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Jens Düppe: Dancing Beauty Foto Gerhard Richter

Wie kann ein Künstler heute ungebunden und frei arbeiten? Ungebunden ist durchaus möglich – frei arbeiten stößt aus unterschiedlichen Gründen an Grenzen. Eine der Grenzen der Freiheit ist das historische Eingebettet-Sein. Kein Künstler ist losgelöst von der Geschichte und dem Tun der Vorgängergenerationen. Die Freiheit endet zudem an physikalischen und mathematischen Systemen. Die Einschränkungen lassen sich fortführen.

Und dennoch kann der Begriff der „Freiheit“, den Jens Düppe für sein neues Album konstant bemüht, wirkungsvoll eingesetzt werden, zumal wenn er diese bedeutungshoheitlich mit Musik per se in Verbindung bringt. „Musik bedeutet Freiheit!“ Wer mag da wiedersprechen? Die Freiheit liegt im Individuum begründet und in der Chancenauswertung, in der Philosophie und konkret in der Befreiung von realen und vermeintlichen Zwängen. John Cage (1912-1992), einer der wichtigsten Musiker und Künstler des 20. Jahrhunderts hat Freiheit für sich so definiert: „Befreien wir uns von Zwängen, das Beste aussuchen zu wollen. Damit sind unsere Möglichkeiten unbegrenzt, alles wird interessant.“
Interessant wurde diese Befreiung von Zwängen auch deswegen, weil Cage nicht in engen Schubladen dachte und wie selbstverständlich genreübergreifend arbeitete: ein Freigeist eben, der die Musik- und Kunstwelt nachhaltig veränderte – ergänzte, erweiterte und produktive, paradigmatische Veränderungschancen eröffnete. So sind Paradigmenwechsel wichtige Impulsgeber für die Kultur und permanente Horizontverschiebungen. Darauf aufzubauen, sich aus dieser Haltung Anregungen zu holen, dem zitierten Freiheitbegriff nachzuspüren ist ein interessanter Antrieb. Führt wohlmöglich die Befreiung vom Zwang gar zum Besten?

COVER Jens Dueppe Dancing BeautyDer Kölner Jazzmusiker, Schlagzeuger und Dozent Jens Düppe ist ein Suchender, der teilweise recht unkonventionell an die Dinge herangeht.
Paradoxien („Perpetuum Paradox“) gehören gleichberechtigt dazu wie der Frage nach Schönheit („Sleeping Beauty“) nachzugehen. Wann ist etwas schön? Warum lässt die Festigkeit von Haltung nach („Consistence“) und wo ist der Punkt Null („From Zero“) als Ausgangspunkt erreichbar? „Everything We Do Is Music“ klingt nach generalisierter Anschauungsweise, nach systematischem Ausruf, bekommt im Stück rhythmische Gestalt, voller Kraft und Leidenschaft.
Drei Plastiktüten machen Musik, vier Minuten lang, machen Geräusche wie mehr als drei, scheinen zu leben, zu atmen, sich aufzubäumen, verausgaben sich schier. Sie sammeln Energie und gleiten dann wieder in einen ungeregelten Kreislauf ab. Der Sound variiert, weckt Hörerinnerungen von Meeresrauschen, über Regengeprassel bis zum abstrakt-raumgreifenden Geknitter: „Dancing Plastic Bag“. Und zieht sich auch in weiteren Stücken fort. Bettet sich in „From Zero“ ein, nistet hier und dort, will allgegenwärtig sein und doch unaufdringlich bleiben.
„Make Some Noise“ ist nicht nur akustisch zu verstehen, sondern auch als Hinterlassenschaft gemeint, als Aufforderung etwas weiterzugeben und zurückzulassen.
„This Is Not The End“ kommt da nach einer Dreiviertelstunde gerade passend und recht. Es gibt kein Ende! Der Gedanke darf sich immer wieder neu erfinden, die Musik darf es auch. Begleitet vom herrlichen Trompetenklang von Frederik Köster entlässt uns die tanzende Schönheit in die Zeit.

Großartige Stücke von einem großartigen Quartett. Die Musiker gestehen sich gegenseitig Freiheiten zu und offerieren sie uns.

Jens Düppe: Dancing Beauty

Jens Düppe (dr), Frederik Köster (tr), Lars Duppler (p), Christian Ramond (bs)
CD
Label: Personality Records (PR26)/in-akustik/Ordis
EAN: 4260089371132
VÖ: 22.09.2017

YouTube-Video:
"Everything we do is music" - new CD Dancing Beauty (1:56 Min.)


Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Gerhard Richter
CD-Cover

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