Theater - Tanz
„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ nach dem Roman von Joachim Meyerhoff

Zum zweiten Mal wagt sich das Altonaer Theater in Hamburg an ein Buch von Joachim Meyerhoff. Frei nach dem Motto „Bestseller auf die Bühne“. Wie das Buch, so heißt auch der Abend: „Ach diese Lücke, diese entsetzlichen Lücke“. Er scheint noch besser ins Theater zu passen als die in Altona bereits gefeierte Bühnenadaption von Meyerhoffs Roman „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war“, in der er seine Kindheit auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik bei Schleswig wiederbelebt.
Denn hinter dem Goethe-Zitat verbirgt sich ein zugleich liebevoller, schmerzvoller und urkomischer Rückblick auf den Beginn seiner Theaterkarriere an der Otto-Falckenberg-Schule in München und vor allem auf seine Großeltern, in deren großbürgerliche Villa am Schloss Nymphenburg der junge Mann aus Schleswig vorübergehend einzieht.

Henning Bock hat diesen dritten Teil von Meyerhoffs autobiographischer Trilogie „Alle Toten fliegen hoch“ mit Anke Kell dramatisiert und inszeniert, eine Idee, die Meyerhoff selbst schon hatte - und verwarf. Wer einmal Meyerhoff bei einer Lesung erlebt hat, weiß warum. Der am Wiener Burgtheater verdingte Autor und Schauspieler ist selbst die Show, die seinem literarischen Alter Ego zum Höhenflug verhilft. Sein literarischer Trick, der nicht einfach umzusetzen ist: Wir hören immer zwei Meyerhoffs. So unmittelbar, so anrührend, brutal und humorvoll wie Meyerhoff 1 mit den unschuldigen Augen eines Kindes und des später jungen Erwachsenen, Meyerhoff 2, auf die Welt mit ihren schrägen Typen schaut, muss man erstmal spielen können.

Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke nach dem Roman von Joachim MeyerhoffEine traurige Wahrheit ist das, die sich an diesem Abend offenbart. Weder die geliebten, mondänen und spleenigen Großeltern noch die sonderbaren, durch Meyerhoffs scheinbar einfältigen Blick entlarvten Lehrer und Angeber an der Schauspielschule werden im Altonaer Theater lebendig. Nein, hier sehen wir nur das Großelternehepaar von Hannelore Droege und Gerhard Palder in bester Boulevardmanier parlieren und parieren.
„Mooaahh“, der Schlachtruf und das Losungswort seiner Großmutter im Buch, einer ehemaligen Schauspielerin und Grand Dame, der je nach Lage der Dinge freudiges Erstaunen, blankes Entsetzen, große Überraschung, Bewunderung oder Abscheu, immer jedoch die ganz großen Gefühle auszudrücken vermag, geht meist im Wortgeplänkel unter. Großvater Hermann, emeritierter Philosoph, bekommt wenig überraschend einen Auftritt, in dem er Joachim über den Sinn des Lebens aufklärt.

Das, was Meyerhoffs Texten in feinen, sehr genauen Beobachtungen quasi eingeschrieben ist, das unablässige Schwirren zwischen Komik und Tragik, wird auf der Bühne säuberlich zerlegt, zementiert und verliert damit seinen Zauber. Was bleibt? Der tiefsinnige Philosoph und die immer noch textsichere Aufsagerin ihrer früheren Rollen. Klischees.

Das Leben der Großeltern als Bohemiens von gestern entdeckt der Enkel als Abfolge seltsamer und stilvoller Rituale: Bereits am Morgen mit der Mundspülung beginnen sie zu trinken, gehen beim Frühstück zum Champagner über, Mittags gibt es Weißwein, um sechs einen Whiskey, zum Abendessen Rotwein und vor dem Schlafengehen Cointreau. Wenn sie klassische Musik hören, legen sie sich, an den Händen haltend, auf den Teppich. Meyerhoff ist jedes Mal sturzbetrunken, wenn er einen Tag mit den Alten verbringt, während diese ihm völlig nüchtern erscheinen. Was bleibt davon auf der Bühne? Verschiedenfarbige Getränkespender-Automaten links, aus denen angeblich Wein oder Likör gezapft wird und ein Joachim, der bei Florens Schmidt so blass dasteht wie Musils Mann ohne Eigenschaften - auch wenn er mal einen Glitzerfummel für die Schauspielschule tragen muss.

Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke nach dem Roman von Joachim MeyerhoffGrotesk verzerrt erscheinen folgerichtig auch das Personal und die Mitschüler der Otto-Falckenberg-Schule, von Isabell Fischer, Hanna Stange, Kai Hufnagel und Thore Lüthje mehrfach besetzt. Sie behaupten ihre Komik vor allem durch ihre Kleidung und Perücken, die allesamt wie das Ergebnis einer Anfrage an den Fundus wirken: Sucht mal was schön Verrücktes raus. Hinderlich ist der Inszenierung auch das Bühnenbild, bestehend aus einem Riesensofa mit rosa Rankenmuster neben einem Flügel vor einer Mustertapete, das nicht nur die Sicht, sondern auch die Spielfläche reichlich versperrt anstelle sie zu bereichern. Eine sinnleere Montage aus Loriots Lieblingsmöbel und Gullivers Reisen, die Humor und Surreales zusammenzwingen will.

Das einzige, was wirklich funktioniert an diesem Abend und die Auswahl der Episoden aus dem Buch einigermaßen zusammenhält, ist das Klavierspiel von Matthäus Winnitzki.

Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Nach dem Roman von Joachim Meyerhoff
Zu erleben bis 24.3.2019 im Altonaer Theater, Museumstraße 17, 22765 Hamburg
Informationen zur Anfahrt
Tickets unter Tel.: 040 3990 5870
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Szenenfotos G2 Baraniak

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment