungeschriebene Romane und Drehbücher!


Wolfgang Voigt, Uwe Bresan Hg./Ed.: Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. JH., Gay Architects. Silent biographies from 18th to 20th century

Wasmuth & Zohlen 2022

ISBN: 978 3 8030 2378 0

Weitere Informationen und Leseprobe (Homepage Verlagsseite)



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