Musik
Maria Callas – zum 40. Todestag am 16. September 2017

Ingeborg Bachmann erahnte es Anfang 1956, als sie in der Mailänder Scala Maria Callas, die einzige Person erlebte, „die rechtmäßig die Bühne in diesen Jahrzehnten betreten hat, um den Zuhörer unten erfrieren, leiden, zittern zu machen".
Die Schriftstellerin erlebte, wie Violetta in „La Traviata" in den Taumel der Liebe und in den Abgrund gestürzt wurde und hatte gefühlt, dass die Sängerin „die Ärmste, Heimgesuchteste nicht Rollen gesungen, sondern auf der Rasierklinge gelebt" hat.

Maria Callas, damals auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Primadonna Assoluta der Scala, hatte bereits mit 15 Jahren auf der Bühne gestanden und an den Opernhäusern Italiens, Argentiniens, Mexikos und in Athen Aufsehen erregt durch phänomenale Technik, Musikalität, Ausdrucksbesessenheit. Sie sang neben den dramatischen Verdi- und Puccini-Rollen auch Wagners Isolde, Brünnhilde, Kundry. Sie holte in die virtuosen Partien des Belcanto Ausdruck, Drama, Charakter. Im Singen der Callas gewannen diese jahrzehntelang vergessenen Partien wieder Spannung zurück. Sie verband die Technik der Virtuosa mit dem Volumen und Temperament der großen dramatischen Sängerin, gab dem Canto fiorito, dem verzierten Gesang, Kraft, Farbe und Affekt.

Kaum eine Sängerin hatte solch unerhörte, irritierende Vielfalt von Stimmen, die in sich schon Echo innerer Dramen waren: die bronzene Gewalt der Lady Macbeth, die empfindsame Traviata-Stimme, die mädchenhaft zarte Gilda-Stimme, die herzzerreißend dunkle der Giaconda und den furiosen Schrei der Medea. Manche Mitschnitte lassen ahnen, welche klanglichen Lavaströme sie emporschleudern konnte. Sie sang Töne oft weit jenseits des Schöngesangs. Ihr Timbre, dieses eine und einzigartige, erkennen die Callas-Süchtigen aus Hunderten von Stimmen nach ein paar Takten, und die Stimme, sagen sie, habe in einem osmotischen Prozess des Verschmelzens mit der Figur immer einen anderen Charakter angenommen. „Man konnte plötzlich durch Jahrhunderte durchhören" schrieb Ingeborg Bachmann.

Die Erinnerung, so geht die Fama, lege noch immer einen Schimmer von Glück auf die Gesichter derer, die sie erlebten. Ein geheimnisvoller Magnetismus sei von der Künstlerin ausgegangen, ihre Aura unerklärlich gewesen. Sie verzauberte die Zusehenden und Zuhörenden durch ihre äußerste Konzentration in der Bewegung – vollkommen eins mit der Bewegung der Musik. Die Kunst, Spannung und Entspannung zu reflektieren, brachte sie zur Vollendung – Kongruenz zwischen Wort, Musik und szenischem Ausdruck. Und im Entstehen eines Augenblicks habe man schon dessen Vergehen geahnt – in der winzigen Veränderung des Vibratos, diese Art, wie der schon verlassene Ton nachschwingt.

Der Callas Ruhm, die in ihren Rollen aufbegehrende und kämpfende, sich verweigernde und rächende Frauen – Lucia, Norma, Anna Bolena, Medea – verkörperte, wuchs bald über die Oper hinaus. Die „Tigerin" wurde gnadenlos durchleuchtet von den Medien der Welt. Ihre Fehden mit der Primadonna Renata Tebaldi füllten ganze Zeitungsspalten, ihre Absagen und Prozesse, ebenso ihr Krach mit Rudolf Bing, dem Direktor der New Yorker Met oder ihre Stimmkrise in der römischen Oper, die sie zwang, eine Aufführung abzubrechen und den italienischen Staatspräsidenten samt aller Minister in der Pause heimgehen zu lassen.

Ende der 50er-Jahre sprang die Callas aus ihrer Onkelehe mit dem Fabrikanten Battista Meneghini in eine Liaison mit dem Reeder Aristoteles Onassis, ein aus kleinsten Anfängen nach oben Gekommener auch er, de-emanzipierte sich, arbeitete weniger, sang weniger. Dann, nachdem Onassis sie 1969 wegen Jackie Kennedy verlassen hatte, kam sie als Regisseurin in Turin noch einmal beachtlich heraus, demonstrierte Details alter Größe bei einer Arientournee mit Guiseppe di Stefano, dem Partner aus glanzvollen Tagen. Mit einer Meisterklasse für junge Sänger an der New Yorker Julliard-School gelang ihr das Angemessene: die nachfolgende Sängergeneration studierte sie, versuchte sie nachzuahmen, maß sich an ihr.

Glücklos lebte sie, die auf Ovationen Angewiesene, noch ein paar Jahre in ihrer Pariser Luxuswohnung, sich immer mehr zurückziehend. Am 16. September 1977 ist Maria Callas gestorben, 53 Jahre alt. Der Film- und Theaterregisseur Werner Schroeter, in den letzten Jahren gelegentlich bei ihr, rief ihr nach: „In ihrer Ausdruckskraft konnte sie die Zeit so lange stehen lassen, bis jede Angst verschwand, auch die vor dem Tode selbst, und ein dem, was man Glück nennen konnte, ähnlicher Zustand erreicht wurde."


Abbildungsnachweis:
Header-Collage: (links) Publicity photo of Maria Callas as Violetta in La Traviata at the Royal Opera House (1958) by photograph Houston Rogers (rechts) Urnengrab der Callas auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris.

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