Ensemble Resonanz und Matthias Höfs: Grüße zum 300. Geburtstag von CPE Bach
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Aufregende Avantgarde: Ensemble Resonanz spielt die Hamburger Sinfonien.
Als Baron van Swieten, Sohn des Leibarztes von Maria Theresia, Gesandter der Kaiserin in Berlin und Musikliebhaber, 1770 in Berlin eintraf, war er enttäuscht, den großen Bach dort nicht mehr zu finden. Carl Philipp Emanuel hatte die Dienste des Preußen-Königs Friedrich II. zwei Jahre zuvor nach 30 Jahren verlassen und war dem verlockenden Ruf nach Hamburg gefolgt, um dort die Nachfolge von seines Taufpaten Georg Philipp Telemann anzutreten. Der war 47 Jahre lang für das Musikleben der Hansestadt verantwortlich gewesen als Kantor am Johanneum und Musikdirektor der fünf Hauptkirchen.
CPE Bach atmete in Hamburg auf – befreit von den Beschränkungen des Dienstes als musikalischer Lakai und mokiert sich rückblickend: „Weil ich meine meisten Arbeiten für gewisse Personen und fürs Publikum habe machen müssen, so bin ich dadurch allezeit mehr gebunden gewesen, als bey den wenigen Stücken, welche ich bloß für mich verfertigt habe. Ich habe sogar bisweilen lächerlichen Vorschriften folgen müssen.“
In Hamburg ist er geachteter Teil der künstlerischen und intellektuellen Welt, hat Freunde unter Kaufleuten und Adligen. Van Swieten besucht den berühmten Komponisten und Klaviervirtuosen mehrfach in Hamburg. Der Baron komponiert selbst, allerdings ist über die Qualität seiner Sinfonien vor allem Haydns bissige Bemerkung überliefert, sie seien „so steif wie er selbst“. Van Swieten, der 1777 in Wien Präfekt der Kaiserlichen Hofbibliothek wurde und dort berühmte musikalische Soireen veranstaltete, die vor allem den Werken Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels gewidmet waren, gab bei CPE Bach 1773 sechs Sinfonien in Auftrag. Und dafür befreite den Komponisten schon vorab von allen Beschränkungen, indem er sich ausbat, der möge kühn komponieren und nicht „auf die Schwierigkeiten Rücksicht nehmen, die daraus für die Ausübung nothwendig entstehen müssen.“
Ein wunderbarer Auftrag, den Bach mit Freuden annimmt. Er schreibt die sechs „Hamburger Sinfonien“ Wq. 182 – es sind Werke eines avantgardistischen freien Geistes, der mit Lust die Grenzen der damaligen Konventionen überschreitet. Johann Gottfried Reichardt, der bei einer ersten privaten Probeaufführung in Hamburg erste Geige spielte, erinnert sich noch 40 Jahre später: „Schwerlich ist je eine musikalische Composition von höherm, keckerm, humoristischerm Charakter einer genialen Seele entströmt.“ Und schreibt: „Wenn die Ideen auch nicht ganz deutlich wurden, so hörte man doch mit Entzücken den originellen, kühnen Gang der Ideen, und die große Mannigfaltigkeit und Neuheit.“
Glaubte Lessing noch: „Eine Sinfonie, die in ihren verschiednen Sätzen verschiedne Leidenschaften ausdrückt, ist ein musikalisches Ungeheuer“, so packt Bach genau das an. Er schreibt neu und revolutionär. Und lässt seiner Fantasie jenseits von Regeln und festen Formen freien Lauf. Das macht die Hamburger Sinfonien zu Prüfsteinen für jedes Ensemble, bei denen man bis heute beobachten kann, dass sie überwiegend bemüht sind, die Schroffheiten der Werke wieder einzufangen und für das Ohr des Zuhörers zu glätten.
Das „Ensemble Resonanz“ geht mit seiner neue Aufnahme der „Hamburger Sinfonien“ einen ganz anderen Weg: Der Geiger Riccardo Minasi, der große Erfahrung als Konzertmeister in vielen hochkarätigen Ensembles mitbringt und die Werke mit den Hamburgern einstudiert hat, erklärt seine Sichtweise im hoch informativen CD-Booklet so: „Die sechs Sinfonien, die Bach für van Swieten komponiert hat, sind absolut verrückt. Man kann förmlich in jedem Takt Bachs Absicht spüren, sich als „enfant terrible“, als rebellischer Sohn (filio rebel) zu gerieren. Er versucht, sich selbst auf die exzentrischste Art und Weise zu präsentieren. Er hat große Mühe darauf verwendet, jeden möglichen musikalischen Affekt zu zeigen. Um das zu tun, schneidet er nicht die Verbindung zur Vergangenheit ab, sondern er spielt mit ihr, beginnend bei der italienischen Tradition des frühen 18. Jahrhunderts.“
Er sucht in der Musik geradewegs dieses Rebellentum, die Kontraste, Brüche und Bizzarerien auf und präpariert sie sorgfältig heraus. „Man sollte die Partitur so genau wie möglich respektieren und die Paradoxien und Kontraste so gut wie möglich unterstreichen, die der Komponist darin formuliert hat.“
Das Ensemble Resonanz, für das Kontraste Alltag sind und zum Programm gehören, und das in vielen Musikstilen bestens zuhause ist, folgt Minasi da mit Freuden und macht diese beim kleinen Hamburger Label Es-Dur erschienene Aufnahme zur wohl aufregendsten CD, die anlässlich des 300. Geburtstags des Hamburger Bachs erschienen ist.
Es spielt die Streichersinfonien als schiere Avantgarde-Musik. Es klopft erst einmal alle Lehmschichten getrockneter Konvention ab, die unsere Ohren verstopfen. Und spielt Bachs Noten dann kompromisslos, mit harten, knalligen Akzenten, verblüffenden harmonischen Rückungen, dynamischen Abstürzen ins subito piano und abrupten Stimmungswechseln, rasenden Tempi in allerhöchster Präzision und Leidenschaft und Hochspannung. So entstehen die Vorahnungen künftiger Klangwelten, die sich dann in Beethovens späten Streichquartetten wiederfinden, in den derben Späßen der Scherzi in seinen Sinfonien. Bach spielt virtuos mit plötzlichen Brüchen zwischen lieblichen Klängen und widerborstigem Dreinfahren. Lotet schon mal die emotionalen Tiefen der späten Mozart-Sinfonien aus. Wobei die grandiosen Resonanz-Musiker größte Sorgfalt darauf verwenden, Dissonantes und Grelles auf keinen Fall weichzuspielen oder rundzufeilen, sondern auszuspielen und auszukosten.
Musik ohne Grenzen, wie Riccardo Minasi erklärt: „Keine Grenzen der Freude, keine Grenzen der Gewalt, es gibt Passagen, die in ihrer Dramatik geradezu schockierend sind, dann wieder Momente völliger Erschöpfung. Die Streichersinfonien sind ein Kompendium aller menschlichen Gefühle.“ Wobei der Humor nicht zu kurz kommt, denn vieles ist mit einem Augenzwinkern komponiert: „Bachs Musik erinnert manchmal ein wenig an ‚Tom und Jerry’.“ Wenn Bach zum Hoftanz aufspielt, dann tanzt er ihn auf den Tischen.“
Carl Philipp Emanuel Bach: Hamburger Sinfonien Wq. 182 Ensemble Resonanz mit Riccardo Minasi. Es-Dur 2053
Zu hören am 12. September 2014, 21:00, Kulturhaus 73, Schulterblatt 73: Ensemble Resonanz u. Gäste: urban string vol.16, „Sensitive style“: Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788): Sinfonie Nr. 5 h-Moll, Wq 182,5; Jan Dvorak (*1971): Der Mensch als Pflanze; Bryce Dessner (*1976): Little Blue Something. Eintritt: 8.- €
Verblüffender Klangwechsel: Matthias Höfs spielt Kammermusik auf der Piccolo-Trompete.
Er habe sich für seine Hommage an Carl Philipp Emanuel Bach am Notenschrank seiner Frau bedient, einer Flötistin, und bei seiner Tochter Violinsonaten stibitzt, sagte Matthias Höfs, Professor an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater und sicher einer besten Trompeter Deutschlands.
Das ist das Elend der Trompeter: Ihr Instrument hat zwar eine lange Tradition, doch die volle Bandbreite der Chromatik hat es erst spät gewonnen – mit der Entwicklung der Ventile in den 20er- und 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts, die über blitzschnelle Rohrverlängerungen problemlos alle Halbtöne spielbar machten. Zu Carl Philip Emanuels Zeit gab es nur Naturtrompeten, die nur die Töne der Obertonreihe hervorbringen konnten, die Klappentrompete als Übergangslösung wurde erst um 1790 erfunden.
So konnte Carl Philipp Emanuel keine Solowerke für Trompete schreiben. Hätte er bloß die moderne Piccolo-Trompete gekannt! Mit der nämlich lassen sich im Idealfall hoher Virtuosität Werke aus dem Flöten- und Violin-Repertoire fürs zarte Blech adaptieren, um diese schreiende Ungerechtigkeit der Musikgeschichte auszubügeln.
Ein Herausforderung, denn Trompeter sind das durchgängige Spiel mit wenig Pausen nicht gewohnt. Und die Tonerzeugung der Trompete macht große Sprünge und schnelle Läufe, chromatisches Spiel und Verzierungen schwieriger, als sie auf einer Flöte oder Violine hervorzubringen wären. Mal davon abgesehen, dass eine Trompete in der herkömmlichen Vorstellung doch immer noch eher mit laut und durchdringend verbunden wird als mit leise und Kammermusik. „Und wo ist da das Problem?“ ist das ungeschriebene Motto von Höfs’ CPE-Bach-CD. Für ihn scheinen diese Schwierigkeiten einfach nicht zu existieren.
Gemeinsam mit dem großartigen Cembalisten Wolfgang Zerer und Christian M. Kunert am Continuo-Fagott spielt er CPE-Sonaten. Ein musikalischer Spaß, sicher. Aber auch ein Hörexperiment vom Allerfeinsten. Höfs’ kleine Trompete bringt engelgleiche Töne hervor, unendlich lange schwebende Klänge, meistert allervirtuoseste Partien, turnt gelenkig durch filigrane Geigenstimmen und ihre verschlungenen harmonischen Pfade und beweist allen Flötisten, dass sie sich auf die Geläufigkeit ihres Klappeninstruments gar nichts einzubilden brauchen.
Bachs Musik macht das locker mit – der ungewohnt schlanke, klare und schlackenfreie Trompetenklang befreit das Klangbild von Konventionellem und lässt die Sonaten ganz neu entdecken. Man darf sicher sein: Hätte CPE Bach den Hamburger Trompetenprofessor und sein feines Instrument gekannt – ihm wären mit Sicherheit noch entschieden wildere Sachen eingefallen, die man dafür hätte schreiben können.
Matthias Höfs: Hommage! Sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach, arrangiert für Trompete und Basso continuo. Es-Dur 2052
YouTube-Video
Abbildungsnachweis:
Header: Ensemble Resonanz. Foto: Tobias Schult
Galerie:
01. CD-Cover Ensemble Resonanz
02. Riccardo Minasi. Foto: Denise Rana
03. Matthias Höfs (Piccolo)
04. CD-Cover Hommage! (Es-Dur)
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