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Kristo Šagor: Das Modell, das „MaxundMurx“ zu Grunde liegt, ist „Der Fremde“ von Camus. Es gibt die Täter und die Tat, aber wir bekommen keine Erklärung. Wir werden in philosophischer Hinsicht auf ihre schlichte Existenz zurückgeworfen. Allerdings können wir uns schnell darauf einigen, dass Gewalt etwas mit Lieblosigkeit zu tun haben muss und dass das Gegenmodell nur die Liebe sein kann. Aber ich finde es spannend, diese ganz nackte Form von Gewalt, wie bei „MaxundMurx“, im Kontext dieses philosophischen Grundgedankens des Versagens von Erklärungsmustern zu sehen.
Klaus Schumacher: „MaxundMurx“ nimmt durchaus eine Sonderstellung ein. Es handelt sich um eine Gewaltsatire, um eine Art Meta- und Gegenstück zu den Jugendgewaltstücken, die es massenweise gibt, und die sich bekannter sozialpsychologischer Erklärungsmuster bedienen. Wir haben während der Proben viel über „Funny Games“ von Michael Haneke gesprochen. Die beiden Täter sagen dort: „Er hat ein schwieriges Elternhaus, er ist als Kind geschlagen worden“. Dann blinzeln sie in die Kamera: „Das stimmt gar nicht. Das ist doch totaler Quatsch, wir haben einfach Lust.“ Die Lust kann aus dem Nichts kommen und schon sind wir in einem universellen Menschenverständnis, weil es nicht den einen Grund für die eine Tat gibt. Ich finde es wichtig, das zu begreifen. Gewalt steckt in jedem von uns, und natürlich kämpfen wir gegen unsere inneren Dämonen an.
Barbara Bürk: Aber kann man ein Stück auf Kinder und Jugendliche loslassen, das keine Auswegsmöglichkeiten zeigt? Oder wie weit kann man gehen in einer düsteren Bestandsaufnahme von Wirklichkeit? In „MaxundMurx“ wird ja kein wirklicher Ausweg gezeigt.
Klaus Schumacher: Doch. Der Zuschauer kann das Fehlen von Liebe und Zuneigung erleben. Und also ist schon eine Lösung mitgedacht. Man darf nie vergessen, dass der Zuschauer selbst als aktiv gedacht werden muss. Ein Stück muss ihm keine eindeutige Botschaft servieren.
Barbara Bürk: Ich finde aber, dass das ein bisschen vom Alter abhängt. Ich glaube schon, dass ein Kind bis zu einem gewissen Alter die Möglichkeit eines Auswegs braucht. Kinder können zwar viel durchstehen. Darauf bauen ja auch Märchen: Es gibt einen grausamen Plot, aber am Ende kommt die Rettung. Ab einem bestimmten Alter können Zuschauer sich die Gegenmodelle sicher selbst denken. Aber wohl noch nicht mit acht oder zehn, das kommt erst später. Deswegen finde ich „Das Buch von allen Dingen“ gut; es bietet am Ende eine Lösung an.
Kristo Šagor: Ich würde da auch eine Grenze zwischen Kindern und Jugendlichen ziehen. Die Frage, wie man Gewalt darstellen kann, und ob es einen Lösungsvorschlag geben muss, kann man aber genauso gut auch an den Abendspielplan stellen.
Klaus Schumacher: Ich glaube, dass das den Zuschauer entmündigt. Spätestens ab dem Jugendalter ist der Zuschauer in der Lage, eigene Positionen zu beziehen. Die schönsten Stücke der Theatergeschichte enden in der Katastrophe, und dennoch geht man nicht damit nach Hause, sondern man denkt weiter und darum geht es.
Barbara Bürk: An „MaxundMurx“ hat mir gefallen, dass die Künstlichkeit der Darstellung zunimmt, je krasser die Gewaltszenen werden – und sie bekommen eine wirkliche Schönheit. Die „Gewalt-Choreographie“ hat großen ästhetischen Reiz. Dadurch wird deutlich, dass es Menschen, die Gewalt ausüben, im Sinne einer Allmachtsphantasie, wirklich Spaß machen kann, Gewalt auszuüben. Das eröffnet einen anderen Blick auf das Phänomen Gewalt, als ein rein moralischer Zugriff.
Kristo Šagor: Gewalt ist gewissermaßen eine eigene Sprache: Wie ein Irrtum einen weiteren provoziert, provoziert Gewalt weitere Gewalt. Es handelt sich um ein selbstreferentielles System, das in sich geschlossen ist, wie eine Prophezeiung oder ein Regelkreis. Noch ein Gedanke zu „Sagt Lila“. Der Clou der Inszenierung liegt in der Unschuld der Darstellung. Die beiden Hautfiguren sprechen die vulgärsten Sätze als würden sie von einer tollen Idee sprechen. In Bezug auf Schubertlieder ist mir das mal aufgefallen. Da wurde über das „Wirtshaus“ in der „Winterreise“ gesagt: Es sei ein Dur, das jenseits des Molls liegt. Man kann das höhnisch deuten: Es tut so, als sei es ein Dur, aber in Wirklichkeit ist es ein fieses Moll. Ich glaube, so funktioniert Gewaltdarstellung im Theater. Je netter es scheint, je liebenswürdiger der Täter sich gibt, desto größer die Wirkung.
Klaus Schumacher: In dem Film „Lektionen in Finsternis“ von Werner Herzog werden brennende irakische Ölfelder gezeigt und dazu Wagnermusik gespielt, dieses Bild der Zerstörung entfaltet eine unheimliche, fast transzendentale Schönheit. Die Lust an der Zerstörung scheint etwas universell Menschliches zu sein. Auch wenn man Kinder beobachtet, stellt man das fest.
Kristo Šagor: Das rein Ästhetische ist amoralisch. Es ist weder in die eine noch in die andere Richtung festlegbar. Ich denke da auch an Stanley Kubricks „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben.“. Am Ende betrachten wir in ästhetischer Kontemplation, wie sich – zu wunderschöner Musik – die Atompilze zu ihrer vollen Blüte am Horizont der Menschheit entfalten.
Kristo Šagor,
wurde 1976 in Stadtoldendorf geboren und ist Theaterautor und Regisseur. Seine Stücke wie Dreier ohne Simone, Federn lassen, FSK 16 und Trüffelschweine gehören zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum. Er erhielt zahlreiche Preise, u. a. den Dramatikerpreis des Thalia Theaters Halle und den Publikumspreis des Heidelberger Stückemarktes. Er inszeniert u. a. in Mannheim, Halle, Berlin und Bochum. Seine Inszenierung von FSK16 wurde zum Kinder- und Jugendtheaterfestival Augenblick mal! eingeladen, und er gewann in diesem Jahr den Deutschen Theaterpreis "DER FAUST" für seine Inszenierung von "Törleß" am Jungen Schauspielhaus Hamburg. In der Spielzeit 2008/2009 ist er künstlerischer Leiter im Theater unter Tage des Schauspielhauses Bochum.
Klaus Schumacher
1965 in Unna geboren, studierte angewandte Kulturwissenschaften in Hildesheim. Er ist Schauspieler, Autor und Regisseur. Zunächst war er Ensemblemitglied am „moks“ des Bremer Theaters, als er dort die Leitung übernahm, wurde es zu einem der renommiertesten Kinder- und Jugendtheater. Seit 2005/2006 ist er künstlerischer Leiter des Jungen Schauspielhauses Hamburg. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. gewann er den Hamburger Rolf-Mares-Preis und den Deutschen Theaterpreis „DER FAUST“ für seine Inszenierung von „Mutter Afrika“. Mit Inszenierungen wie „Kampf des Negers und der Hunde“ in Stuttgart und „Das Fest“ in Bremen konnte er auch im sog. Abendspielplan auf sich aufmerksam machen. Zuletzt inszenierte er Shakespeares „Was ihr wollt“ und „Vorstellungen!“, die Adaption eines dänischen Mehrteilers, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
Barbara Bürk
1965 in Köln geboren, studierte Regie an der Theaterakademie Spielstatt Ulm. Sie war in dem Ensemble von Ivan Stanev, dessen Arbeiten vom Hebbel-Theater Berlin mit Theatern aus Hamburg, Amsterdam und Sofia koproduziert wurden. Barbara Bürk arbeitete als Regieassistentin bei Frank Castorf, Christoph Marthaler und Dimiter Gotscheff am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mit Inszenierungen wie „Disco Pigs“ in Stuttgart, „Totentanz“ in Hannover und „Ganze Tage – Ganze Nächte“ in Basel konnte sie auf sich aufmerksam machen. Ihre Inszenierung von Lutz Hübners Familiendrama „Hotel Paraiso“ wurde zum Theatertreffen 2005 eingeladen. In dieser Spielzeit inszeniert sie am Jungen Schauspielhaus mit „Das Buch von allen Dingen“ ihr erstes Kinderstück.
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