Meinung

„..., dass für den Künstler, der dieses Namens würdig sein will, die Gefahr, dem Publikum zu missfallen, eine weit geringere ist als die, sich durch dessen Launen bestimmen zu lassen – und dieser Gefahr bleibt jeder ausübende Künstler insbesondere preisgegeben, wenn er nicht entschieden und prinzipiell den Muth fasst, für seine Überzeugung ernstlich und consequent einzustehen und die von ihm als die besseren erkannten Sachen vorzuführen, mag es den Leuten gefallen oder nicht.“ (Franz Liszt)

 

Aus Beethovens Mund ist überliefert, dass er, je länger, je mehr, sich dem Einfachen verschrieben habe. „Immer einfacher“, so soll in späten Jahren sein Credo gelautet haben. Einfacher bedeutet freilich nicht simpler im Sinne der banalen Einebnung von Differenziertheit. Gassenhauer sind, überflüssig zu sagen, das keinesfalls Erstrebte. Die hohe Kunst vielmehr besteht ja gerade darin, das grundlegend Einfache in eine vielgestalte Tiefendimension sich entwickeln zu lassen; so dass sich zeigt, dass und wie Simplizität sich in eine Breite auseinanderlegt, die das Höchste und Tiefste an melodisch-harmonischer Durchgestaltung impliziert.

 

Mozart violin concertos COVERMozarts Violinkonzert Nr. 1 B-Dur (KV 207) von 1773, dargeboten von dem Orchestra Of The Age Of Enlightenment unter der Leitung der russischen Solistin Viktoria Mullova ist, so mein Empfinden, ein Beispiel für eine Simplizität, die es trotz allem faustdick hinter den Ohren hat. Dergestalt, dass der die Sonatenhauptsatzform antizipierenden thematischen Durchformung des ersten Satzes (Allegro moderato) ein zutiefst das Herz anrührendes Adagio – was für ein Kontrast in dem emotionalen Betroffensein – sich anschließt. Der dritte (Presto) Satz schließlich – der Kontrast nimmt groteske Ausmaße an – ist eine clownesk-schelmisch-augenzwinkernde Flucht und ein Reißausnehmen vor der Vereinnahmung durch das Glatt-Genehme des sich nun wirklich auf der Oberfläche des Simplen wohl sein lassenden Konvenablen.

 

Und dann ist da die Kadenz am Ende des ersten Satzes. Eine merkwürdig disparate Mischung. Verspielt-delikates, dem Leben zugewandtes Rokoko durchsetzt mit Elementen barocker Klarheit, Prägnanz und fast schon tödlich-kristallener Stringenz. Ich höre jedenfalls – und im Übrigen auch in der Schlusskadenz des Finalsatzes – Bach heraus, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob die Solopassage(n) von Mozart selbst in Noten gesetzt worden ist (sind). Was letztlich ja auch unerheblich ist, da bekannt ist, dass Mozart alles andere als ein Purist gewesen ist, wenn es um die von ihm selbst immer wieder für vernachlässigenswert gehaltene Authentizität des Mozartischen bei Mozart – so geht Freude an einer sich selbst nicht unbedingt wichtig nehmenden Selbstironisierung – gegangen ist. Für musikalische Eskapaden und thematische Seitenwege beschreitende Kapriolen war der Salzburger auf jeden Fall stets zu haben, anders als Beethoven, der mit Argusaugen darüber wachte, dass die nicht selten überforderten Instrumentalisten ausnahmslos eine punktgenaue und werkgetreue Umsetzung des Notierten zu Gehör brachten.

 

Die am 27. November 1959 in Moskau geborene Viktoria Mullova steht in diesem Fall einem Orchester vor, das dem Zeitalter der Aufklärung in seinem Namen die Reverenz erweist. Besagte Kadenzen sind – sofern ich mit meinem Empfinden richtig liege, aber auch ganz unabhängig davon – unter dem Blickwinkel der Künstlerbiografie dieser Geigerin auf jeden Fall von Bedeutung. Denn genau wie die amerikanische Geigerin Hilary Hahn hat Mullova eine über die Jahrzehnte sich hinziehende besondere Affinität zu der Tonkunst Johann Sebastian Bachs entwickelt. 1994 gründete sie das Mullova Chamber Ensemble mit dem Schwerpunkt auf den Werken Bachs, und ein nicht unerheblicher Anteil ihrer Einspielungen ist diesem für die musikalische Fortentwicklung – und das betrifft nicht bloß die Kunst der Fuge – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – ich nenne vor allem die Schoenberg-Schule – zentralen Tonsetzer gewidmet.

 

Über dem Ganzen der Einspielung, auf die ich mich beziehe, liegt, der emotionalen Durchdifferenzierung zum Trotz, eine zarte und innige Anmut. Denn, so geht Kongenialität in der Aus- und Durchführung, Mozarts Musik hat in summa ganz entscheidend und zentral mit der Sehnsucht nach Liebe in ihrem aktiv-passiven Wechselbezug zu tun.

 

Viktoria Mullova legt all ihr Können, ihre Leidenschaft und ihre Liebe in ihr Spiel und nicht in ihre von Gefühlsregungen eigentlich gänzlich freie Mimik und Gestik. Darin und nicht bloß darin – die Bach-Affinität ist beiden gemeinsam – gleicht sie Hilary Hahn ganz und gar. „Fragen wir weiter, worin die künstlerische Begeisterung bestehe, so ist sie nichts anderes, als von der Sache ganz erfüllt zu werden, ganz in der Sache gegenwärtig zu sein und nicht eher zu ruhen, als bis die Kunstgestalt ausgeprägt und in sich abgerundet ist. – Wenn nun aber der Künstler in dieser Weise den Gegenstand ganz zu dem seinigen hat werden lassen, muß er umgekehrt seine subjektive Besonderheit und deren zufällige Partikularitäten zu vergessen wissen und sich seinerseits ganz in den Stoff versenken: so daß er als Subjekt nur gleichsam die Form ist für das Formieren des Inhaltes, der ihn ergriffen hat. Eine Begeisterung, in welcher sich das Subjekt als Subjekt aufspreizt und geltend macht, statt das Organ und die lebendige Tätigkeit der Sache selber zu sein, ist eine schlechte Begeisterung.“ (Hegel)

 

Bach Hilary Hahn COVERApropos Bach. Apropos Hilary Hahn. Lausche ich Johann Sebastian Bachs: Chaconne, Partita Nr. 2 BWV 1004 mit Hilary Hahn, lasse ich mich zu zweierlei in der Tonart (Liebe versus hilflos-bebender Zorn) scheinbar entgegengesetzten, freilich beide dasselbe intendierenden, Bekenntnissen hinreißen:

 

Zieht es sie ins Weite,

Bleibt einer hier zurück.

Dass sie ihm bereite,

Aus der Ferne Glück.

 

Denn: Das ganz und gar grauselige Geschehen auf dieser Welt, und es wird ja Tag für Tag wohin du schaust in seinen immer erschreckender werdenden Formen permanent sich ausweitender Gewalteskalation von schlechterdings allen Seiten grauseliger, hat diese Liebeserklärung von ganz weit her schon längst verspielt.

 

Für den wirklichen Künstler (generisches masculinum) schließlich, der sich dieser Bezeichnung als würdig erweisen will, gilt das Eine wie das Andere, das hier in Form zweier Zitate ausgewiesen wird und ist. „And if you don’t follow things that interest you, you may miss out on opportunities that may bring you for circle back from where you started as a much stronger individual and stronger artist.” (Hilary Hahn)

 

„Die Virtuosität solcher Beseelung“ besteht darin, „sich in diesem Elemente (der Komposition, F.-P.H.) mit vollständiger Freiheit zu bewegen – so wie in geistiger Rücksicht die Genialität nur darin bestehen kann, die geistige Höhe des Komponisten wirklich in der Reproduktion zu erreichen und ins Leben treten zu lassen. ... Denn ein dürftiger Kopf kann keine originellen Kunststücke hervorbringen, bei genialen Künstlern aber beweisen dieselben die unglaubliche Meisterschaft in ihrem und über ihr Instrument, dessen Beschränktheit die Virtuosität zu überwinden weiß und hin und wieder zu dem verwegenen Beleg dieses Siegs ganz andere Klangarten fremder Instrumente durchlaufen kann. In dieser Art der Ausübung genießen wir die höchste Spitze musikalischer Lebendigkeit, das wundervolle Geheimnis, dass ein äußeres Werkzeug zum vollkommen beseelten Organ wird, und haben zugleich das innerliche Konzipieren wie die Ausführung der genialen Phantasie in augenblicklichster Durchdringung und verschwindendstem Leben blitzähnlich vor uns.“ (Hegel)


 

Johann Sebastian Bach und die Seinen…

 

Wolfgang Amadeus Mozart. Violin Concertos

Viktoria Mullova | Orchestra of the Age of Enlightenment (2002)

Deutsche Grammophon (Hörprobe)

 

Hilary Hahn plays Bach (2005 und 2018)

Sony Classical (Hörprobe) / Deutsche Grammophon (Hörprobe) / Decca Music Group

 

YouTube-Videos:

- Viktoria Mullova: Wolfgang Amadeus Mozart – Violin Concerto # 1 / Orch. Of The Age Of Enlightenment, 21:02 Min.

- Hilary Hahn: Johann Sebastian Bach – Chaconne, Partita No. 2 BWV 1004, 17:49 Min.)

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