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Maya Arad Yasurs preisgekröntes Schauspiel über den Nahostkonflikt »Gott wartet an der Haltestelle« hat das Theater Heilbronn schon vor anderthalb Jahren für Januar 2024 auf den Spielplan gesetzt. Als ein Stück, das anhand einer auf Tatsachen beruhenden, sehr individuellen Geschichte diesen seit über 100 Jahren währenden und immer wieder eskalierenden Konflikt mit analytischem Blick beleuchtet. Der Autorin gelingt es, immer wieder die Perspektiven zu wechseln und beide Konfliktparteien gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Mit geradezu antiker Größe wird hier eine Gesellschaft beschrieben, die in einem fatalen Kreislauf der Gewalt gefangen zu sein scheint.


Die Premiere von Hans-Ulrich Beckers Inszenierung von »Gott wartet an der Haltestelle« findet am 13. Januar 2024 im Großen Haus des Theaters Heilbronn statt.

Das Stück entstand 2014 im Rahmen des TERRORismus-Projekts der Union des Théâtres de l’Europe. Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 hat Maya Arad Yasur einen aktuellen Kommentar geschrieben, auch um nach dem Schock, den dieser Terroranschlag in Israel ausgelöst hat, ihre Gedanken zu sortieren und zu ihrer Sprache zurückzufinden: »Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten«. Dieser Text wird in enger Absprache zwischen Autorin und Inszenierungsteam in die Heilbronner Inszenierung von »Gott wartet an der Haltestelle« eingewoben.

 

Zum Inhalt des Stückes »Gott wartet an der Haltestelle«
An einem Checkpoint zwischen Israel und dem Westjordanland stehen einander zwei junge Frauen gegenüber: die israelische Soldatin Yael und die palästinensische Krankenschwester Amal. Yael lässt Amal durch, ohne Passierschein, was eigentlich streng verboten ist. Als Soldatin trage sie an dieser Grenze die Verantwortung für ein ganzes Land, haben die Vorgesetzten Yael eingeschärft. Aber Amal hat einen dicken Bauch, ist allem Anschein nach schwanger und für niemanden eine Gefahr, denkt Yael und nutzt eine Grauzone in den Vorschriften, um Amal zu helfen. Wenig später reißt Amal durch einen Selbstmordanschlag in einem Restaurant in Israel dreißig Menschen mit in den Tod. Wer trägt nun die Schuld? Yael, die Amal ohne Passierschein die Grenze überqueren ließ? Der Taxifahrer, der Amal ins Restaurant brachte, obwohl sie auch ihm keine Legitimation vorlegen konnte? Oder ist es die Situation von Amals Familie, die ihr Haus in Haifa verlassen musste und in einem palästinensischen Flüchtlingslager lebt? Dort wurde Amal geboren. Hier spielen schon die Kinder »Terroristen« und »Soldaten«.


Amal ist Krankenschwester geworden, um den Menschen zu helfen. Ihr Bruder dagegen hat sich radikalisiert und gehört einer palästinensischen Terrorgruppe an. Er wird vom israelischen Geheimdienst getötet und seine ganze Familie unter Generalverdacht gestellt. Deshalb gibt es für Amal und ihren schwerkranken Vater keine Passierscheine und damit auch keine Chance auf eine adäquate medizinische Versorgung für den alten Mann. Ist es die Verbitterung über die ausweglose Situation, die Amal zu ihrer verzweifelten Tat getrieben hat?

 

Puzzle aus Vor- und Rückblenden
In zahlreichen Rück- und Vorblenden untersuchen die Figuren in Maya Arad Yasurs Drama die Gründe für das Selbstmordattentat und machen anhand von persönlichen Schicksalen den Nahostkonflikt erfahrbar. Was macht eine Atmosphäre permanenter Angst mit einer Gesellschaft? Wie leben die Israelis mit ihrer Furcht vor Anschlägen und der ständigen Sorge um ihr Land? Wie verzweifelt sehnen sich die Palästinenser in ihre Häuser zurück? Der Text fragt, wo in der Kette der Ereignisse Augenblicke gewesen wären, in denen die Katastrophe noch hätte abgewendet werden können. Es gibt keine Einteilung der Menschen in Opfer und Täter. Es geht nicht um Schuld, sondern um den Versuch, die Formel des Hasses zu entschlüsseln.

 

Wahrer Hintergrund
Das Stück spielt in den Wirren der zweiten Intifada (2000-2005). Maya Arad Yasur studierte zu der Zeit in Jerusalem, das aufgrund der besonderen Bedeutung für Israelis und Palästinenser Ziel vieler Anschläge war. Damals vermied sie es mit dem Bus zu fahren, um nicht selbst Opfer eines Attentats  zu werden. »Gott wartet an der Haltestelle« entstand aus ihren Recherchen über terroristische Selbstmordanschläge während der zweiten Intifada. Maya Arad Yasur hat die Geschichte der 28-jährigen Attentäterin Hanadi Jaradat verarbeitet, einer angehenden Juristin, die sich 2003 mit einem Sprengstoffgürtel im sowohl bei Juden als auch bei Muslimen sehr beliebten Restaurant »Maxim« in Haifa in die Luft gesprengt und dabei 21 Menschen mit in den Tod gerissen hatte. Ihr Anschlag richtete sich explizit gegen die Versöhnungsbemühungen dieser beiden Bevölkerungsgruppen.

 
Perspektivwechsel  - sich von beiden Seiten dem Kern des Konfliktes nähern
Maya Arad Yasur nähert sich generell ihren Stoffen schreibend und beobachtend von beiden Seiten und schafft es damit, den Ambivalenzen von komplexen Themen gerecht zu werden. Sie sagt: »Diese Idee, durch die Augen des anderen zu sehen, seinen Blickpunkt einzunehmen, dich selbst durch seine Augen zu sehen, ist ein leitendes dramaturgisches Prinzip in all meinen Theaterstücken, da es mein Ziel ist, dem Publikum einen weiten, ausreichend sicheren Raum zu eröffnen, um komplexe Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven … zu betrachten. … Die Kunst bietet den Bereich der ästhetischen Betrachtung …, der das Überlebensinteresse des Betrachtenden aufschiebt und es ihm ermöglicht, und sei es nur für einen Augenblick, auf die Situation der ihm entgegengesetzten Perspektive zu schauen; auf seinen Feind, auf den anderen, auf jeden anderen … und deshalb ist es an uns, verstärkt für die Kunst zu kämpfen, insbesondere in Zeiten wie diesen.«

Das Prinzip des Perspektivwechsels spielt auch eine wichtige Rolle in Hans-Ulrich Beckers Inszenierung. Die Schauspielerinnen und Schauspieler wechseln innerhalb der Figurenkonstellation die Seiten, sind mal Palästinenser und mal Israelis. Das bietet Raum für kritische Reflexion anstelle von Identifikation. In chorischen Passagen bekommen die Opfer der Tragödie eine Stimme.

 

Premiere am 13. Januar 2024, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Heilbronn
Gott wartet an der Haltestelle
von Maya Arad Yasur
Deutsch von Matthias Naumann
Unter Einbeziehung von Maya Arad Yasurs neuem Stück
»Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten«

Regie und Bühne: Hans-Ulrich Becker
Kostüme: Kirsten Dephoff
Musik, Choreinstudierung: Viola Kramer
Video: Nikolai Stiefvater
Dramaturgie: Dr. Mirjam Meuser

Es spielen: Sarah Finkel (Amal); Sabine Unger (Nabila, Amals Mutter); Stefan Eichberg (Thaiser, Amals Vater/Chemi, Mitarbeiter des Shabak); Arlen Konietz (Fares, Amals Bruder); Regina Speiseder (Yael, Soldatin/Nasrin, Kindheitsfreundin von Amal); Oliver Firit (Dr. Abu Khaled/Leutnant Yaniv, Offizier); Sven-Marcel Voss (Jamal, Taxifahrer/Zachi, Soldat); Leonie Berner (Saraya, Jamals Frau/Kellnerin)

 

Quelle: THEATER HEILBRONN

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