Architektur

1876 ist für Basels Musikszene ein wichtiges Jahr. An einem der ältesten Plätze der Stadt am Rhein, am Barfüsserplatz, an dem einst die Franziskaner-Mönche – im deutschen Sprachraum wegen ihres Armutsgelübdes auch „Barfüsser“ genannt – ihre Klosteranlage errichteten, ließen Basler Bürger in jenem Jahr einen großen und einen kleinen Konzertsaal im Stadtcasino vom Schweizer Architekten Johann Jakob Stehlin errichten.

Das neobarocke Konzerthaus galt akustisch anfangs als herausragendes Juwel, das vergleichbaren Musiksälen jener Zeit wie der Tonhalle Zürich, der Laeiszhalle in Hamburg, dem Concertgebouw in Amsterdam oder dem Wiener Musikverein Konkurrenz machte. Diverse Umbauten und Renovierungen über Jahrzehnte hinweg nagten jedoch am Renommee.

Geschichte schrieb der große Musiksaal als zwischen 1897 bis 1905 hier die ersten sieben Zionisten-Kongresse stattfanden. Und es ist wohl kaum vermessen zu sagen, dass im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe die Zukunft des modernen Staates Israel konkrete Formen annahm.

 

Nun ist dieser Konzertsaal seit wenigen Wochen wieder in musikalischem Betrieb: In neuem Glanz erfüllt er alle Ansprüche – vom Denkmalschutz angefangen bis hin zu einer räumlichen Erweiterung und kompromisslosen Akustik. Es folgte ein Zeitraum von zwanzig Jahren, in denen umfassende Diskussionen geführt wurden, sich Wettbewerbe und Umbaupläne abwechselten, und schließlich das Basler Stimmvolk die Pläne, die das Büro der britisch-irakischen Architektin Zaha Hadid in London vorgelegt hatte, abgelehnte.


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Nachdem das Architekturbüro Herzog & de Meuron die Arbeiten für den Konzertsaal im Stadtcasino Basel neu entworfen und dimensioniert hatten, konnte auch dank des Engagements der viel gerühmten privaten Förderungen von Basler Mäzenen die neue Spielzeit Ende August eröffnet werden.

 

Im Ergebnis muss man den Architekten Herzog & de Meuron ein Kompliment aussprechen, denn sie haben einen dem Ort angepassten, unaufdringlichen Anbau kreiert, der sehr einfühlsam auf den direkten Umraum und die städtische Situation reagiert.
Die Frontseite der baulichen Erweiterung sowie die Seitenwände, die an den großen Konzertsaal reichen, wurden bis ins Detail als gedämmte Stahlbetonwand mit Holzverkleidung nachgebaut und gleichfarbig gestrichen. Es entstand somit ein großer, einheitlicher Korpus. Nur bei genauem Hinschauen ist der Berührungspunkt von alt und neu als eine Versatzlinie zu sehen. Die Verdopplung der Fassade wirkt darüber hinaus wie ein Zaubertrick, das Original erscheint nun als Innenwand zum Foyer und die aus Holz gebaute Replik als Außenwand zum Platz.

 

Das Foyer ist ein innarchitektonisches und skulpturales Fest für die Augen. Die einzelnen Bauelemente, die sparsame Möblierung, Blickachsen und Durchlässe machen das stockwerkübergreifende Vestibül zu einem großzügigen und atmenden Ort. Doch viele Objekte und Details erinnern an die opulente Ästhetik des isländisch-dänischen Künstlers Ólafur Elíasson: das linsenförmige Parkettmuster, das eine Entsprechung in fensterartigen metallenen Innendurchlässen findet, die samtenen Sitze der Ottomane und runden Sitzmöbel im Obergeschoss, die Replik eines gigantischen Lüsters, die verzierte, von der Manufacture Perelle in Lyon (ursprünglich 1876 für die Pariser Opéra Garnier Tribut) hergestellte warmrote Brokatgewebe-Tapete und die jeweils individuell gedrechselten Holzgeländer und Stehtischbeine sowie die als Stickerei gefertigten Beschriftungen und Wegführungen.

 

Vollständig neu hinzugekommen sind Untergeschoss und verschiedene Dienst- und Technikräume, eine die Ingenieurkunst fordernde, komplexe Leistung. Die öffentlichen Bereiche sind für das Publikum ebenfalls ein intensiver auratischer Genuss. Diese suggerieren eher Grandhotelambiente oder Opernbühne als Konzerthausgarderobe und Toiletten.

 

Gesamtbaulich öffnet sich das Stadtcasino mit seinen beiden Musiksälen nun zum Barfüsserplatz, stellt eine direkte Verbindung her und kehrt der vielbefahrenen Straße Steinenberg den Rücken zu. Das Problem mit dieser abschüssigen Straße für einen Konzertsaal sind die Trambahnen, die im Minutentakt Hörerlebnisse unterbinden könnten. Spezielle Dämpfer im Schienenbett, die die Bahnen besonders leise und erschütterungsfrei vorbeiführen sowie extrem dickes schallisoliertes Glas der großen Fenster zum Saal verhindern Störungen dieser Art. Da hört sich dann auch ein Pianissimo an wie es sollte.

 

Stadt- und handlungsräumlich immens aufwertend ist, dass der Barfüsserplatz nun wie eine Art Vorgarten, wie ein sich öffnender realer Bühnenraum genutzt werden kann, mit direkten Zugängen zum Historischen Museum in der Barfüsserkirche und mit einer neu entstandenen Gasse entlang der ebenso neuen Fassade, die zum Literaturhaus Basel und zur Bibliothek des Historischen Museums sowie zur Kulturmeile mit dem Tinguely-Brunnen, der Kunsthalle Basel und dem Schweizerischen Architekturmuseum führt.
Im etwas weiteren Umkreis liegen das Museum der Kulturen, das Kunstmuseum Basel, das Theater Basel sowie das Spielzeug Welten Museum und schließlich das Jüdische Museum Schweiz, das erste Museum seiner Art im deutschsprachigen Raum nach dem Krieg, das die Jahrhunderte der jüdischen Kulturgeschichte dokumentiert und aufarbeitet.


Stadtcasino Basel

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