Literatur

Das populäre Günter Grass-Haus in der Lübecker Glockengießerstraße, das in diesem Herbst zwanzig Jahre alt wird, hat sich eine Generalüberholung gegönnt und feiert den Nobelpreisträger für Literatur, mehr noch aber den Graphiker und Bildhauer mit einer runderneuerten Dauerausstellung.

 

Heute zählt das Grass-Haus zu den erfolgreichen Museen der alten Hansestadt Lübeck, aber seine Gründung war eine schwere Geburt. Zunächst war das Haus bei vielen nicht wohlgelitten, weil der Autor umstritten war und sich ein großer Teil der Bürgerschaft an den politischen Kommentaren des meinungsfreudigen Autors störte – insbesondere zur Deutschen Einheit, die er etwas anders bewertete als die Mehrheit. Freunde der bildenden Kunst dagegen stießen sich daran, dass die traditionellen Häuser wie das St. Annen-Museum mit seiner Sammlung mittelalterlicher Kunst in wunderbaren spätgotischen Sälen oder das Behnhaus mit seinen Meisterwerken der klassischen Moderne nicht mehr im Mittelpunkt des Lübecker Kulturlebens stehen sollten, sondern die beiden Thomas Mann und Günter Grass gewidmeten Häuser. Ein dritter Standpunkt wurde nur von einer winzigen Minderheit vertreten, die Museen für die Kunst zuständig sah und für die Literatur allein die Bibliotheken ins Auge fasste. Lässt sich Literatur in einem Museum überhaupt in angemessener Weise präsentieren? Das sollte auf jeden Fall eine berechtigte Frage sein.

 

Immerhin, das Grass-Haus ist erfolgreich, nämlich gut besucht, und macht außerdem in regelmäßigen Abständen mit kleinen, oft interessanten Ausstellungen auf Doppelbegabungen wie Grass selbst aufmerksam, also auf Künstler, die sich in der Poesie versuchen, oder auf Autoren, die noch zusätzlich malen. So gab es eine schöne Gottfried-Keller-Ausstellung (bekanntlich ist der „Grüne Heinrich“ die Geschichte eines jungen Mannes, der gerne ein Landschaftsmaler werden möchte – eben das war ursprünglich der Plan Kellers), oder es wurde der fleißige Hobby-Fotograph Arno Schmidt (1914-1979) präsentiert, der abends in Bargfeld spazieren ging und die nicht eben spektakuläre Landschaft mit seiner japanischen Spiegelreflex fotografierte, einer Yashica 44. Für die Zukunft schlägt der Rezensent eine Ausstellung mit Bildern des großen und recht eigenwilligen Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877-1954) vor, aber den kennt ja keiner… Eben deshalb würde sich eine Ausstellung lohnen!

 

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Günter Grass in Behlendorf, © Robert Lebeck

 

Jetzt also wurde die Dauerausstellung des Grass-Hauses oder sogar das ganze Haus einer Generalüberholung unterzogen. Die einzelnen Räume behielten ihre Bestimmung, wurden aber durchdachter gestaltet. Gleich hinter dem Eingang, in der langgestreckten Diele, wird auf einer großen Monitorleinwand eine geschickt, weil sehr rhythmisch geschnittene Filmcollage mit dem Titel „Worüber ich schreibe…“ vorgeführt, in der sich Musiker, Komponist und Autor Bela B, Schlagzeuger der Punkrock-Band „Die Ärzte“, mit dem Trommler Oskar Matzerath misst, der wohl immer noch populärsten Figur aus dem Kosmos eines Günter Grass.

 

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Bela B, © nineteentwentyfour

 

Dazu hört man die sonore Stimme des Dichters, die sich daran versucht, das ruhige Schmatzen der Ostsee in einem Gedicht onomatopoetisch einzufangen. Gleich darauf findet sich das Mobiliar des schönen Innenhofs – eigentlich ein Skulpturenhof – durch eine Art Bank ergänzt.

 

Der Eingang auf der anderen Seite blieb unverändert, führt den Besucher nämlich immer noch in einen Kolonialladen, wie ihn die Eltern des Dichters betrieben – über die „Blechtrommel“ fand er Eingang in die Literaturgeschichte. Auch Oskar wuchs in einem Kolonialwarenladen auf.

 

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Diorama Kolonialwarenladen von Sara-Christin Richter. © Günter Grass-Haus

 

Der nächste Raum stellt den Kern des Hauses dar – dort wird der bildende Künstler Grass, der er über die Jahrzehnte hinweg gewesen ist, vorgestellt: mit Graphiken aller Art, mit Zeichnungen, Entwürfen… Die Olivetti-Schreibmaschine, auf der er in den späten fünfziger Jahren die „Blechtrommel“ schrieb, wird hinter Glas zur Anbetung angeboten – aber das ist eine Form der Verehrung, für die mir dann doch der Sinn fehlt. Im Mittelpunkt dieses Raumes findet sich ein „offenes Archiv“, in dessen Schubladen sich zahlreiche Gegenstände finden, die man sogar anfassen darf.

 

Schließlich muss man in das 1. Stockwerk hinaufklettern, dorthin, wo sich sonst die Wechselausstellungen finden. Jetzt betritt man eine Art Stelenwald mit Aquarellen, denn Grass hat Mitte der neunziger Jahre diese Kunst wieder neu für sich entdeckt und sich besonders im Wald hingesetzt, um Bäume zu malen – fast wie der Grüne Heinrich…

 

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„Musiker und Tänzer", Aquarell. © Günter und Ute-Grass-Stiftung, Steidl Verlag

 

Außerdem gibt es dort die Nobelpreisurkunde zu bestaunen und die bei dieser Gelegenheit verliehene Medaille, aber wenn ich es richtig verstanden habe, hat die Leitung des Museums angesichts gewisser krimineller Umtriebe in verschiedenen Museen anderer Städte auf die Präsentation des Originals verzichtet.

 

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Nobelpreisurkunde, 1999. © Günter und Ute-Grass-Stiftung, Steidl Verlag

 

Wenn etwas den Besuch des Hauses lohnt, dann sind es die bildkünstlerischen Arbeiten, denn weder Urkunden noch Schreibmaschinen tragen etwas zum Verständnis der Literatur bei. Aber sowohl bei den Graphiken von Grass als auch bei seinen Plastiken und Aquarellen findet sich allerlei Schönes und Sehenswertes.


„Das ist Grass“ (Dauerausstellung)

Günter Grass-Haus

Forum für Literatur und Bildende Kunst

Glockengießerstraße 21

23552 Lübeck

Weitere Informationen

 

Tag der offenen Tür: Am Sonntag, 13. März, haben Neugierige die Möglichkeit, „Das ist Grass“ in der Zeit von 11 bis 20 Uhr kostenlos in Augenschein zu nehmen. Das Günter Grass-Haus und das Museum Behnhaus Drägerhaus stellen an diesem Tag gemeinsam ihre neuen Ausstellungen vor.

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