„Herzog Blaubarts Burg“ und „Senza Sangue“: Expeditionen in die Abgründe der Seele
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
„Herzog Blaubarts Burg“ von Belá Bartók ist ein düstere Kurzoper. In der Staatsoper Hamburg wird sie mit Péter Eötvös’ „Senza Sangue“ aufgeführt, einer zweiten Kurzoper, die eine mögliche Vorgeschichte erzählt. Zusammen ergibt das einen schlüssigen, großartigen und bejubelten Opernabend.
Es passiert nicht oft, dass nach einer Opernpremiere das Publikum für fünf, sechs, sieben lange Sekunden den Atem anhält. Sekunden, in denen man die Intensität des eben Erlebten fast mit Händen greifen kann, bevor dann der befreiende Applaus auf die Mitwirkenden einprasselt. Ohne das kleinste Buh – auch das in Hamburger Staatsoper-Premieren eine Seltenheit. Das Experiment, Béla Bartóks Kurzoper „Herzog Blaubarts Burg“ durch „Senza Sangue“, eine vorangestellte zweite Kurzoper des Zeitgenossen Péter Eötvös zu erweitern, ist auf eine fesselnde Art aufgegangen.
Dabei ist es sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig, wie da auf der Bühne Existenzielles verhandelt wird. Bei Eötvös trifft eine Frau einen alten Mann. Nach und nach setzt sich aus ihren Dialogen ein Puzzlebild ihrer Vergangenheit zusammen: Er gehörte zu einer Partisanengruppe, die vor einem halben Jahrhundert einen verhassten Unterstützer des „Systems“ und dessen Sohn ermordet hat. Er war der Bewaffnete, der unter einer Falltür die kleine Tochter entdeckte und – berührt von ihrer kindlichen Unschuld – am Leben ließ. Ein kurzer Moment der Begegnung nur, und doch hat er beider Leben massiv verändert.
Die anderen Mitglieder des Mordkommandos kamen später auf mysteriöse Weise ums Leben, der Überlebende hat viele Jahrzehnte darauf gewartet, dass auch ihn die Rache für das Kriegsverbrechen ereilt. Und jetzt tritt die Frau, die das Kind unter der Falltür war, in sein Leben, aber nicht als Rächerin – sie sucht Erklärung. Und Versöhnung.
Für die Handlung hat der russische Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tscherniakov ein Straßencafé an einer nebligen, fast unwirklichen Kreuzung entworfen, einen unpersönlichen Durchgangsort, über dem eine Ampel sinnlose Signale für ein paar Fußgänger in Zeitlupe gibt. Dort machen die beiden den Versuch, die Erstarrung ihrer Seelen aufzubrechen. Ein schmerzhafter Prozess, denn so vieles blieb unausgesprochen, die Schuld lastet so schwer auf ihm wie die Zerstörung ihrer Familie und Kindheit auf ihr, alles blieb tief in der Seele eingesperrt. Deformiert hat es beide.
Bilder aus dem zerbrochenen Innenleben der Figuren
Das Publikum wird Zeuge des Kampfes widerstreitender Gefühle – was wird die Oberhand behalten: die Verletzungen, der Verbrechen, die Rache? Ist das, was beide über sich und ihre Gefühle singen, die Wahrheit? Oder wenigstens ein Teil der Wahrheit? Kann es eine Versöhnung geben? Oder siegen die Ängste und das Verdrängte?
Eötvös geht in seiner Komposition (uraufgeführt 2015) expressiv und packend über Bartók hinaus, seine Klänge sind Bilder aus dem zerbrochenen Innenleben der beiden Figuren, mal schrill, mal beängstigend ungewiss, mal und sanft illustrierend. Sie trumpfen nicht auf, sie dienen der Geschichte, ergänzen sie, verraten, was ihre Protagonisten nicht zu sagen wagen. Mit Angela Denoke leistet sich die Staatsoper eine Luxusbesetzung: Sie singt die Partie der Frau mit warmen, weichen Bronzeton, kann aber auch drängend dramatisch klingen oder kühl und abwehrend und dazu bis in feinste Nuancen überzeugend spielen. In Sergei Leiferkus hat sie einen würdigen Partner, der das Aufbrechen des Verdrängten glaubhaft macht, das Verstockte, das zaghafte Öffnen, schließlich den Drang zu reden, ein Ende zu finden für das böse Spiel der Dämonen der Vergangenheit. Er tut das bis in Feinheiten seiner Stimme hinein, und man mag nicht glauben, dass der Russe in diesem Jahr schon seinen 70. Geburtstag feiern konnte.
Vieles an der Geschichte, die auf einer Novelle des italienischen Autors Alessandro Baricco basiert und in Hamburg ihre deutsche szenische Erstaufführung erlebt, bleibt mit Absicht im Nebel des Ungefähren. Ob die Frau tatsächlich die Rächerin war; ob der Mann tatsächlich geglaubt hat, mit Gewalt eine bessere Welt aufbauen zu können. Wer weiß, was da Wahrheit ist? Man singt das aneinander heran, aber im Grunde bleiben es zwei Fremde, verbunden nur durch den Zufallsmoment an der Falltür.
Um so überraschender der Wunsch, den die Frau am Ende der sieben Szenen von „Senza Sangue“ äußert: Sie will mit ihm schlafen – gleich, jetzt. Die Aussöhnung körperlich machen. Aber kann das ein neues Miteinander begründen, oder muss es ein verzweifelter Liebesversuch bleiben?
Diese Burg ist Blaubarts Seele
Ein Video zeigt die Beiden auf dem gemeinsamen Weg in ein Hotel. Wieder ein unpersönlicher Durchgangsort. Ein Weg, der direkt in „Herzog Blaubarts Burg“ führt, über die Bartóks Librettist Béla Balász gesagt hat: „Meine Ballade ist die ‚Ballade des Innenlebens’. Blaubarts Burg ist keine wirkliche Burg aus Stein. Diese Burg ist seine Seele. Sie ist einsam, dunkel und verschlossen: die Burg der verschlossenen Türen.“
Eine Burg, die keine wirklich Burg ist, kann alles sein – auch ein Hotelzimmer. Im engen Guckkastenformat, das gerade mal ein Viertel der schwarzen Bühne öffnet. Tscherniakov reduziert die Bilder drastisch. Ein gewagtes Spiel: Es gibt keine feuchten Wände, keine sieben eisernen Türen. Alles, was im Text erzählt wird und was man szenisch zeigen könnte, entsteht mithilfe der Musik im Kopf der Zuschauer: Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, Garten, Ländereien, der Tränensee und schließlich die drei vorigen Frauen Blaubarts. Dazu das heller werdende Licht. Es ist eine einschnürende Enge für die beiden Figuren und ein erdrückender Zwang, sich aufeinander einzulassen. Verblüffend der geradezu magische Augenblick, als die Wände des Hotelzimmers sich dann optisch öffnen und kurz den Blick auf eine wunderschöne Sommerlandschaft freigeben. Als wäre die Erlösung hier zum Greifen nah.
Es ist die logische Fortsetzung des Liebesversuchs am Ende von „Senza Sangue“, dieser Versuch Judiths, die verkarstete Seele Blaubarts durch Liebe aufzuschließen und wieder lebensfähig zu machen – und so auch die eigene Einsamkeit zu beenden. Blaubart, der eben noch einen Selbstmordversuch unternahm, lässt sich auf das Experiment ein, unter Schmerzen lässt er Judith eine Tür nach der anderen aufschließen, es wird heller, immer heller in der Burg. Bis seine und ihre Ängste die am Ende doch Oberhand gewinnen – hinter der siebten Tür sind keine toten Frauen verborgen, sondern es ist die Erkenntnis, dass Liebe endlich sein kann und immer Gefahr läuft, irgendwann zur Erinnerung zu erstarren. Blaubarts Erlösung – sie findet nicht statt.
Am Ende, zu Bartóks verhauchender Musik, scheint der schicksalhafte Moment auf, in dem alles begann: der Blick in die Augen des zusammengekauerten Kindes unter der Falltür, dessen Blick auf den Mann, der Todesgefahr und Rettung zugleich ist. Die Blicke stellen Fragen, Antworten muss jeder für sich selbst finden. Ist Liebe die Lösung? Gibt es überhaupt einen Weg zur Versöhnung? Oder können das nur die Zeit – und der Tod?
Für die beiden Protagonisten Claudia Mahnke und Bálint Szabó ist das ein kräftezehrender Dauerclinch, ein Ringen um die Befreiung von Ängsten und den Gespenstern der Vergangenheit und um einen gemeinsamen Anfang, den beide – optisch im Gewand des Paars aus „Senza Sangue“ – mit Bravour und höchster Konzentration meistern. Da gibt es kein Beiwerk, das trifft alles ins Herz.
Bartók schrieb für seine einzige Oper Musik, der man seine große Begeisterung für Richard Strauss anhört, dem er 1902 begegnet ist. Die Bewunderung für dessen expressive und innovative Tondichtungen, aus denen dann die unerhörten Eruptionen von „Salome“ und „Elektra“ erwuchsen. Auch Bartók kann feingewebt kammermusikalisch klingen, impressionistischen Klangglitzer aufblitzen lassen, er beherrscht den großen romantischen Harmoniefluss, in den er brutale Dissonanz-Gewitter einbrechen lässt. Die Philharmoniker lassen sich von Péter Eötvös am Dirigentenpult hörbar freudig durch die musikalischen Wechselbäder der großen Gefühle leiten.
„Senza Sangue“ und „Herzog Blaubarts Burg“ sind keine fernen Märchen, die nur im Spielraum der Oper leben können. Es sind fatal lebendige Geschichten aus den Kriegen der Gegenwart – denen um Macht, Geld und mörderische Wahrheiten und denen zwischen zwei Menschen um Gefühle, Verletzungen. Und um einen Funken Hoffnung.
Ein großer und höchst hörens- und sehenswerter Opernabend!
Péter Eötvös: Senza Sangue / Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Dramaturgie: Johannes Blum
Video: Tieni Burkhalter
Keine Pause - In italienischer bzw. ungarischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Unterstützt durch die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper
Staatsoper Hamburg, Großes Haus, Dammtorstraße 28, 20354 Hamburg
Preise: 6,00 EUR bis 97,00 EUR
Weitere Vorstellungen: 9.11., 15., 19., 23., 26. und 30. November, jeweils 19:30 Uhr. Karten im Internet oder telefonisch: (040) 3568 68
Weitere Informationen
YouTube-Video:
Im Gespräch mit: Péter Eötvös
(4:18 Min.)
Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: Monika Rittershaus
Header1: „Senza Sangue“ - Angela Denoke, Sergei Leiferkus, Kompaserie
Header2: „Herzog Blaubarts Burg“ - Claudia Mahnke, Bálint Szabó
Galerie:
01. „Senza Sangue“ - Kompaserie, Algela Denoke, Sergei Leiferkus
02. „Senza Sangue“ - Sergei Leiferkus, Angela Denoke
03. „Senza Sangue“ - Angela Denoke, Sergei Leiferkus, Kompaserie
04. „Herzog Blaubarts Burg“ - Bálint Szabó, Claudia Mahnke
05. „Herzog Blaubarts Burg“ - Bálint Szabó, Claudia Mahnke
06. „Herzog Blaubarts Burg“ - Claudia Mahnke, Bálint Szabó
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