Theater - Tanz
Malkovich - von Kessel - Sturminger - Haselböck: Just Call Me God - Foto Jann Wilcken

Vor diesem John Malkovich habe ich Angst, wirklich, echte Angst. Vor diesem John Malkovich wie er dort als Satur Diman Cha auf der Bühne steht, da gruselt es mir bis hinein in sämtliche Knochen.

Wahrscheinlich ist das ein Lob auf die Schauspielkunst des 63-jährigen Amerikaners mit den deutschen, kroatischen und schottischen Vorfahren, dieses aparten gelassenen, in Jeanshemd und -hose gewandeten, perfekt auch französisch sprechenden, mit seinen nackten Füßen in schwarzen Sportschuhen steckenden, eine nach veganem Leder aussehende über die Schulter lässig gehängte Umhängetasche tragenden weißhaarigen immer noch attraktiven Typen. Ihn durfte ich zwei Tage vor der Uraufführung bei einem Pressegespräch in der Cafeteria der Elbphilharmonie sozusagen privat (als Schauspieler) zusammen mit einigen anderen PressekollegInnen erleben.
Die Cafeteria der Elbphilharmonie: dieser geschmackvoll schlicht gehaltene Raum mit der durchgehenden bodentiefen Fensterfront zur Elbsüdseite hin (also nicht in Richtung Speicherstadt, sondern mit Blick geradewegs auf chemische Industrie, links mit Blick in Richtung Hafenmuseum, nach oben in Richtung Himmel und Horizont und Sonne bis hinüber in die Schwarzen Berge).

Vor der Fensterfront hatten sie Platz genommen, die drei Master des offiziell Musik-Theaterstück genannten Multimediaplays „Just Call Me God“, dessen Welturaufführung ich gerade im großen Saal der Elbphilharmonie sehen, miterleben, durchleben durfte. Zusammen mit dem vierten Mann im „Am Runden Tisch“, dem Generalintendent der Elphi, Christoph Lieben-Seutter, saßen die drei Künstler dort: John Malkovich, der große amerikanische Schauspieler, Martin Haselböck, der weltbekannte österreichische Dirigent und genialer Organist und Michael Sturminger, der Wiener Autor, Regisseur und Produzent des Stücks über die ‚Final speech of a dictator' mit namens „Just Call Me God“.

Galerie - Bitte Bild klicken
Michael Sturminger, aus dessen Feder das Werk geflossen war, saß dort an der Fensterfront vor gleisendem Licht, Martin Haselböck zu seiner Rechten, und eben John Malkovich (vor dem mir immer noch gruselt) zu seiner Linken. Dieser Schauspieler, mit einem Faible sowohl für äußerst anspruchsvolle dramatische aber auch für diabolische, ja durchgeknallte Typen wie den Marvin im Hollywood-Streifen „R.E.D.“, den durch berufliche LSD-Experimente schwer in Mitleidenschaft gezogenen Ex-FBI-Agenten als Kollegen von Bruce Willis, Helen Mirren und Morgan Freeman. Malkovich, der im Interview ganz eindeutig sagt: „Yah, I wouldn’t hesitate to call them insane!“; er würde nicht zögern sie (und damit waren Diktatoren an und für sich gemeint), als verrückt, ja, krank zu bezeichnen. Er selbst habe aber, das will er die Journalisten auf Nachfrage glauben machen, nicht die geringsten Anteile eines Diktators in sich, es läge ihm nämlich nicht das Geringste an Macht allgemein und im Besonderen nichts daran, irgendjemandem zu sagen, was er zu tun habe, wie er zu leben habe; er selbst sei viel zu sehr mit seinem eigenen Leben, mit seiner Arbeit beschäftigt, als dass er auch nur einen Gedanken daran verschwenden würde, andere zu beeinflussen – allerdings wolle er seinerseits auch von absolut niemandem gesagt bekommen, was er wie zu tun habe. Letzteres glaube ich ihm gerne aufs Wort, das erste kann ich ihm nicht ganz glauben. Ich glaube ihm nicht, dass er nicht gerne Autorität ausübt (immerhin hat er Kinder, die er erziehen mußte), er der soviel natürliche Autorität selbst in diesem Pressegespräch ausstrahlt, dass ich selbst tatsächlich ein wenig irgendwie „eingeschüchtert“ bin (dabei bin ich beruflich überhaupt nicht und nie schüchtern) und mir dreimal und sehr gut überlege, was ich ihn wie frage, weil ich das Gefühl habe, wenn ihm etwas nicht passt, dann ist mit dem Mann bestimmt nicht gut Kirschen essen. Der lässt sich auf nichts ein, was ihm nicht passt! Natürlich habe ich keinerlei Beweise dafür, obwohl, von einem Kollegen auf seine Gewohnheit angesprochen, nicht zu Wahlen zu gehen, bemerkt Malkovich sehr jovial und wie ich eben finde, sehr ausweichend und sich nicht wirklich einlassend, er halte das System oder die Frage der Mitbestimmung durch Wahlen für zumindest „schwierig“ und so gebe er sich mit dem zufrieden, was seine „fellowcitizens“ wählen würden. Sagt er uns da die Wahrheit? Ich weiß es nicht.

Und so geht es mir auch, als er eben behauptet, rein gar nichts von einem Diktator in sich zu haben, denn das kann man ja auch leicht behaupten, wenn das eigene Wort qua natürlicher Autorität und erworbenem Schauspielruhm soviel in der Welt der Kunst gilt, dass beispielsweise „Just Call Me God“ als Auftragsarbeit für die Elbphilharmonie entstehen konnte, ohne dass dem Künstlertrio anscheinend irgendwelche Auflagen gegeben wurden. Sie hätten frei agieren können, fast wie im Impro-Theater bei der Kreation des Stücks, so auch Martin Haselböck im Einzelinterview. Und Michael Sturminger freut sich, dass mit dem grossen Namen Malkovich die dritte Produktion ihres Trios überall auf offene Türen gestossen sei und sie künstlerisch hätten in bewährter Manie wirklich kreativ ungebunden schreiben und musikalisch und schauspielerisch agieren können. Ohne Macht geht das eigentlich nicht.

Zurück zum Stück und warum mir das alles so nahe geht: Nun war ich also am 8. März abends in der Welturaufführung von „Just Call Me God“ im Großen Saal der Elbphilharmonie, 15. Etage, Sekton K, Reihe 1, Platz 8.

Erstens: Sicht auf Bühnenbild und Orgel gut, mittig, einwandfreier Überblick.
Zweitens: Ton phantastisch, Orgelsound grandios, fast schockierend gut, überwältigend, erschütternd, durch Mark und Bein dringend, bewegend, technisch und emotional optimal, ja superoptimal umgesetzt von Martin Haselböck, diesem großartigen österreichischen Organisten, Orchesterleiter, der an und für sich schon eine Legende im Musikbusiness ist. Die elektronische Orgelverfremdung, Tonüberlagerung, musikalisch- elektronisches Mediamixing durch den Sounddesigner Franz Danksagmüller ebenfalls grandios...

Dritttens: John Malkovich in Zwiesprache mit der genialischen Orgelperformance, von schauspielerisch ungeschlagener, unschlagbarer Authentizität in perfekter, purer Machtenergie sich badend, getragen von phonetisch, gestisch, emotionell und emotional intra- und extrapersonaler Verwandlungsgröße, ist gigantisch: verführerisch, brutal, ‚bösartigst', intellektuell klug, emotional stehengeblieben: ein echter Diktator! Wow!

Viertens: Ein hochinteressantes, kenntnisreiches, an guten Pointen reiches, auf historische und aktuelle Situationen referierendes Stück, dem es nicht an Humor fehlt, welchen das Publikum auch in Lachsalven zu goutieren weiß: beispielsweise Auftritt und Gewehrsalven des Diktators verkleidet als Putzfrau mit Kopftuch, Zitate des Diktators von anderen Diktatoren wie „Just call me God“ (das auf den Ugandischen Diktator Idi Amin zurückgeht). Schenkelklopfer wie „diese private Konzerthalle wurde weit vor dem offiziellen Fertigstellungsdatum fertig“ „sieht aus wie die Oper von Sydney“ „dieser Saal ist doch eine exakte Kopie der Konzerthalle in Hamburg, der Elbphilharmonie!“ oder Entrüstungen des Malko-Diktators wie „Schon gleich am Anfang wieder diese Fake News!“ „Journalisten töten mit ihren Kameras“ etc. etc. etc. Doch auch „philosophisch“ anmutende Einlassungen über die Frage, was ist Macht, hat Sturminger in den Text des Musikdramas oder Multimediamixtheater eingebracht; die meiner Meinung nach Schönste davon: „Macht ist die Währung in der man die Welt dafür zahlen lässt, was sie einem angetan hat.“ „Just Call Me God“ also eine gut überlegte, gut recherchierte Textvorlage von Michael Sturminger, die unsere politische Realität in Gestalt der üblichen Verdächtigen plus der neuen Verdächtigen längst in ihrer Absurdität und ihrer Kraft der Verängstigung eingeholt hat.

Eigentlich möchte ich inhaltlich darüber hinaus gar nicht näher auf das Stück eingehen, denn der bloße Inhalt macht es nicht zu dem, was es ist. Das Trio Malkovich - Haselböck - Sturminger, das schon mit „The infernal Comedy“ 2009 über den Grazer Serienkiller Jack (Johann) Unterweger und mit den 2011 Casanova gewidmeten „Giacomo Variations“ die gleiche Mixtur aus Schauspiel - Musik - Text - Installationen mit großem weltweitem Erfolg vorführte, hat nun wieder etwas absolut Sehenswertes – weil Echtes und in dieser Konstellation Einmaliges – geschaffen.

Das Stück über das gewaltsame Ende der Ära eines Diktators irgendwo in der Wüste, in seinem unterirdischen privaten Konzertsaal, „der“, so eben Malkovich als Satur Diman Cha, „der lange vor dem offiziell angestrebten Fertigstellungsdatum fertig war“ und „der irgendwie der Hamburger Elbphilharmonie ziemlich ähnlich ist, die aber ja, wie man weiß erst viel später fertig war“, dieses Stück hatte eigentlich alles: schrecklich schöne, verführerische, abgründig diabolische, auch psychoanalytisch paraphrasierede Monologe, ironisch bis sarkatisch überhöhte Rezepte dafür wie einer zum Diktator, zum Unmenschen, zum Wahnsinnigen wird.

„Just Call Me God“ hat ein optimales Bühnenbild, ein witziges, interessantes Setting, tolle Bühnenklamotten, vor allem für Malkovich: Am Anfang kommt er als kopftuchtragende Putzfrau mit einem riesigen „Putzwagen“ auf die Bühne „seines“ Konzertraumes und erschießt mit einigen MG-Salven (hier fällt dem Zuschauer vor Schreck über diese überraschende Aktion fast das Programmheft aus der Hand) die in seinen unterirdischen Konzertsaal eingedrungenen Soldaten und die Reporterin, die ihn allesamt suchen und ihn stellen wollten. Alle tot (scheinbar); nur der an der Orgel sitzende Militärpastor Referend Lee Dunklewood aka Martin Haselböck, himself, kommt davon, der soll nämlich für den von den Klängen der Orgel besessenen Diktator Satur Diman Cha spielen, die Musik soll den Hintergrund für seine dunklen Reden, für seine Geschichten aus der Jugend bilden, oder für sonst irgendetwas, je nach Befehl des inzwischen ins Ornamentische des Militärs gewandeten John Malkovich, inklusive lakierten Nägeln mit einem Pulk von schweren Ringen an den Fingern, schwarzen Glitzerschuhen und dem üblichen schwarzen Machthaber-Uniform-Anzug mit zahlreichen Bling-Bling-Orden.

Der Dialog zwischen den aufrührenden philantropischen, teils wahnwitz- und -sinnigen Reden Malkovichs und den musikalischen Phantasmen des genialen Orgelspielers Haselböck hätte wahrhaft großartig werden können, hätte da nicht eine dritte Stimme „dazwischengefunkt“.

Also: Das Stück war interessant. Die Musik war grandios. John Malkovich war brilliant, doch Sophie von Kessel, die als Journalistin den „Putzfrauen-Angriff“ des verkleideten Diktators doch überlebt hat, war lediglich Sophie von Kessel. Leider habe ich ihr keine einzige Emotion, keine einzige Reaktion, keine einzige Bewegung abgenommen, obwohl ich sie mag. Und ja, natürlich ist es verdammt schwer neben John Malkovich auch nur irgendwie zu bestehen. Aber wer sich in die Höhle des Löwen begibt, kommt eben doch so manches Mal darin um. Das ist ja das unsichere Geschäft, das Brot des Schauspielers.

Nach dieser Aufführung bewegt mich die Frage: Warum, um Himmels Willen hat Sophie von Kessel die Rolle bekommen. Besser wäre es da gewesen, John Malkovich hätte das Ding alleine „gewuppt“. Er (vor allem als Diktator!) braucht sowieso keinen „Stichwortgeber“, um zu glänzen. Und drehbuchmäßig hätte das der begnadet witzige eloquente, intelligente Michael Sturminger locker ohne zweite Hauptsprechrolle hinbekommen, auch wenn ich zugeben muß, dass in der geschriebenen Bühnenfassung die Rolle der Journalistin, die die einzelnen Persönlichkeitsanteile des Satur Diman Cha herauskitzelt, ins Extreme lenkt, provoziert und gegensteuert und aus Reaktion versucht Aktion zu kreieren, dass die geschriebene weibliche Rolle eigentlich im Grunde sehr interessant ist. In der Theorie.

Schade. In der Aufführung war die Rolle störend. Irgendwie ist es dadurch trotz grandioser Musik und erschreckend authentischer Emotionalität des großen Malkovich nur ein mittelgroßartiges Stück gewesen.

Wie sagte ein Zuschauer auf dem Balkon der Bar im 12. Stock nach der Aufführung zu mir: „Also ich bin zwar ein Kulturbanause, aber wissen Sie was ich denke? Ich denke, hätte ich das Stück in einem Hinterhoftheater in Altona gesehen, dann hätte ich es vielleicht weiterempfohlen!“ Ein anderer, sehr gut auf Malkovich und das Stück vorbereiteter, charmanter älterer Herr, der hinter mir im Saal saß, sagte: „Der Malkovich ist genauso wie er spielt, das ist er. Ihm glaubt man alles. Er ist großartig!“ und eine junge Frau, die froh gewesen war, noch eine Restkarte ergattert zu haben, war von der Musik und Malkovich genauso begeistert wie ich, aber ebenso erstaunt über Sophie von Kessels Performance und meinte, das müsse man auch so sagen dürfen, es gäbe ja noch mehr deutsche Schauspielerinnen, sie meinte zum Beispiel Maria Schrader unter den Zuschauern in der ersten Reihe direkt vor der Bühne gesehen zu haben und sagte: „Die hätte ich gerne noch weiter vorne gesehen! Wieso die Sophie von Kessel das spielen durfte, das ist mir ein Rätsel!“ Ja, manches versteht man nicht, aber vielleicht alle anderen? Text und Musik, ich muss es nochmal betonen, witzig, emotional, bewegend, spannend, im Zusammenspiel wirklich beeindruckend und total füreinander geschaffen; auch die Verfremdungen der Musik durch den Digital-Ton-Magier Franz Danksagmüller. Alles perfekt: Bühnenbild und Kostüme (Renate Martin und Andreas Donhauser), Idee. Einfach alles.

Vielleicht hätte einfach John Malkovichs Angriff am Anfang nur der Organist überleben sollen, das hätte gereicht.
Sophie von Kessel in ihrer Rolle als Journalistin hat meiner Meinung nach nicht nur nichts zum Stück beigetragen, sondern das Stück geschwächt; die Power und Genialität der musikalischen Leistung von Martin Haselböck und die schauspielerische Grandezza und Authentizität von John Malkovich hätten als sich hochschaukelndes sich befruchtendes ins Genialische das Stück steigernde dialogisches „Schau-Spiel“ Bestes, ja Allerbestes erreicht. Durchbrochen und gebrochen durch Sophie von Kessels „Spiel“ konnte Genialität nicht erreicht werden. Die Aufführung blieb meiner Meinung nach hinter ihrem Potential zurück: Das ist einfach ein Naturgesetz, dass die beste Substanz nicht besser, sondern schlechter wird – die Homöpphaten mögen es mir verzeihen – wenn man sie verdünnt. Das ist hier passiert. Und ganz ganz ehrlich: Das macht mich sehr sehr traurig. Und natürlich tut es mir auch andererseits leid, was ich hier über eine Schauspielerin schreibe (schreiben muss), aber ich will nicht lügen als Journalistin, ich mag keine Fake News. - Und ich weiß leider nicht wie Sophie von Kessel da hineingeraten ist. Und vor allem nicht zu welchem Zweck.

Ich jedenfalls gratuliere den drei Herren Malkovich - Sturminger - Haselböck ganz herzlich und da ich gehört habe, dass das nächste Projekt bereits in Planung ist, freue ich mich auch schon auf den nächsten Coup des kongenialen Trios. Sie beweisen immer wieder: Aller guten Dinge sind drei: die Drei.

 „Just Call Me God“
Malkovich - von Kessel - Sturminger - Haselböck
Video
 
Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: © Jann Wilken
Header: John Malkovich „Just Call Me God“
Galerie:
01. John Malkovich / Sophie von Kessel
02. Martin Haselböck
03. und 04. John Malkovich / Sophie von Kessel
05. und 06. John Malkovich
07. Michael Sturminger und John Malkovich im Pressegespräch. Foto: Cornelia Schiller.

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment