Tattoo – Körperbilder
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Früher war es ein Brandmal. Ein Zeichen, das Menschen sofort klassifizierte: Seefahrer ließen sich tätowieren, schwere Jungs und leichte Mädchen. Heute wird man bei jeder Sportschau mit dem permanenten Körperschmuck konfrontiert.
Ob David Beckham, Luca Toni, Lionel Messi oder Zlatan Ibrahimovic – kaum noch ein Fußballstar, der unbebildert über den Rasen rennt. Sicher auch ein Grund, warum die schmerzhafte Prozedur so populär geworden ist: Mehr als acht Millionen Deutsche sind mittlerweile tätowiert! Grund genug für das Museum für Kunst und Gewerbe, das Massen-Phänomen quer durch die Kulturgeschichte zu beleuchten – und dabei aufzuzeigen, dass der Hang zum „Tattoo“ oftmals weit über die bloße Modeerscheinung hinausgeht.
Selten sah man das feudale Treppenhaus am Steintorplatz mit so eindrucksvollen Fotografien bestückt: Männer und Frauen in Überlebensgröße, von Kopf bis Fuß mit Tintenbildern übersäht. Selbst wer dieser „Ganzkörperbekleidung“ nicht allzu viel abgewinnen kann, muss zugeben: Die Porträts von Ralf Mitsch sind faszinierend. Der kreative Hautschmuck wirkt keineswegs billig, vielmehr künstlerisch wertvoll.
Finanziell betrachtet ist er das sowieso: Die Zeit, in der man in einer finsteren Kaschemme für ein paar Mark ein Kreuz, Segelschiff oder Totenkopf gestochen bekommen hat ist längst vorbei. Schon Herbert Hoffmann (1919-2010), legendärer Tätowierer auf St. Pauli, von dem hier viele Fotografien zu sehen sind, kämpfte um Anerkennung als Kunsthandwerker. Heutzutage kostet ein hochwertiges, flächendeckendes Tattoo ungefähr so viel wie ein Mittelklasse-Wagen. Und für das Kunstwerk eines international bekannten Tätowierers könnte der Träger oder die Trägerin auch schon mal ein Eigenheim erstehen.
Was die Stars der Szene heutzutage alles in die Haut stechen, zeigt ein zentral platziertes Endlosloop. Großartige Gemälde sind darunter, absolut gleichwertig zu den „konventionellen“ Bildern junger Gegenwartskunst.
Doch das ist nur ein Aspekt dieser vielschichtigen Ausstellung. Sie beginnt bei James Cooks Südsee-Expeditionen im 18. Jahrhundert – er hatte in seinen Berichten die exotischen Praktiken des „Tattow“ oder „Tatau“, wie es damals hieß, in der westlichen Welt publik gemacht. Und schlägt dann einen riesigen Bogen von den magisch-mythischen Bräuchen indigener Stammesgruppen in Südamerika bis zu zeitgenössischen Performances, Fotos und Filmen. Die wohl provokanteste Arbeit: Das Video des polnischen Künstlers Arthur Zmijewski, der den 92-jährigen Ausschwitz-Überlebenden Josef Tarnawa vor laufender Kamera überredet, seines verblasste Lagernummer nachstechen zu lassen und währenddessen von der traumatischen KZ-Zeit zu erzählen.
Die Tatsache, dass KZ-Häftlinge zwangstätowiert wurden (übrigens auch die SS-Truppen, denen die jeweilige Blutgruppe auf den Oberarm tätowiert wurde), trägt zweifellos zum schlechten Ruf des Tattoos nach dem Zweiten Weltkrieg bei.
In Japan war das Wechselbad zwischen Zustimmung und Ablehnung vielleicht noch extremer als in Deutschland. Im 19. Jahrhundert war der reich verzierte Oberkörper eines Rikscha-Fahrers ausgesprochen verkaufsfördernd. Das änderte sich mit Zeit, da sich in dem Metier viele Kleinkriminelle herumtrieben.
Es ist sicherlich nicht verwunderlich, dass die interessantesten Aufnahmen dieser Schau aus dem kriminellen Milieu stammen. Mit Arkady Bronnikovs Fotoserie über russische Strafgefangene und den Gefängnistätowierungen, die der österreichische Fotograf Klaus Pichler zusammentrug, sind ebenso eindringliche wie aufschlussreiche Dokumentationen entstanden. Ursprünglich von staatlicher Seite eingesetzt, um die Straftäter zu stigmatisieren, entwickelte sich nämlich hinter Gittern ein geheimer Zeichenkodex, der Eingeweihten Gruppenzugehörigkeit, Straftat und Rang der kriminellen Hierarchie verrät.
Heute ist das Tattoo schon (fast) wieder gesellschaftsfähig geworden. Und allen, die sich über Bettina Wulff „Tribal“ am Oberarm echauffierten, sei gesagt: Deutschlands ehemalige First-Lady kann sich auf jede Menge gekrönter Häupter beziehen. Zar Nikolaus und König Georg von England waren mit Körperbildern verziert, ebenso Prinz Heinrich von Preußen und der dänische König Friedrich IX. Selbst Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sissi, ließ sich einen Anker tätowieren – als Zeichen der Verbundenheit zu ihrer geliebten Heimat.
Die Ausstellung „Tattoo“ ist bis zum 6. September im Museum für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz in Hamburg zu sehen.
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr.
Eintritt 10 Euro, ermäßigt 7 Euro, bis 17 Jahre frei.
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Jens Uwe Parkitny; Ma Hla Oo aus Laytu-Chin, Nördliches Rakhine, Burma. Foto: Jens Uwe Parkitny
Galerie:
01. Ausstellungsansicht. Foto: Michaela Hille
02. unbekannt; Porträt von Maud Stevens Wagner, Tattoo-Künstlerin, USA, 1877-1961. Foto: Library of Congress, Washington
03. Fumie Sasabuchi; ohne Titel, 2004; Bleistift auf Papier, 29,5x20,5 cm. Privatsammlung, Österrreich. © Fumie Sasabuchi
04. unbekannter Fotograf; Japanese Tattoo, 1880-1890, Albuminpapier, handkoloriert, 27x21 cm. © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
05. Masahiko Adachi; Filmstill aus „Flesh Color“, Regie: Masahiko Adachi, Japan 2010, 4 Min. © Masahiko Adachi
06. Timm Ulrichs; The End, 1970, 1981, 1997, Augenlid-Tätowierung, Inkjet-Print auf Leinwand auf Keilrahmen, 150x150 cm. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
07. Ausstellungsansicht. Foto: Michaela Hille
08. Marlon Wobst; Skin Ball, 2012, Schwarz Contemporary, Berlin. Öl auf Leinwand, 55x50 cm. © Schwarz Contemporary, Berlin
09. Christian Warlich; Tattoo-Vorlagenblatt von Christian Warlich, Hamburg, um 1930. © Tattoo Museum Willy Robinson
10. Ausstellungsansicht. Foto: Michaela Hille
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