Zunächst mal schnell die Frage: Weiß jeder, wer oder was die GEDOK ist? Ja, das hatte ich mir gedacht.
Wenn man bei KulturPort.De danach sucht, findet man zwar zurzeit mehr als 30 Beiträge, die mit der GEDOK zu tun haben. Trotzdem ist das nicht unbedingt ein Begriff, der jedem – sogar jedem kulturell Interessierten – geläufig ist.
Die GEDOK also ist eine Vereinigung von Künstlerinnen. Nein, nicht von Künstler – Ping! – Innen. Sondern lediglich von weiblichen Künstlern. Soviel ich weiß, darf kein Mann in diesen Verband eintreten, außer als Förderer. Aber schließlich gibt es für männliche Künstler ja auch genügend andere Möglichkeiten dieser Art.
Der Zweck ist also, weibliches Kunstschaffen auf den Gebieten Bildende Kunst, Angewandte Kunst/ArtDesign, Literatur, Musik und Interdisziplinäre/Darstellende Kunst zu fördern.
Der Verein entstand 1926 in Hamburg, gegründet von der Kunstförderin und Frauenrechtlerin Ida Dehmel. Der Name GEDOK ist ein Kürzel für „Gemeinschaft deutscher und oesterreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen“. In den folgenden Jahren entstanden weitere GEDOK-Gründungen in deutschsprachigen Städten, zuletzt, 1932 in Berlin.
Ein Jahr später jedoch erfolgte die ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten, und weil Ida Dehmel einen jüdischen Vater hatte, musste sie die Vereinigung verlassen, die sie selbst gegründet hatte. Man zwang sie nicht nur zum Rücktritt aus dem Vorstand – man schloss sie überhaupt aus der GEDOK aus. Die hieß dann ‚ReichsGEDOK‘ und erhielt eine Vorsitzende, die Mitglied der vorgeschriebenen Partei war.
Die Aktion verschlankte damals den Künstlerinnenverein: 5.000 der ungefähr 7.000 Mitglieder traten aus Solidarität mit Ida Dehmel spontan ebenfalls aus. Und die ursprüngliche Erfinderin der GEDOK rettete sich, immer mehr gehetzt und die Deportation vor Augen, in den Freitod.
Nach dem Krieg bildete sich das Netzwerk dann nach und nach neu.
Die literarischen Mitglieder haben Ende Oktober ein sehr schönes Buch herausgegeben: ‚Wir sprechen vom Wasser‘, eine Anthologie. Siebenundvierzig Künstlerinnen lieferten Lyrik und Prosatexte, Gedichte, Geschichten und Märchen, alle unter dem Leitmotiv dieses urweiblichen Elements, lebensspendend und vernichtend.
Die Redaktion übernahmen Marion Hinz, GEDOK Schleswig-Holstein, und Anja Liedtke, GEDOK Wuppertal. Sie haben sehr gekonnt einen attraktiven Strauß gebunden, der nicht nur aus Blüten besteht, sondern auch aus Radieschen, Zahnbürsten und Möhren. Denn diese Texte sind, nur gehalten und arrangiert durch das Thema, wunderbar vielseitig. Die Präsidentin der GEDOK, Dr. Ursula Toyka, fasst das in ihrem Grußwort zusammen: „Die Autorinnen kommen aus unterschiedlichen Generationen und Regionen, haben unterschiedliche biografische Hintergründe, in die auch Zeitgeschichte und ihre Geschichte als Künstlerinnen einfließen.“
Diese Anthologie ist im Sommer 2022 entstanden und enthält, neben zeitlosen Texten, auch viele sehr aktuelle – und teilweise kontroverse.
So schreibt Jenny Schon, GEDOK Berlin, in Pfaueninsel:
Ich werfe anker weit weg
Angstfrei vor zweiflern
Die Corona herunterspielen
Finde ich schutz
In den schilfoasen
während Marina Jenkner, GEDOK Wuppertal, die Probleme eines verstörten Mädchens in Undine ohne Wasser (ein Auszug aus ihrem großartigen kleinen Roman ‚Blaue Ufer‘) zeigt. Undine ist Wasser ein Grundbedürfnis, aber sie darf nicht mehr ins Schwimmbad, weil sie nicht geimpft ist. Undine kämpft mit den Katastrophen, die ihr geschehen sind, und kann das doch ihrer Umwelt nicht erklären, die sie von allen Seiten bedrängt, sich doch nicht dem ‚kleinen Piks‘ zu verweigern…
Der Name Undine übrigens kommt in der Anthologie dreimal als Titel vor, auch noch bei Bettina Hesse, GEDOK Köln, in einem märchenhaften Beitrag und bei Carmen Winter, GEDOK Brandenburg, in einem Spiegelgedicht.
Ebenfalls sehr aktuell ist die zarte Geschichte eines alten chinesischen Pinselmachers, der in einem Park am Teichrand einen anderen alten Chinesen, seine Liebe, heimlich im Schatten der Bäume trifft: Pinselmacher Liao von Insa Wenke, GEDOK Bonn.
Überflutungen werden mehrere Male geschildert. Besonders dicht ist, finde ich, die Stimmung in Batilleflut,14/7/21 von Jutta Höfel, GEDOK Wuppertal, worin der Leser hautnah die überschwemmte Wohnung erlebt, in der die Autorin bei Lebensgefahr durch das Wasser watet, während weder Stecker gezogen noch Sicherungen ausgeschaltet sind – was ihr erst hinterher klar wird. Eigenartigerweise ist dieser Text, trotz des Unglücks, trotz all der entstandenen Schäden, erstaunlich hell – vielleicht durch die Passage: Im Schein der Taschenlampen sah sie vor allem den Morast, der alles bedeckte, draußen versank man darin. Freunde kamen mit Umarmungen, Käsebroten, Schaufeln, Abziehern und Batterie-Scheinwerfern, und alle machten sich überall ans Werk … Freundschaft, Umarmungen und Käsebrote – das macht Mut…
Es gibt bezaubernde kleine Kostbarkeiten wie das Gedicht am wasser von Doris Runge, GEDOK Schleswig-Holstein, in dem sie sich Narziss vorstellt, der auf Windstille wartet, damit er sich wieder im glatten Wasser spiegeln kann – oder von Anna Würth, GEDOK Hamburg, Tag am Meer: Da flirtet die Brandung mit einer Frau, die an ihrem Saum spazieren geht – und liest! Bis das Meer ihr schließlich das Buch entreißt…
Ursula Haas, GEDOK München, zeigt in ihrer Kurzgeschichte FLUCHTFALLE MEER den gebeutelten Landbriefträger Günther im fiktiven Ort Koogbüren an der Nordsee, den ein düsteres Geheimnis drückt. Hier ist die Tat bereits geschehen. In der Geschichte Sonst von Karla Lettermann, GEDOK Schleswig-Holstein, kann sie in absehbarer Zeit erwartet werden…
Natürlich wird die Sorge um die Gesundheit unserer großen Wasser deutlich, etwa im lyrischen Beitrag NACKT von Mayjia Gille, GEDOK Leipzig:
Wale schlucken leere
waschmittelflaschen
und wir jubeln noch
dass die Tiere uns untertan sind
sowie der hervorragende, geradezu dokumentarische Text von Charlotte Kerner, GEDOK Schleswig-Holstein, Der Tanz um das goldene Wasser – sehr zu Recht ganz am Ende der Anthologie: Die ersten Wasserflüchtlinge sind bereits auf dem Weg und Verteilungskämpfe toben längst nicht nur lokal, auch global, zwischen Norden und Süden.
Dieses Buch besitzt, obwohl es nur 200 Seiten umfasst, viel Inhalt, nichts Oberflächliches oder Überflüssiges.
Ganz sicher wird nicht jedem alles gefallen, so ist das mit Anthologien. Aber es ist für jeden viel dabei: ein lohnendes Buch!
Wir sprechen vom Wasser: Gedichte und Geschichten
GEDOK – Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e. V.
projekt verlag, Bochum/ Freiburg
Taschenbuch, 47 Autorinnen, 207 Seiten
ISBN: 9783897335752
Weitere Informationen (Homepage GEDOK)
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