Kultur Blog
- Geschrieben von Anna Grillet -
Raffinierter, beklemmender Thriller über das gefährliche Erbe der argentinischen Militärjunta.
Regisseur Pablo Trapero war dreizehn Jahre alt, als die Verhaftung Arquímedes Puccios Schlagzeilen machte. Es ging um Entführung, Erpressung, Mord. Der Fall fasziniert den Filmemacher heute noch genau wie damals. „El Clan” ist weniger Crime-Drama als die Chronik einer bizarren Vater-Sohn-Beziehung. Der sympathischen Familie in dem gutbürgerlichen Vorort von Buenos Aires traute angeblich niemand solch unfassbare Verbrechen zu. Obwohl, genau damit hatte es der ehemalige Angehörige des Geheimdienstes während der Diktatur zu hohem Ansehen gebracht. Entscheidender Unterschied gegenüber früher: Nun arbeitet er als selbstständiger Unternehmer auf eigene Rechnung. Seine Opfer sind nicht mehr Regimekritiker sondern wohlhabende Nachbarn.
- Geschrieben von Thomas Janssen -
Zum 70. Mal fanden im Vorjahr die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker statt. Das Jubiläum war nicht nur Anlass zur Rückschau auf die Geschichte des ältesten Kammermusikfestivals in Deutschland, sondern brachte große Veränderungen an der Spitze: Die Violinistin Carolin Widmann gab nach vier Jahren die künstlerische Leitung des Festivals an ihren Kollegen Oliver Wille, Mitglied des Kuss-Quartetts und Dozent an der Musikhochschule Hannover ab. Und der Trägerverein wählte den Musikwissenschaftler und -journalisten Christian Strehk aus Kiel, Leiter des Feuilletons der „Kieler Nachrichten“ zum Vorsitzenden.
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht, heißt ein deutscher Kinderreim. Man könnte stattdessen auch dichten: „...sind für die Designer Pflicht“. Denn genau das ist Aufgabe der Produktgestalter – Gebrauchsgegenständen eine Form zu geben, egal, wie banal sie auch sind.
Dass die alltäglichen Hilfsmittel im Haushalt, Garten oder in der Werkstatt zumeist ganz hervorragend gestaltet sind, zeigt gegenwärtig der Schweizer Designer und Dozent Franco Clivio im Museum für Kunst und Gewerbe: Seine riesige, rund 1000 Alltagsgeräte umfassende Sammlung an „No Name Design“ formiert sich hier zu einer veritablen Sehschule von geradezu enzyklopädischem Ausmaß.
- Geschrieben von Christel Busch -
Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden präsentiert den vierteiligen Bilderzyklus „Birkenau" von Gerhard Richter. Das monumentale Werk von 2014 entstand nach Fotografien aus Auschwitz-Birkenau, dem größten Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten.
1944 von jüdischen Häftlingen heimlich aufgenommen und als Negative aus dem KZ geschmuggelt, zeigen die Schwarz-Weiß-Aufnahmen Frauen auf dem Weg in die Gaskammern, Berge von Toten und rauchende Scheiterhaufen mit brennenden Leichen. Kann, darf ein Künstler Dokumente des Holocaust im Kontext der Malerei nutzen? Wie verarbeitet Gerhard Richter, immerhin der teuerste zeitgenössische Künstler, diese unfassbaren Grausamkeiten bildkünstlerisch in seinen Werken?
- Geschrieben von Dagmar Reichardt -
Stuart Hall (1932-2014) ist einer der Gründungsväter jener Disziplin, die wir heute “Kulturwissenschaft” nennen, und hat 1968-79 das berühmte Centre for Contemporary Cultural Studies an der Universität Birmingham geleitet. Er war eine zentrale Figur der Neuen Britischen Linken und einer der einflussreichsten, vielseitigsten, wenngleich wohl auch verkanntesten zeitgenössischen Soziologen, bedeutender Kultur- und Medientheoretiker, „pluraler Marxist” mit jamaikanischen Wurzeln und ohne Zweifel einer der charismatischsten öffentlichen Intellektuellen, die England zu bieten hat.
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Hervorragende Sängerinnen und Sänger, ein wunderbares Mini-Orchester, ein eingängiges Regiekonzept – der Hamburger Kammeroper gelingt mit „Don Giovanni“ der zweite Volltreffer in einer ambitionierten Spielzeit, die später noch „Così fan tutte“ auf die Bühne bringen wird. Der Wüstling und die Gesellschaft seiner Opfer, die ihre Rache planen – im kleinen Opernhaus sorgen sie für einen großen, musikalisch höchst hörenswerten Opern-Abend.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Hinreißende Widerstands-Saga von verstörender Eindringlichkeit.
„Ein Monster mit fünf Köpfen” nennt Regisseurin Deniz Gamze Ergüven die wunderschönen Heldinnen ihres Debütfilms. Sie sagt es mit Bewunderung. „Mustang” sprengt auf ästhetisch virtuose Weise und mit frappierender Leichtigkeit die Genres: tragische Familienchronik, bizarres Ausbrecher-Epos, feministisches Märchen. Es geht um Unterdrückung, die Willkür des Patriarchats, um Tod, Liebe, eine verlorene Jugend, viele Niederlagen und den unerschütterlichen Willen, nie aufzugeben. Schauplatz: ein abgelegenes Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste.
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
„Elisabeth“ im Mehr! Theater hätte zweifellos das Zeug zu großer Oper.
Dass die Musical-Produktion äußerst mittelmäßig bleibt, liegt an wenig eingängigen Melodien und stimmschwachen Tenören. Vor allem aber an der lausigen Lichtregie und einer ärgerlich reflektierenden Projektionsfläche als kostengünstigem Tour-Bühnenbild. Dabei enthält die als Totentanz interpretierte Lebensgeschichte der österreichischen Kaiserin durchaus intensive Momente. Dafür steht schon der Name Harry Kupfer, der einstige Vorzeige-Regisseur der DDR.
- Geschrieben von Dagmar Reichardt -
Ein norditalienischer Schriftsteller und Sprachwissenschaftler, Bestseller- und Kinderbuchautor, Verfasser der in Deutschland als „Streichholzbriefe“ bekannten Zeitschriftenkolumnen, von Berufs wegen Semiotiker, Literaturkritiker, Universitätsprofessor, Medienjongleur, -wissenschaftler und -theoretiker, aus der katholischen Kirche ausgetretener, mehrfach erklärter Berlusconi-Gegner, vor allem aber ein großer Kopf: Ein wahrhaft weltoffener, europäischer, (selbst-) kritisch- und querdenkender, leidenschaftlich engagierter Intellektueller, das war Umberto Eco (1932-2016).
- Geschrieben von Anna Grillet -
Vielleicht der spannendste Film, der je über investigativen Journalismus gedreht wurde.
Tom McCarthys ungewöhnliches Newsroom-Drama „Spotlight” rekonstruiert Schritt für Schritt minutiös, wie ein kleines Reporter-Team des ‚Boston Globe’ die systematische Vertuschung von Kindermissbrauch innerhalb der katholischen Kirche aufdeckt. Acht Monate dauerten die Recherchen. Das Ausmaß des Skandals erschütterte die Weltöffentlichkeit. Viele Opfer pädophiler Priester fanden nun erst den Mut gegen ihre Peiniger vorzugehen. Die Artikelserie erhielt 2003 den Pulitzerpreis.