Musik

2009 ist das Jahr der vielen Widmungen: Zum 250. Mal jährt sich der Todestag von Georg Friedrich Händel, Felix Mendelssohn Bartholdy wäre 200 Jahre alt geworden und Joseph Haydn starb vor 200 Jahren, am 31. Mai 1809.

Anlass genug sich über den Letztgenannten mit einem Experten zu unterhalten:

 

Claus Friede (CF): Was interessiert Sie an der Musik Joseph Haydns im Allgemeinen und was im Besonderen?

 

Jean-Guihen Queyras (JGQ): Es gibt sehr viele Facetten bei Haydn, die für mich faszinierend sind und insbesondere die Mischung dieser einzelnen Facetten sind es, die ihn einzigartig machen. Man hört an seiner Musik zum einen, dass Joseph Haydn ein gebildeter Mensch war, aber er war auch gleichzeitig frech für die damalige Zeit: Er machte Scherze mit seinem Publikum, wie das übrigens auch Johann Sebastian Bach tat. Außerdem, und das macht dies noch deutlicher, Haydn hat über 100 Sinfonien geschrieben und es gibt nicht eine einzige, in der nichts Unerwartetes passiert. Es geht ihm nicht jedes Mal um eine neue Erfindung, sondern um Unerwartetes, mit den Tempi, mit Harmonien und Klängen. Seine Kompositionen haben im Aufbau Esprit und ich empfinde sie auch überwiegend sehr sinnlich. Und hier sind wir dann auch wieder beim Klang. Für mich ist es wichtig, eine Art Originalklang bei Haydn zu erzeugen, das habe ich auch bei meiner Aufnahme der Cellokonzerte mit Orchester C-Dur und D-Dur versucht umzusetzen.

 

CF: Unerwartet - diesen Begriff benutzten Sie gerade. Sie haben sogar Filmmusik eines Werkes von Alfred Hitchcock im Violoncellokonzert D-Dur entdeckt und diese Passage kurz vorgespielt und in der Tat: Genauso klang es.
Joseph Haydn sagte einmal über sich selbst und seine Arbeit bezüglich der Tatsache, dass er auf dem Lande lebte und arbeitete und für das Hause Esterházy auf deren Landsitz im heutigen Ungarn komponierte: „Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden." Eine bemerkenswerte Aussage, denn für mich stellt sich gleich eine grundsätzliche Frage: Braucht ein Komponist wie auch ein Interpret nicht den permanenten Austausch, um überhaupt durch Vergleichbarkeiten und Kommunikation zu seiner eigenen Sprache zu finden?

 

JGQ: Ich finde es ganz toll, dass Sie diese Aussage von Haydn hier zitieren, denn dieses Problem stellt sich wirklich. Vielleicht haben wir manchmal auch zu viel Austausch und den Zwang, in eine bestimmte Gruppe gehören zu wollen oder das Bedürfnis, einer Kompositionsrichtung anzugehören. Das begrenzt auch den individuellen Mut. Ich glaube Haydn brauchte diese Einsamkeit, er wäre vielleicht nicht so experimentell, im besten Sinn des Wortes gewesen, wenn er viel Kontakt zur Außenwelt, zu Kollegen und Kritikern gehabt hätte.

 

CF: Ich stellte die Frage auch vor dem Hintergrund, dass andere Komponisten genau den Mangel an Austausch beklagen, weil sie durch räumliche, politische oder sonstige Gegebenheiten oder Gängelungen unfreiwillig in diese Situation gerieten.

 

JGQ: Ja, es ist immer die Frage, ob man sich freiwillig in eine solche Lage begibt oder ob es eine Zwangssituation ist.

 

CF: Haydn war in gut drei Epochen zu Hause: im Hochbarock, im "Sturm und Drang" und in der "Wiener Klassik". Was damals durchweg üblich war, hat auch Haydn praktiziert, nämlich sich Elementen aus dem Folkloristischen und Pseudo-Folkloristischen zu bedienen. Warum war es so wichtig für die damaligen Komponisten, sich diesen Zitaten anzunehmen?

 

JGQ: Ja, es war üblich, musikalische Anleihen zu nehmen. Anhand der verschiedenen Menuettformen bei Haydn kann man diese Frage ganz gut erläutern. Es gibt die, die ich als sehr ernst und „höflich“ bezeichnen würde und dann gibt es in seinen frühen Werken die bodenständigen, fast bäuerlichen kompositorischen Stellen bei ihm. Aber es sind nur recht wenige, denn er benutzte diese Elemente nicht direkt. In den rein klassischen Werken hört man diese Art eigentlich nicht, diese sind sozusagen klar und rein, sie haben eine Art musterartige Perfektion. Diese reinen Klassikstücke sind manchmal fast einschüchternd, sowohl für die Interpreten als auch für die Zuhörer und alles andere als Folkloristisch. Ab und zu hat man das Gefühl, man schaffe es kaum an das Stück heranzukommen. Insbesondere wenn Haydn eine, ich nenne es einmal „direkte Sprache“ benutzt und hier gilt es, diese Situation zu überwinden. Ich versuche dann, einen eigenen Zugang zu schaffen, einen Zugang der durch Farbigkeit entsteht, für die Musik selbst und für das Publikum.



Auszug aus einem 35-minütigen Gespräch im Studio E der Laeiszhalle Hamburg, anlässlich des Konzertes Resonanzen 3 „Haydn-Variationen“ des Ensemble Resonanz, am 14. Januar 2009.

Jean-Guihen Queyras wurde 1967 im kanadischen Montreal geboren. Er studierte am Conservatoire Supérieur Musique et de Danse de Lyon in Frankreich und erhielt Stipendien für die Musikhochschule in Freiburg/Br., für die Juilliard School of Music und das Mannes College of Music in New York. Schon früh erhielt er Auszeichnungen u. a. im Jahr 2002, den City of Toronto Glenn Gould International Protégé Price in Music als Protégé des Glenn-Gould-Preises.
Queyras war mehrere Jahre Mitglied des von Pierre Boulez gegründeten Ensemble InterContemporain. Er tritt seither mit bedeutenden internationalen Orchestern auf und arbeitet auch kammermusikalisch.
Queyras' Repertoire umfasst die klassische und romantische Literatur ebenso wie zeitgenössische Kompositionen. Er ist gegenwärtig Professor für Violoncello an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.

Weitere Konzerttermine 2009 in Deutschland mit Jean-Guihen Queyras:
20. Juni: Kloster Maria Bildhausen, Bad Kissingen
21. Juni: Schloss Ludwigsburg, Ordenssaal
03. und 04. September: Audimax der Ruhruniversität, Bochum
06. September: Theater Coesfeld


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