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DARUM WÄHLT Plakate zur 1 Demokratischen Wahl in Deutschland

100 Jahre Bauhaus, 100 Jahre Revolution in Hamburg, 100 Jahre Weimarer Republik. 2019 ist das Jahr der Gedächtnisausstellungen. Das Museum für Kunst und Gewerbe beteiligt sich am Jubiläumsreigen mit einer sehenswerten Plakatschau zur ersten demokratischen Wahl in Deutschland: „Darum wählt!“

Politisch und gesellschaftlich gab es wohl selten dramatischere Wochen in Deutschland als im Winterhalbjahr 1918/1919. Nach Ende des Ersten Weltkrieges und Abdankung des Kaisers am 9. November 1918 kämpften rechte und linke Kräfte um die Macht im kopflosen Staat. Revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte lieferten sich blutige Straßenschlachten mit von der Industrie finanzierten Freikorps. Das Volk hungerte nicht nur, es drohten auch Anarchie und Chaos. Trotz der unübersichtlichen Gemengelage schaffte es die Übergangsregierung um Friedrich Ebert die erste demokratische Reichstagswahl in Deutschland durchzuführen: Zum ersten Mal kein nach Steueraufkommen berechnetes Dreiklassenwahlrecht. Zum ersten Mal zählte jede Stimme gleich viel. Und zum ersten Mal durften Frauen wählen. 85 Prozent aller Frauen und über 80 Männer gaben am 19.1.1919 ihre Stimmen ab und ihre Wahl war eine Absage an die Radikalen. Die SPD (38 Prozent), das katholische Zentrum und die Liberalkonservative Deutsche Demokratische Partei (jeweils knapp 20 Prozent) bildeten die verfassungsgebende Nationalversammlung, die das erste Mal am 6. Februar 1919 im Weimarer Nationaltheater tagte.

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Der Wahlkampf zuvor jedoch wurde in erster Linie mit Plakaten ausgetragen. Und wie ungleich und unfair dieser Kampf war, das zeigt diese Ausstellung. Da sind zum einen die Plakate, die sich gezielt an die weibliche Wählerschaft wandten: Schutzlose Mütter und Kinder, umrahmt mit Spruchbändern, wie „Nie wieder Krieg“, „Mutter, denk an mich!“ oder „Eure Kinder brauchen Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt!“. Sie sind in der Bildsprache zwar expressiv (wie die Kunst jener Zeit), aber in der Sache korrekt und gestalterisch ausgesprochen brav. Und da sind die Plakate der linken Verbände, die aus heutiger Sicht Schmunzeln lassen, ob der ellenlangen Appelle zur Arbeit und Aufrechterhaltung der Ordnung (Heute würde das kein Mensch mehr lesen). Erschreckend jedoch die vielen populistischen Parolen und manipulativen Hassbilder der Rechten. Bilder, die die niedrigsten Instinkte bedienen und das linke Lager pauschal als „Bolschewismus“ in Gestalt blutrünstiger Hyänen, giftiger Schlangen und Bomben zündende King Kong-Monster verteufeln. Heute, hundert Jahre später, sind rechte Populisten überall wieder an die Macht. Welche Gefahren sie bergen, ist anhand dieser historischen Plakate ablesbar.
Auch aus diesem Grund ist „Darum wählt“ eine wichtige Ausstellung.

DARUM WÄHLT! – Plakate zur 1. Demokratischen Wahl in Deutschland

Zu sehen bis 22. April 2019 im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, Hamburg.
Alle weiteren Informationen unter www.mkg-hamburg.de


Abbildungsnachweis:
Header: Lucian Bernhard (1883–1972), Des deutschen Volkes großer Tag!, 19.1.19, Plakat des Werbedienstes, Januar 1919, Lithografie, 70x95cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Galerie:
01. Martha Jäger (1867-?), Eure Kinder brauchen Frieden und Brot. Darum Frauen: Wählt! Plakat der Frauenverbände Deutschlands, 1918, Plakat, 90x59,5cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © unbekannt, Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
02. Lucian Bernhard (1883-1972), Frauen! Sorget für Frieden und Brot! Wählet und werbt für die Wahl!, Januar 1919, Lithografie, 70x95cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
03. Karl Jakob Hirsch (1892-1952), Wählt Spartakus!, Jahreswende 1918/19, Lithografie, 69x94,5cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © Universitätsbibliothek der LMU München, Nachlass Karl Jakob Hirsch
04. Walter Riemer (1896-1942), Nieder mit der Reaktion. Wählt SPD – Mehrheits-Sozialdemokratie. Wahlplakat der SPD, Januar 1919, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
05. Heinz Fuchs (1886-1961), Arbeiter: Hunger, Tod naht. Streik zerstört, Arbeit ernährt. Plakat des Werbedienstes der deutschen Republik, Ende 1918, Lithografie, 74x10 cm, © unbekannt, Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
06. links: Alexander M. Cay (1887-1971), Arbeiter helft beim Aufbau der sozialistischen Republik. Plakat des Werbedienstes der deutschen Republik, 1918, Lithografie, 142x9cm, © unbekannt, Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
rechts: Rudi Feld (Lebensdaten unbekannt), Die Gefahr des Bolschewismus. Plakat der Verbände gegen den Bolschewismus, Ende 1918, Lithografie, 94x69,5 cm, © unbekannt, Foto: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

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