Kriegserfahrung ist auch in Kleidung eingeschrieben, davon ist Angelika Riley überzeugt. In der Ausstellung „Dressed“ zeigt die Leiterin der Abteilung Mode und Textil im Museum für Kunst und Gewerbe 200 Jahre Modegeschichte anhand der persönlichen Garderobe von sieben starken Frauen – ein Paradigmenwechsel.
Mode ist Kleidung, aber ist Kleidung per se auch Mode? Die Grenzen zwischen der rein funktionalen Aufgabe, dem Körper als eine wärmende, schützende Hülle zu dienen, oder vielmehr ein Ausdruck von Persönlichkeit und Zeitgeist zu sein, sind sicher fließend. Den Weg ins Museum fanden aber in der Regel bislang nur ganz besondere Modeartikel: Luxuriöse Maßanfertigungen (Haute Couture) oder limitierte Kollektionen in Standartgrößen (Prêt-à-porter) – in jedem Fall avantgardistisch und aus dem Haus berühmter Modeschöpfer*innen, wie die zeitgleich laufende Ausstellung „Die Sprache der Mode“ exemplarisch vor Augen führt (bis 21.10.22).
Bei „Dressed“ ist das einmal anders. Hier stehen nicht Stars wie Coco Chanel, Jean-Paul Gaultier oder Karl Lagerfeld im Fokus, sondern sieben Persönlichkeiten, deren Garderobe für Lebensentwürfe und Charaktereigenschaften stehen: Elise Fränckel (1807-1898), Edith von Maltzan (1886-1976), Erika Holst (1917-1946), Elke Dröscher (*1941), Angelica Blechschmidt (1942-2018), Anne Lühn (*1944) und Ines Ortner (*1968).
Die älteste von ihnen lebte als Senatorengattin im biedermeierlichen Oldenburg, Holstein. Justus Brinckmann kaufte 1903 die „Siebensachen an Brautausstattung von Anno dazumal“ an, weil das Leipziger Grassimuseum den Nachlass von Elise Fränckel nicht wollte – getragene Kleidung galt nicht als museumswürdig. Heute ist das bezaubernde Hochzeitskleid mit Unterkleid und Schleier ein Highlight der textilen Sammlung und zeugt mitsamt den 80 Accessoires – Hauben, Tüllkragen, Schuhen (aus Paris!) Schirmchen und Schleiern – von gesellschaftlichem Stand und erstaunlichem Modebewusstsein in der Provinz.
Die Garderobe der Großindustriellen-Tochter und Diplomatenfrau Edith von Maltzan Freifrau zu Wartenberg und Penzlin ist geradezu überwältigend in ihrer Eleganz und Exklusivität: Angefangen von ihrem Jungmädchenkleid im Matrosenstil, über die hinreißenden Charleston-Kleidern aus Goldspitzenstoff und Fransen der 1920er Jahre, bis hin zu den späten schwarzen, hochgeschlossenen Witwenkleider um 1950, inszenierte sie sich stets als Frau von Welt.
Das Leben von Erika Holst hingegen war von Krankheit und dem Zweiten Weltkrieg gezeichnet. Sie starb 1946 mit nur 28 Jahren an Tuberkulose. Ihr Mann, ein Bauunternehmer, verwahrte alle ihre Sachen in einer großen Holzkiste, die dort 60 Jahre lang ruhten, bis sie einer ihrer Söhne 2008 dem Museum übergab. Darunter ein Badeanzug, ein Morgenmantel und einfache Tageskleider, die deutliche Gebrauchsspuren aufweisen. Wenige Jahre zuvor wären sie sicher noch als im Wortsinn „zu kleinkariert“ abgewiesen worden wären. Nun zeugen diese Kleider mit ihren Flecken und Verfärbungen hautnah von einem Schrecken, der ausgerechnet am Eröffnungstag dieser Ausstellung wieder ausbrach.
Wüsste man es nicht besser, könnte man auch einige Modelle von YSL in den 1940er Jahren verorten. Elke Dröscher, in Hamburg bestens bekannt als Gründerin des Puppenmuseums Falkenstein, war so angetan von dem Franzosen, dass sie „nahezu ausschließlich und in allen Lebenslagen“ Yves Saint Laurent trug, (Angelika Riley). 1995 übergab die Galeristin 120 Kleidungsstücke dem Museum, das die strenge, zum Teil erstaunlich bieder und rückwärtsgewandt wirkende YSL-Kollektion nun konzentriert vorstellt. Super chic in allen Lebenslagen hingegen die Chefredakteurin der deutschen Vogue, Angelica Blechschmidt, die immer und überall schwarze Cocktailkleider, High Heels und auffälligen Modeschmuck (von Chanel und Lacroix, versteht sich) trug. Während ihre „Little Black Dresses“ mitunter mehr enthüllten als verhüllten, ist die auf Japans Modemacher konzentrierte „Avant-Garde-Robe“ der Hamburger Kunst- und Design-Sammlerin Anne Lühn voluminös und opulent. Ob Issey Miyake, Rei Kawakubo oder Yohji Yamamoto – die Objekte brechen komplett mit dem weiblichen Schönheitsideal.
Das tun schließlich auch die Entwürfe der jüngsten Frau in diesem Reigen: Die Musikerin und Kostümbildnerin Ines Ortner war als „Rapunzel“ in den 80er Jahren eine bekannte Punkerin in Hamburg. Mit subversiver Kraft schuf sie damals düstere Outfits aus Leder, Nieten, Fellen, Ketten, Plüsch, Sicherheitsnadeln und Abfluss-Sieben für Konzerte und die alternative Theaterszene. Eine Gegenkultur, die Fashion-Designer bald aufgriffen und als angesagte Jugendmode vermarkteten.
Keine Frage: Mode ist in der Tat ein „Zeitspeicher“, das ist in dieser Schau gut ablesbar. Will man jedoch mehr über Leben und Schicksal der sieben Frauen erfahren, sollte man sich unbedingt den lesenswerten Katalog zur Ausstellung besorgen. (Hirmer Verlag, 45 Euro).
„Dressed“. 7 Frauen – 200 Jahre Mode
Zu sehen bis 28. August 2022 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, in 20099 Hamburg.
YouTube-Video:
Dressed. 7 Frauen – 200 Jahre Mode (Film zur Ausstellung, 8:09 Min.)
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment