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„Der Untertan“ wurde in der Weimarer Republik als Abrechnung mit dem Deutschen Kaiserreich und Prophezeiung des Ersten Weltkriegs gefeiert. Ab 10. September widmet das Buddenbrookhaus Heinrich Manns erfolgreichstem Roman eine eigene Sonderausstellung: Unter dem Titel „Der Untertan. Über Autorität und Gehorsam“ wird in den Räumen des St. Annen-Museums die Brücke des 1914 vollendeten und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichten Bestsellers in die heutige Zeit geschlagen.
 
Gut hundert Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe erweisen sich dessen gesellschaftlichen Diskurse als zeitlos: Macht, Autorität, Gehorsam, Zensur, Ausgrenzung, Teilhabe, Patriarchat und Gewalt stehen mehr denn je wieder im Zentrum von Debatten um das gesellschaftliche Miteinander und bilden demzufolge auch die Schwerpunkte der Ausstellung. Zentrale Themen und Handlungsorte des Romans wie die Papierfabrik, der Ratskeller, die Rolle der Frau, der Stellenwert des Militärs oder die Denkmalthematik werden in den Mittelpunkt gerückt. Zu sehen sind in drei Räumen neben der Erstausgabe des „Untertans“ mehrere originale Schriftstücke wie Briefe und Notizen Heinrich Manns zum Thema sowie historische Objekte der Zeit des Deutschen Kaiserreichs aus dem Besitz des St. Annen-Museums, die gleichzeitig stellvertretend für zentrale Figuren des Romans stehen. Da in Hamburg und Niedersachsen „Der Untertan“ aufgrund seiner großen Aktualität wieder auf der Lektüreliste für das Deutsch-Abitur steht, sind zudem die beeindruckenden Ergebnisse mehrerer Schulprojekte ausgestellt. Die Schau ist bis 31. März 2023 zu sehen. Kuratiert wurde sie von der wissenschaftlichen Volontärin des Buddenbrookhauses Imke Jelen zusammen mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Museums Caren Heuer und Barbara Eschenburg.
 
Lübecks Kultursenatorin Monika Frank ist beeindruckt von der Strahlkraft von Heinrich Manns Roman: „Auch wenn Heinrich Mann mit Netzig im ‚Untertan‘ das spießbürgerliche Lübeck mit seiner der Kaiserzeit eigenen Doppelmoral karikiert, so ist es doch erfreulich, dass die Hansestadt einen so kritischen und demokratiefreundlichen Geist hervorgebracht hat, der aus heutiger Sicht nahezu – leider – als politischer Prophet bezeichnet werden kann. Gerade in der heutigen Zeit ist diese Ausstellung mit Blick auf die Entwicklung der Weltpolitik wichtiger denn je.“ Der Leitende Direktor der LÜBECKER MUSEEN, Prof. Dr. Hans Wißkirchen, erklärt: „Einmal mehr beweist der Verbund der LÜBECKER MUSEEN mit dieser Ausstellung, was durch die Zusammenarbeit der einzelnen Häuser möglich ist. Das St. Annen-Museum unterstützt das wegen umfassender Baumaßnahmen geschlossene Buddenbrookhaus nicht nur räumlich, sondern auch mit Exponaten aus der Kaiserzeit, die die Machtsymbole jener Epoche eindrucksvoll veranschaulichen. Zudem kann der Bogen auch inhaltlich vom nach der Reformation als Armen- und Waisenhaus genutzten St. Annen-Kloster zum Roman gespannt werden, in dem Protagonist Diederich Heßling die Errichtung eines Waisenhauses zugunsten eines Denkmals für Kaiser Wilhelm I. verhindert.“
 
Die Ausstellung „Der Untertan. Über Autorität und Gehorsam“ gliedert sich in drei Themenräume. Am Eingang werden die Besucher:innen mit einem Film von Schüler:innen empfangen, der ihnen die Romaninhalte und das Oberthema Autorität und Gehorsam näherbringt. Zudem wird die Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte des Werks, das als Satire auf das Deutsche Kaiserreich verstanden werden kann, vermittelt. Als Highlight gilt hier ein Brief Heinrich Manns an seinen Bruder Thomas vom 31. Juli 1914, dem Vorabend des Kriegsausbruchs, in dem er weitsichtig die Ereignisse und Auswirkungen des Ersten Weltkriegs für Deutschland erkennt. Neben zwei Briefen an seine Mutter, aus denen seine Recherchearbeiten für den Roman hervorgehen, ist zudem ein Brief eines Redakteurs der Zeitschrift „Zeit im Bild“ an Heinrich Mann zu sehen. Darin bittet dieser den Autor am Tag des Kriegsausbruchs, 1. August 1914, um Verständnis darum, dass in der aktuellen Lage die Veröffentlichung des „Untertans“ als Fortsetzungsfolge sofort abgebrochen werden muss, um der Zensur zu entgehen. Der Brief dokumentiert damit die Ursache, warum der Roman erst nach Ende des Ersten Weltkrieges erscheinen konnte – dafür aber mit umso größerem Erfolg.
 
Des Weiteren werden die Besucher:innen im ersten Themenraum mit den historischen Arbeitsbedingungen einer Papierfabrik um 1900 vertraut gemacht, wie sie Protagonist Diederich Heßling als streng autoritärer Chef betreibt. Die prekären Zustände in Fabriken der damaligen Zeit werden ebenso thematisiert wie die allumfassende Macht des Arbeitgebers, die im Betrieb mit der des Kaisers im Reich zu vergleichen ist. Auch das Thema Frauen in Fabrik und Familie wird aufgegriffen, die in der damaligen Zeit ganz der Macht der Männer unterworfen waren. Ein Mieder aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildet an dieser Stelle das zentrale Exponat, um das Eingeschnürtsein der Frau in ihre Rolle in der patriarchalischen Kaisergesellschaft zu versinnbildlichen. 
 
Der zweite Themenraum lädt dazu ein, sich an einen weiteren zentralen Handlungsort des „Untertans“ zu begeben: den Stammtisch im Ratskeller. Anhand von als Tweets dargestellten Figurenzitaten aus dem Roman erkennen die Besucher:innen, dass der Stammtisch von einst, damals Mikrokosmos des Deutschen Kaiserreichs, heute durch die Sozialen Medien ersetzt wird, wo die oberflächlichen diskriminierenden Debatten von einst in neuem Gewand fortgeführt werden. Auch der Antisemitismus wird in diesem Raum thematisiert, der tief in den gesellschaftlichen Strukturen des Kaiserreichs und somit auch in der Romanhandlung verankert ist. Als Highlight sind original historische Exponate aus dem St. Annen-Museum zu sehen, welche die Institutionen des Kaiserreichs widerspiegeln und zugleich stellvertretend für zentrale Figuren des Romans stehen, beispielsweise eine Pickelhaube aus dem Jahr 1883 oder eine Schreibmaschine von 1898.
 
Der dritte Themenraum schließlich ist der auch heute wieder heftig diskutierten Denkmalsdebatte gewidmet, die mit Diederich Heßlings Einsatz für ein Denkmal Kaiser Wilhelms I. in Netzig zentraler Bestandteil des Romans ist. Fahnen, die in ihrer Optik ähnlich denen des Deutschen Kaiserreichs gestaltet wurden, deuten große Feierlichkeiten zur Enthüllung des Denkmals an – und desillusionieren gleichzeitig mit eindeutigen Positionen Heinrich Manns gegen das Kaiserreich auf der Rückseite. Zudem ist hier den Denkmal-Projekten von Schüler:innen der Kunstkurse des Lübecker Gymnasiums Katharineum und des Gymnasiums Dahl- mannschule in Bad Segeberg Platz eingeräumt, die sich ohne dezidierte Vorkenntnisse des Romans mit Formen des Erinnerns und Gedenkens in der heutigen Gesellschaft auseinandergesetzt haben.
 
Aus einem Schreibwettbewerb im Vorfeld der Ausstellung, der sich mit der Aktualität des „Untertans“ befasste, wurden außerdem die spannendsten Einsendungen zu einer Ausstellungszeitung zusammengefügt, die den Titel „Neue Netziger Zeitung“ trägt und mit einem Vorwort von Claudia Roth versehen wurde. Diese Ausstellungszeitung kann von den Besucher:innen bei Interesse mitgenommen werden.
 
Zum Abschluss der Ausstellung wird noch auf eine etwas befremdliche Entwicklung in der „Untertan“-Rezeption eingegangen: Seit Beginn der Corona-Pandemie wurde der Roman von so genannten Querdenker:innen immer wieder als Nachweis für den deutschen Untertanengeist missbraucht. Diese Debatte wird in der an die Sonderausstellungsräume angrenzende „Apotheke“ skizziert.
 
Ausstellung und didaktisches Programm sind ein Kooperationsprojekt zwischen dem Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig-Holstein und dem Buddenbrookhaus.
 
Die Ausstellung „Der Untertan. Über Autorität und Gehorsam“ wird am 9. September um 18 Uhr im Foyer des Museumsquartiers St. Annen eröffnet. Nach einem Grußwort durch Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau und Dr. Christian Meyer-Heidemann, dem Landesbeauftragten für politische Bildung in Schleswig-Holstein, gibt Kuratorin Imke Jelen eine Einführung in die Schau. Zu sehen sind zudem der Ausstellungsfilm aus dem Schulprojekt sowie Theaterszenen der 10. Klasse der Johann-Heinrich-Voß-Schule in Eutin. Im Anschluss gibt es eine von der Leiterin des Buddenbrookhauses Dr. Birte Lipinski moderierte Podiumsdiskussion mit der Berliner Historikerin Prof. Dr. Ute Frevert, bei der es um den vermeintlichen deutschen Unteranengeist gehen soll. Die Teilnahme an der Veranstaltung beträgt 10 Euro, ermäßigt 8 Euro. Um Anmeldung wird telefonisch unter 0451-122 4190 oder per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! gebeten.
 
Rahmenprogramm
Öffentliche Führungen durch die Sonderausstellung oder Literarischer Spaziergänge auf den Spuren des Romans finden an jedem zweiten Samstag im Monat um 14 Uhr statt.
Treffpunkt Ausstellungsführung: St. Annen-Museum, Museumskasse (St. Annen-Straße 15)
Treffpunkt literarischer Spaziergang: Infocenter „Buddenbrooks am Markt“ | Markt 15
Anmeldung unter 0451-122 4190 und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
 
Filmreihe, moderiert von Britta Dittmann (Buddenbrookhaus)
„Der Untertan“, Regie Wolfgang Staudte | 27.10. | 18 Uhr
„Das weiße Band“, Regie Michael Haneke | 16.11. | 17.30 Uhr
„Das schweigende Klassenzimmer“, Regie Lars Kraume | 30.11. | 18 Uhr
Kommunales Kino Lübeck | Mengstr. 35 | 7/5 €
 
Frag uns doch! Diskussionsabend mit Jenny Havemann, Bloggerin, Moderatorin, Unternehmerin, und Eliyah Havemann, Publizist, moderiert von Sabine Kößling, Judaistin
10.11.2022 | 19 Uhr | 10/8 € 
Synagoge Lübeck, St. Annen-Straße
Tickets und Anmeldung unter 0451 1224190 und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
 
Finissage: Vortrag „Der Untertan – heute“, Christian Staas (Hamburg)
31.03.2023 | 18 Uhr | 8/4 € 
Remter, St. Annen-Museum
Anmeldung unter 0451 1224190 und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
 
Quelle: Kulturstiftung Hansestadt Lübeckdie LÜBECKER MUSEEN

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