Die Kunst sich neuen musikalischen Horizonten zu öffnen und Gespür für Zeit und Raum überwindende Kompositionen
Seit vielen Jahren prägt die Saxofonistin, Klarinettistin und Komponistin Silke Eberhard die Berliner Jazzszene und erfährt darüber hinaus große internationale Wertschätzung. So wurde sie vom US-Jazzmagazin Down Beat als „Rising Star Alto Saxophone“ gelistet. 2020 erhielt sie den Jazzpreis Berlin für die Umsetzung ihrer künstlerischen Visionen und den daraus erwachsenen eigenen kreativen Ideen, die auf besondere Art in der Arbeit mit der von ihr geleiteten zehnköpfigen Band 'Potsa Lotsa' ihren Niederschlag finden.
„Das Ensemble ist ein Haufen großartiger Individualisten, die als Kollektiv den Klang von Potsa Lotsa ausmachen“, erklärt Silke Eberhard, die mit dem auf dem britischen Label Leo Records erschienenen Album „Silk Songs for Space Dogs“ im Frühjahr 2020 ihr Debüt mit dem Potsa Lotsa XL-Ensemble vorgelegt hatte. Angetrieben von Silke Eberhards intensiver Auseinandersetzung mit der Musik von Eric Dolphy, entwickelte sich ein Prozess, der die Band zu einer ganz eigenen Interpretation der Werke des legendären Jazz-Avantgardisten animierte. Nicht zuletzt war es die Neugier, die es ihr ermöglichte, dem neu aufbereiteten Material eine Richtung zu geben, die den Aufbruch zu neuen musikalischen Ufern markierten. „Bei Potsa Lotsa schreibe ich nicht für Instrumente, sondern für Persönlichkeiten. So höre ich z. B. nicht irgendein Tenorsaxofon, sondern habe den Klang meines Band-Kollegen Patrick Braun im Ohr.“
Weitere Aktivitäten in 2020 waren u.a. die Einladung an Potsa Lotsa, etliche von Silke Eberhard erfindungsreich neu arrangierte Kompostionen des AACM-Mitglieds Henry Threadgill (Association for the Advancement of Creative Musicians) auf dem Jazzfest Berlin 2020 aufzuführen. Der US-Jazzer und Komponist Threadgill erteilte Silke Eberhard dazu seinen Segen, was sie als besondere Auszeichnung verstand. Ein neues Kapitel in der Bandgeschichte von Potsa Lotsa wurde 2021 mit der Auseinandersetzung mit der traditionellen koreanischen Musik aufgeschlagen. Silke Eberhards Faszination für fernöstliche Klänge mündeten schließlich in die kaleidoskopische Suite mit dem Titel „Gaya“, die sie gemeinsam mit der Gayageum-Virtuosin Youjin Sung aufnahm. Mit all ihrer Spielkunst entfaltet die Saxofonistin prächtige Harmonien und Gegenmelodien, die sich in Kooperation zwischen Band und Solistin mit improvisatorischer Leichtigkeit ihren Weg bahnten und so jedem Set eine individuelle Note verleihen. Der Hörer bleibt davon nicht unberührt, kommt er doch in den Genuss eines außergewöhnlichen Klangerlebnisses. „Ich habe die Komposition am Gayageum geschrieben, alle komponierten Teile für das Gayageum habe ich selbst ausprobiert, gezupft oder gestrichen, natürlich in einem langsamen Tempo. Beim Komponieren hatte ich dabei immer Youjins Klang im Ohr, erklärt Silke Eberhard.
Als sie 2016 für einige Wochen in Hudson, New York, weilte, erweiterte sie ihre musikalische Exploration durch ein Treffen mit der koreanischen Musikerin Min Joung Kim. Die Virtuosin auf der von einem Bogen bestrichenen Zither-ähnlichen Ajaeng, erweckte ihr besonderes Interesse. Zurück in Berlin begab sie sich auf die Suche nach dem Instrument. um die Gelegenheit zu bekommen, wie und wo man darauf das Spielen erlernt. Doch die Suche nach diesem Instrument blieb zunächst erfolglos, bis sie auf das Koreanische Kultur Center in Berlin aufmerksam wurde, wo man ihr Unterrichtstunden für das Erlernen des Gayageums, eine dem Ajaeng ähnliche Wölbbrettzither, anbot. Die Technik des „Nonghyeon“, bei der mit der rechten Hand gezupft wird, während die linke Hand auf der anderen Seite des Stegs die Saite herunterdrückt, um das erwähnte Nonghyeon auszuführen, beflügelte ihre Auseinandersetzung mit der traditionellen koreanischen Musik. Bei der Suche nach einer gebrauchten Gayageum wurde sie in Leipzig fündig. Alsbald nahm sie ihren Unterricht wieder auf, und gab diverse Konzerte mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen.
Als Silke Eberhard 2010 mit ihrer inzwischen zum Septett erweiterten Potsa Lotsa Plus-Band alle 26 vorhandenen Kompositionen des großen Eric Dolphy, neu arrangiert aufnahm, war sie noch ganz dem Werk des 1964 mit nur 36 Jahren in Berlin gestorbenen Multiinstrumentalisten verpflichtet. Vier Jahre später nahm sie mit Potsa Lotsa Plus eine unvollendete Suite von Dolphy auf, an der er bis zuletzt gearbeitet hatte. Das ursprünglich für vier Musiker gedachte Stück „Number Eight“, das den alternativen Namen „Potsa Lotsa“ trägt, ist letztlich auch der Namensgeber der Band.
Im September 2019 besuchte sie ein Konzert zeitgenössischer Musik, gespielt auf westlichen und traditionellen Instrumenten aus China, Japan und Korea und war begeistert von der virtuosen Gayageum-Spielerin Youjin Sung. Sung, die eine ganz eigene Kunst der Improvisation pflegt, fand in Silke Eberhard eine neue Duo-Partnerin, die im gemeinsamen Spiel neue Klangwelten eroberten, zumal die Chemie zwischen den beiden von Anfang an stimmte.
Das neue Duo beschloss, sich im Sommer 2020 zu mehreren Sessions zu treffen, die unter dem Corona-Shut-Down noch ohne Publikum stattfanden. Im Herbst sollte schließlich ihr erster öffentlicher Online-Auftritt im Rahmen des Jazz Korea Festivals stattfinden. Doch die Covid-Restriktion und Sungs Abreise von Berlin nach Seoul, machten dieses Vorhaben zunichte. Schließlich fand man sich via Fernschaltung zu einer Session zusammen, bei der Silke Eberhard in einem Berliner Studio verweilte, während Sung in ihrem Hotelzimmer, dass sie wegen der Quarantäne-Bestimmungen nicht verlassen durfte, mit ihrer Handy-Kamera zugeschaltet war.
Trotz der ungewöhnlichen Art des Musizierens, forcierte es den Wunsch der Saxofonistin, sich mit Potsa Lotsa noch stärker in die koreanische Musik einzubringen. Anfang des Jahres 2021 fand sie sich für zwei Monate in der Münchener Villa Waldberta ein, um sich ganz dem Spiel des Gayageum zu widmen und neue Musik zu schreiben, die schließlich in das „Gaya“-Projekt mündete. Während Sung im Mai 2021 für einige Konzerte mit dem Asian Art Ensemble nach Berlin zurückgekehrt war, plante Eberhard etliche Probeaufnahmen mit Potsa Lotsa XL – unter Mitwirkung von Sung. Wiederum jedoch behinderte die Pandemie einen geordneten Ablauf der Produktion. Was blieb war eine hastig einberufene Aufnahme-Sessions zum Gaya-Projekt. Ihr Instinkt täuscht sie jedoch nicht in der Annahme, dass Sung sich ihres Materials annahm und entscheidend dazu beitrug, dass ein neues aufregendes Kapitel in der Geschichte der Band aufzuschlagen wurde, die neben Silke Eberhard aus Jürgen Jupke (Klarinette), Patrick Braun (Tenorsaxofon), Nikolaus Neuser (Trompete), Gerhard Gschlößl (Posaune), Johannes Fink (Cello), Taiko Saito (Vibrafon), Antonis Anissegos (Piano), Igor Spallati (Bass) und Kay Lübke (Drums) besteht.
Silke Eberhards Musik, Gespür für Zeit und Raum überwindende Kompositionen, die letztlich das Eindringen in das Gayageum-Universum bewirkt, bedeutet für sie und ihre Mitmusiker ein Akt größter Freiheit und schöpferischen Tatendrangs. So entstand die vorliegende komplette Suite, die bestimmt wird von der magischen Gayageum-Kunst. Die Weiche dazu hat die Jetztzeit gestellt.
Potsa Lotsa XL & Youjin Sung – Gaya
Potsa Lotsa XL: Silke Eberhard: Alto Saxophone | Kupke: Clarinet | Patrick Braun: Tenor Saxophone, Clarinet | Nikolaus Neuser: Trumpet | Gerhard Gschlößl: Trombone | Johannes Fink: Cello | Taiko Saito: Vibraphone | Antonis Anisseaos: Piano | Iaor Spallati: Bass | Kav Lübke: Drums & Youjin Sung: Gayageum
Label: Trouble in the east records
Digital + LP (Vinyl erscheint später im Jahr) / 29:29 Min.
VÖ: 25.03 2022
- Weitere Informationen (Homepage Potsa Lotsa)
- Weitere Informationen (Homepage Silke Eberhard)
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