Der Empirismus des Schleiermacherschülers Friedrich Eduard Beneke ruht auf einem genetisch-psychologischen Fundament auf.
Mit seinem 1832 erschienenen Lehrbuch verfolgte Beneke zwei Absichten: Theoretisch fundiertes Wissen sollte mitgeteilt werden. Um allerdings nicht in „unfruchtbarer Abstraktheit“ zu verharren, hielt er es für geboten, dass die Wissenschaft der Logik „stets zugleich auch einer praktischen Anwendung fähig sein“ müsse (IV). Die praktische Anwendung ist die Bewährungsprobe des theoretischen Wissens nicht allein der Logik, sondern u.a. auch der Astronomie, Physik und Chemie.
Benekes Wissenschaftsverständnis ist folglich von seinem Ansatz her ein aufklärerisches. Vor allem aber: es ist an den konkreten Einzelwissenschaften und ihren Ergebnissen orientiert. Aufklärerischer Impetus und ein genetisch-psychologisch ausgerichteter Empirismus waren für Benekes akademisches Fortkommen allerdings, vorsichtig gesagt, nicht gerade förderlich.
Friedrich Eduard Beneke ist am 17. Februar 1798 in Berlin zur Welt gekommen. Er studierte zunächst in Halle/Saale Theologie und Philosophie, anschließend in Berlin u.a. bei Schleiermacher. Er befasste sich zu dieser Zeit neben Kant und Jacobi intensiv mit der neueren englischen Philosophie und fasste bereits sehr früh den Plan einer völligen Reform der Philosophie, welche, im Unterschied zu dem als voraussetzungslos (miss-)verstandenen Hegelschen Philosophieverständnis eines vermeintlich reinen Denkens auf Erfahrung gegründet sein sollte. Er habilitierte sich 1820 und wurde Privatdozent an der Berliner Universität. Beneke veröffentlichte in rascher Folge seine ersten Schriften (Erkenntnißlehre nach dem Bewußtsein der reinen Vernunft in ihren Grundzügen dargelegt (1820), Erfahrungsseelenlehre als Grundlage alles Wissens in ihren Hauptzügen dargestellt (1820), Neue Grundlegung zur Metaphysik als Programm zu seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik (1822), Schutzschrift für meine Grundlegung zur Physik der Sitten (1823) etc.).
Die 1822 erschienene Grundlegung zur Physik der Sitten, ein Gegenstück zu Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, mit einem Anhange über das „Wesen und die Erkenntnisgränzen der Vernunft“ hatte das Verbot seiner Vorlesungen zur Folge. Eine induktiv verfahrende Philosophie wurde von dem Staatsmann des preußischen Kultusministeriums Johannes Schulze nicht geduldet und in der Person Benekes aus dem akademischen Verkehr gezogen. Schulze nämlich hatte 1822 in einem Gutachten erklärt, dass er es „für ganz unvermeidlich“ halte, „daß die Vorlesungen des Beneke suspendiert und ihm überhaupt das Recht, bei irgendeiner einheimischen Universität Vorlesungen zu halten, solange genommen werde, bis er unzweideutige Beweise geliefert haben wird, daß er den furchtbaren Irrtum, in welchen er versunken ist, abgelegt und den Standpunkt gewonnen habe, auf welchem, eben weil es der Standpunkt des Denkers ist, die leere Behauptung, daß es keine allgemein gültigen Wahrheiten gebe, nicht weiter möglich ist.“ (Zitiert nach: Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt a. Main 1986, 74; das folgende Zitat ist derselben Arbeit entnommen.) Punktum.
So geradeheraus kann die Arroganz der Macht sein, wenn sie die Befürchtung hegt, dass eine Physik der Sitten das gesellschaftliche Wertesystem durch Relativismus unterminiere. Also wusste man, gestützt auf ein bestehendes Bundesgesetz, auch Benekes Berufung nach Jena, wo Fries gestorben war, zu vereiteln. Diese bedrängte Situation fand 1827 ein teilweises Ende, als er seine Vorlesungen in Berlin wiederaufnehmen durfte. Nach Hegels Tod erhielt der mittlerweile Fünfunddreißigjährige nun doch eine allerdings unbesoldete außerordentliche Professur. Über diesen Status ist Beneke nie hinausgekommen. Es hat ihm nämlich nichts genützt, dass er unablässig in Form von Vorlesungen und schriftstellerischen Arbeiten tätig war. Ein psychologisch gestützter Empirismus stand ganz einfach dem missliebigen Materialismus eines Feuerbach, Büchner, Vogt oder Moleschott zu nahe. Darüber hinaus: Zwar ist überliefert, dass Beneke im persönlichen Umgang von liebenswürdiger Bescheidenheit war. Allerdings konnte er auch anders und namentlich in seinen Schriften bekämpfte er unerschrocken und leidenschaftlich dasjenige, was er für Irrtum hielt. Das gehörte sich schon damals nicht und zeitigte die bekannten Folgen. Aber Beneke war, anders als Schopenhauer, der, bei ähnlich ausgeprägtem Außenseitertum, alles persönlich zu nehmen geneigt war und folglich über die Missgunst der akademischen Elite und der unverdientermaßen Arrivierten zu schimpfen und zu zetern sich nicht enthalten konnte, abgeklärt genug, den politischen Hintergrund für sein Scheitern zu benennen: der herrschende „‚Zeitgeist‘“ habe „seiner ‚antispekulativen‘ Philosophie ‚kein eben erfreuliches Schicksal‘ beschert“. Beneke ist am 1. März 1854, ohne dass über Veranlassung und nähere Umstände etwas bekannt geworden wäre, tödlich verunglückt.
Weil alle philosophischen Begriffe Erzeugnisse der menschlichen Seele seien, könne nur dadurch, dass man sich Klarheit über die Art ihrer Entstehungsweise verschaffe, Wissen über sie erlangt werden. Darüber hinaus war es Benekes Überzeugung, dass die Philosophie nur dadurch die Allgemeingültigkeit ihrer Lehren herbeiführen könne, dass sie selbst zu einer positiven Wissenschaft werde. Damit wandte sich der, wenn man so will, erste Positivist auf deutschem Boden gegen den Apriorismus und das deduktive Vorgehen der großen Systembaumeister des Deutschen Idealismus vor allem in Gestalt Fichtes und Hegels. An die Stelle dieses Philosophierens aus einem als unbegründbar behaupteten ersten Prinzip habe eine Grundlegung des Denkens in der inneren und äußeren Wahrnehmung zu treten, freilich so, dass zu dieser empirischen Unterfütterung die verallgemeinernde Tätigkeit des Intellekts als ein zweiter, nicht zu vernachlässigender Teilaspekt hinzutreten müsse. Auf der Grundlage dieses gegenseitigen Ergänzungsverhältnisses – Beneke war so gesehen das, wofür Hegel den Aristoteles hielt: ein Empiriker, aber ein denkender – werde die empirische Erkenntnis sich stetig weiterentwickeln. Vor allem aber gelte, dass die Psychologie im System der philosophischen Wissenschaften sowohl der Logik als auch der Metaphysik vorgeordnet sei. Denn nur so sei der einer sachhaltigen Erkenntnis im Wege stehenden formalen Logik fundiert entgegenzutreten, dadurch, dass sie durch die Hereinnahme des Empirischen und der Wahrnehmung sachhaltig gemacht werde. Beneke strebte eine empiristische Erweiterung der traditionellen Logik dadurch an, dass er die Wahrnehmungsproblematik in das Erkenntnisproblem einbezog. Das kann allerdings als ein Rückfall auf einen durchs Denken überwundenen Standpunkt angesehen werden; den eines gedankenlosen Sensualismus’.
Dem Psychologismus ist es geschuldet, dass Beneke für eine genetische Darstellung und Erklärung der Denkformen eintritt. Die zusammengesetzten werden aus den einfachen abgeleitet, womit gewährleistet ist, dass auf Grund dieses demonstrierten Entwicklungs- und Entstehungsprozesses das Auseinanderhervorgehen der fürs Erkennen konstitutiven Elemente auch nachvollzogen werden kann. Auf keinen Fall nämlich sind die Kategorien etwas dem Verstande ursprünglich Angehöriges. Sie sind nichts weiter als die Folge einer notwendigen Entwicklung innerhalb der menschlichen Seele. Philosophische Begriffe sind „Begriffe von psychischen Bildungsformen, die, obgleich nicht vorhanden in der Seele vor ihrer Entwicklung, vermöge derselben mit Nothwendigkeit bei allen Menschen hervortreten“ (23).
Die Logik ist also laut Beneke die Wissenschaft eines empirisch unterfütterten, vor allem jedoch in seiner Entstehungsweise demonstrierten Denkens. Sie ist ausdrücklich keine Grammatik, denn man müsse „durch die sprachlichen Formen“ hindurch dringen „zu den Formen des inneren Denkens, und beide überall scharf aus einander“ halten (11). Denken aber sei nichts Fertiges und ein für alle Mal Gegebenes, sondern sei in einer stetigen Entwicklung begriffen. Vor allem jedoch, dies der praktisch-aufklärerische Aspekt von Benekes Logikverständnis: Denken sei „durch angemessene Vorschriften praktisch zu machen“ (ebd.). Dieser praktische Bezug sei allein schon dadurch gegeben und gewährleistet, dass die Wissenschaft sich nicht in reinem Denken erschöpfe, „kein Spiel mit selbstgemachten Begriffen“ sei, „sondern durchgängig nur das Wirkliche darzustellen“ habe (61).
Dieser Realismus Benekes lässt ihn das induktive Verfahren Mills antizipieren, wenn er in Abwehr der lediglich unterstellten Allgemeinheit reiner Begriffe und Denkformen sagt, dass die „relative Allgemeinheit“ der naturwissenschaftlichen und historischen Urteile, insofern sie „durch die Erfahrungen aller Forscher seit mehreren Jahrtausenden fortwährend bestätigt“ worden sei, keine „Zweifel an der allgemeinen Geltung solcher Erkenntnisse“ aufkommen lasse. Zweifel hieran seien „mit Recht als leere Spitzfindigkeiten“ zurückzuweisen (105 f.).
Benekes Plädoyer für die Induktion ist allerdings, ein verheerendes Urteil über ein als wissenschaftlich behauptetes Verallgemeinern, zirkulär. Denn in seiner Polemik gegen das gerade durch das induktive Verfahren nahe gelegte unendliche Beweisen tritt er, nicht anders als vor ihm bereits Jacobi, Fichte, Schelling oder Krause, für die Evidenz eines unmittelbar Gewissen ein, wenn er sagt: „Denn wodurch anders, als eben durch“ das ohne Beweis Gewisse, „sollte jenes gewiß sein?“ (150). Dass er diesem Zirkel in der Argumentation aufgesessen ist, ist allerdings befremdlich, da er doch andererseits realisiert hat, dass es „ein leeres Hirngespinst“ sei, „eine Wissenschaft, oder gar alles menschliche Wissen, aus Einem allgemeinen Grundsatze ableiten zu wollen; vielmehr müssen den Elementen nach die Grundsätze und Grundanschauungen einer Wissenschaft gerade eben so viel Inhalt haben, als die ganze Wissenschaft“ (151). Dem wird man seine Zustimmung genauso wenig verweigern können, wie dem Hinweis darauf, dass in der Wissenschaft die analytische Methode insofern zum Zuge kommen müsse, als vom Besonderen zum Allgemeinen im Akt der Erkenntnis fortzuschreiten sei.
Nicht allein für dieses Werk Benekes gilt der aus seiner Feder stammende Satz, dass es wert ist, zweimal gelesen zu werden. Für alle Bücher nämlich, auf die das nicht zutrifft, folgt daraus umgekehrt, dass es nicht einmal die Mühe lohnt, sie einmal zu lesen (vgl. 171).
Friedrich Eduard Beneke: „Lehrbuch der Logik als Kunstlehre des Denkens“
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