Musik
Hamburgische Staatoper: La Fanciulla del West von Giacomo Puccini

Geglückte Ausgrabung: An der Hamburgischen Staatsoper wird in „La Fanciulla del West“ vorgeführt, wie Puccini für seinen Italowestern die Opernmusik von der Sängerbegleitung zum eigenständigen, die Handlung vorwärtstreibenden Element, fast schon zur Filmmusik werden lässt. Ein spannendes Stück, überzeugend inszeniert.

„La Fanciulla del West“, das ist eine Oper wie ein Western. Goldgräber, Gangster, der Sheriff und die resolute Saloon-Lady des „La Polka“ - sie alle sind aus ihrer früheren Welt gefallen, haben sich vom Lockruf des Goldes anziehen lassen und träumen nun im winterlichen Kalifornien von der alten Heimat, vom großen Geld, von der großen Liebe. Der Italiener Giacomo Puccini hat das Western-Sujet nach seinen Welterfolgen „La Bohème“, „Tosca“ und „Madama Butterfly“ geschrieben.

Am 10. Dezember 1910 ging „La Fanciulla“ zum ersten Mal über die Bühne: In der alten Metropolitan Opera von New York, die erste Oper überhaupt, die an der Met ihre Welturaufführung erlebt. Am Dirigentenpult steht Arturo Toscanini, die männliche Hauptrolle singt Weltstar Enrico Caruso.

Bis nach Hamburg braucht die Goldgräber-Oper nur etwas über zweieinhalb Jahr. 1913 kam sie hier zum ersten Mal heraus, erlebte 1931 eine Neuinszenierung und verschwand dann in der Versenkung. Bis sie jetzt, kurz vor dem Ende der Ära Simone Youngs als Intendantin, wieder ausgegraben wurde.

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„La Fanciulla del West“ hat nie einen so direkten Zugang zu den Herzen ihrer Zuhörer gefunden wie Puccinis andere Werke, die späte „Turandot“ eingeschlossen. Zu wenige große Ohrwurm-Arien, lautet ein Verdikt. Auf tenorale Compilations schafft denn es regelmäßig auch nur die vermeintliche Abschiedsarie „Ch’ella mi creda“ von Gangster Ramerrez/Johnson, der gleich darauf aufgeknüpft werden soll. In Hamburg schlägt sich Carlos Ventre in dem Caruso-Part wacker, kann strahlend in die Höhe steigen, aber öfter auch gleich darauf mit zu wenig Stütze in der Intonation hörbar wackeln. Emily Magee als Minnie glänzt mit einer warmen, weichen Höhe und entwickelt in den tieferen Lagen unvermittelt metallene Schärfen. Was manchmal zur Rolle passt, manchmal nicht so ganz.

Puccini hielt „La Fanciulla“ für seine beste Partitur
Dafür ist der Männerchor der Goldgräber – der am Anfang minimale Koordinationsschwierigkeiten mit dem Orchester hat – wesentlicher Handlungsträger, dem Puccini mit acht kleinen Solo-Rollen Gesichter und Charaktere gegeben hat. Die männlichen Protagonisten bleiben eher blass in der Zeichnung: Der Sheriff, der sich selbst Hoffnungen auf die trink- und bibelfeste Saloon-Wirtin Minnie macht, ist ein etwas hölzerner Vertreter von Recht und Ordnung (grundsolide gesungen von Andrzej Dobber), dem Wells-Fargo-Agenten (Tigran Martirossian) gibt die Partitur kaum Kontur, Sonora (Davide Damiani) als Stimme der Versöhnung fällt noch positiv auf. Maestro Carlo Montanaro fächert mit den Philharmonikern eine fein differenzierte und suggestiv eingesetzte Klangvielfalt auf, leider manchmal auf Kosten der Sänger, wenn ihnen die Instrumente zu wenig Raum lassen. Das Publikum bedankte sich in der zweiten Vorstellung nach der Premiere mit anhaltendem und ausgesprochen freundlichem Applaus.

Dabei sind die Meinungen über das Werk seit der Uraufführung in New York durchaus geteilt. Und selbst 105 Jahre später sind in Hamburg immer noch etliche Abwanderungen in der Pause zu beobachten. Puccini hielt „La Fanciulla“ für seine beste Partitur; der damalige Met-Chefdirigent Arturo Toscanini sprach von „einem großen symphonischen Gedicht“. Neutöner Anton Webern berichtet 1918 seinem Lehrer Arnold Schönberg aus Prag begeistert: „Eine Partitur von durchaus originellem Klang. Prachtvoll. Jeder Takt überraschend. Ganz besondere Klänge. Keine Spur von Kitsch!“ Während Stravinsky später ätzt: „...ein Pferde-Opern-Spektakel, außerordentlich geeignet fürs Fernsehen, mit einem Marshall Dillon und professionellen Indianern.“

Zuhörer und Kritiker kritisieren einen Mangel an großen ohrwurm-tauglichen Arien. Sie hören immer wieder allersüßeste Puccini-Bonbons und werden gleich drauf mitgerissen in musikalische Turbulenzen, die irritieren. Aber nur, wenn man nicht hört und sieht, dass Puccini in diesem Werk der Musik eine ganz andere Funktion zuweist als die, einen angenehmen Klangteppich für die Sängersolisten auszurollen. Puccini verlagert in diesem Stück den Schwerpunkt: Die Musik malt die Handlung aus, sie ist selbstständiger Erzähler zu den Bildern auf der Bühne, ist fast schon so etwas wie – Filmmusik. Es fällt uns nur schwer, diesen Rollenwechsel beim Betrachten einer Opernbühne mit lebendigen Sängern mit zu vollziehen.

Puccini schrieb Musik wie für einen Film
Puccinis Experiment ist unerhört und muss irritieren. Nicht war seine Handlung damals noch höchst aktuell. Der Goldrausch in Kalifornien lag 1910 zwar 60 Jahre zurück, aber gerade mal zwölf Jahre war es her, dass am Klondyke River in Alaska Menschen aus aller Herren Länder unter ähnlich harten Bedingungen auf eine goldene Zukunft hofften. Der Autor der Schauspielvorlage „The Girl of the Golden West“ von 1905, David Belasco, kam in San Francisco zur Welt, wo seine britischen Eltern sich selbst Goldgräber versuchten. Das garantiert einen soliden Wahrheitsgehalt im Geschehen und in den Charakteren jenseits eingeschliffener Western-Mythen und Legenden. Zeitgenössische Oper also, gerade richtig für Puccini, den Meister des Verismo.

Die Bilder hatten 1910 zwar schon laufen gelernt und werden bei Vorführungen vom Pianisten oder dem Kino-Orchester mit handgemachter Musik unterlegt, die wie bei Puccinis „Fanciulla“ gerade dort dramatisiert, wo es keine Dialoge zu begleiten gilt.

Die Filmemacher verstehen Puccinis Idee. Seine Oper wird nur fünf Jahre später zum ersten Mal verfilmt, vom noch jungen Cecil B. DeMille – es war die Zeit der ersten abendfüllenden Spielfilme. 15 Jahre später wird Charlie Chaplin übrigens ein ähnliches Thema drehen: „Goldrausch“ – auch das noch ein Stummfilm.

Wie im Film, so steht auch in Puccinis Oper die Handlung steht im Mittelpunkt. Sie faltet das große Drama auf, das die Zuschauer ergreifen soll. Sehr viel weniger gefragt ist die Introspektion ariensingender Figuren an der Rampe. Arien bremsen die Action, der quirlige Chor der Goldgräber treibt sie vorwärts. In Filmen gibt es aus gutem Grund keine Arien, und gute Filmmusik drückt aus, was unsagbar und unfilmbar ist.

Puccini beschränkt sich bei seiner Komposition nicht auf italienischen Opernwohlklang; er recherchiert akribisch, sucht sogar echte Indianermusik, studiert Ragtime, beschäftigt sich mit Gospel – all das fließt in seine musikalischen Bilder mit ein. Die schönen Melodien, mit denen er seine früheren Erfolge erzielt hat, gibt es auch noch, aber sie werden nicht mehr als Arien-Ereignis inszeniert. Sie wirken fast sogar, inmitten des musikalischen Aufbruchs, ein bisschen old-fashioned.

An eine Filmkulisse erinnert übrigens auch das Bühnenbild von Vincent Lemaire, es behauptet die Orte, die es zeigt, führt sie als eher abstrakte Kulisse vor. Es erinnert an die ersten Filmaufnahmen, die in Studios entstanden sind. Perfekt für Regisseur Vincent Boussard, dem es ebenfalls ja nicht auf einen realistischen Italowestern ankommt, sondern auf die zufällig im Westernmilieu spielenden Konflikte in dem engen Dreieck Geld, Reichtum und Liebe. Und die stellen Fragen nach Schuld und Unschuld, nach gesellschaftlicher Rolle und Eigeninteresse, nach Wahrheit und Spiel, das im entscheidenden Moment auch mal falsch sein kann.

Wenn man es schafft, diese Perspektivwechsel von Puccini und Boussard mitzugehen, dann ist „La Fanciulla del West“ ein hinreißendes und überzeugendes Stück Oper mit einer enormen Dichte, Dramatik und musikalischen Intensität. Am Ende stehen dann auch nicht die Hauptpersonen mit ihrem ersterbenden „Addio“ im Vordergrund – der märchenhaft gerettete Gangster und Minnie, die alternativlos an die große Liebe glaubt. Sondern der Chor der Goldgräber, der enttäuscht seine Reihen vor ihnen schließt. Für Illusionen ist da wenig Platz.

La Fanciulla del West. Oper von Giacomo Puccini.
Hamburgische Staatsoper, Dammtorstraße 28). Aufführungen am: 10.2., 13.2., 18.2., 21.2., jeweils 19:30. Karten unter (040) 3568 68 und im Internet unter www.staatsoper-hamburg.de


Abbildungsnachweis: © Hamburgische Staatsoper. Alle Fotos: © Brinkhoff/Mögenburg
Header: Emily Magee
Galerie:
01. La Fanciulla del West von Giacomo Puccini, Szene mit Emily Magee und Carlo Ventre
02. Carlo Ventre, Emily Magee, Andrzej Dobber
03. Emily Magee, Andrzej Dobber
04. Carlo Ventre, Emily Magee.

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